Deadpool: Pulp (Panini)

September 5, 2017

Krieg kann ganz schön kalt sein. Das erfährt 1955 auch der geistig durchaus fragwürdige Wade Wilson, der als Undercover-Agent mit dem Codenamen Deadpool die Drecksarbeit für die US-Regierung macht. Sein neuester Auftrag: eine abtrünnige Agentin hat eine Atombombe im handlichen Aktentaschenformat gestohlen. Ein zutiefst beunruhigter J. Edgar Hoover will die Bombe wieder zurück und setzt seine besten Männer – also General Stryfe und CIA-Chef Cable – auf die Sache an. Wade Wilson, der in japanischer Kriegsgefangenschaft als Reaktion auf Folter und Todesangst zum eiskalten Killer mit Katana-Schwertern mutierte und nebenbei eine ausgewachsene Schizophrenie pflegt, nimmt den Job mit gemischten Gefühlen an. Immerhin soll er niemand anders als Inez Temple zur Strecke bringen, die unter ihrem Decknamen Outlaw den Koffer in ihren Besitz gebracht hat – und außerdem einst seine Geliebte war.

Die Spur führt zunächst zu Doktor Jackson Hammer, dem Erfinder der Bomben, der vom Erdboden verschwunden scheint. In der verlassenen Wohnung findet Wilson allerdings einen Hinweis, der ihn nach Havanna und damit ein Stück näher an die fehlenden Mosaik-Teilchen bringt. Dort allerdings warten gleich mehrere handfeste Überraschungen auf ihn – und dass hinter dem Atomklau nicht die Russkis stecken, sondern ganz andere Kollegen, ist dabei noch das geringste Übel. Denn auch Wilsons eigene Geschichte, ja seine gesamte Existenz kommt ins Wanken, als er die Wahrheit über den Auftrag und auch seine Vergangenheit erfährt…

Pulp – der Name ist hier definitiv Programm. Für ihre Storyline, die sich weit außerhalb des regulären Marvel-Universums abspielt, greifen die Comic- und TV-Veteranen Mike Benson und Adam Glass direkt in die Welt der US-Groschenromane, die benannt nach dem billigen Papier, auf dem sie gedruckt waren, als Pulp-Literatur ein ganzes Genre begründeten. Hinter reißerischen Titeln und knalligen Titelblättern verbargen sich klischeehafte, flott erzählte Plots, die sich durch zwielichtige Charaktere und permanente Wechsel von Linearität und Schauplätzen auszeichneten. Bedient wurden dabei alle literarischen Spielarten, aber vor allem mit Horror, Science Fiction und Spionagesujets konnten die Pulps ihre Fans erfreuen. Und so ist auch hier nichts, wie es eigentlich scheint, Freund und Feind verwischen zusehends in dieser Jagd nach dem Atomkoffer, die direkt aus Robert Aldrichs Filmversion von Mickey Spillanes Krimi „Kiss Me Deadly“ (dt. „Rattennest“) entsprungen scheint – nicht umsonst trägt der Erfinder der Kofferbombe den Namen von Spillanes Privatdetektiv Mike Hammer, der in Aldrichs Film eine geheimnisvolle Kiste wahrlich strahlenden Inhalts sucht.

Der durch die Hölle geht: Wade Wilson spielt russisches Roulette

Gewürzt wird das Ganze mit einer ordentlichen Prise Paranoia der McCarthy-Ära, in der alles und jeder als „Commie“ verdächtig schien, was in der Welle der Invasionsromane und -filme der 50er Jahre nicht zuletzt in den Pulps Widerhall fand. Auch gestalterisch steht das Geschehen ganz im Zeichen der Groschenromanästhetik, die – ganz wie die Poster der B- und C-Filme der Autokinos – durch knallige, drastische Titelseiten die Aufmerksamkeit des Kaufpublikums auf sich ziehen mussten. Laurence Campbell erledigt das in schön-düsteren Panels und ganzseitigen Tableaus, die authentisch den Geist der Pulps atmen. Aber Benson und Glass liefern weit mehr als nur eine Hommage an ein Trash-Genre: sie kredenzen auch eine vielschichtige Variante zur sattsam bekannten Deadpool-Origin und zu etablierten Figurenkonstellationen. Auch im regulären Marvel-Kanon war Outlaw Wilsons Geliebte, Cable sein gehasster Kumpel und Stryfe ein Klon von Cable.

Wild durcheinandergewirbelt wird dabei die Ursprungsgeschichte – ohne allzu viel verraten zu wollen, scheint hier mit dem „Manchurian Candidate“ (dt. „Botschafter der Angst“) die Mutter aller Gehirnwäsche-Paranoia-Streifen Pate gestanden zu haben. Das bei Deadpool eigentlich etatmäßige Spiel mit dem Medium (Ansprache des Publikums durch die „vierte Wand“, ironische Seitenhiebe auf andere Figuren und Serien) sowie das unablässige Kalauern des Söldners mit der großen Klappe wird ersetzt durch virtuose Flashbacks und den ebenso amüsanten Widerstreit seiner diversen gespaltenen Persönlichkeiten, die ihm letztendlich sogar den Hals retten. Und ganz am Ende bekommt er auch endlich die komplette Hackfresse, als die wir ihn doch so lieben. Passt doch. Der vorliegende Band bringt auf 100 Seiten alle vier Hefte der US-Miniserie „Deadpool: Pulp“, womit ein vergnügliches „guilty pleasure“ gewährleistet ist. (hb)

Deadpool: Pulp
Text: Mike Benson, Adam Glass
Bilder: Laurence Campbell
100 Seiten in Farbe, Softcover
Panini Comics
12,99 Euro

ISBN: 978-3-7416-0424-9

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