Tetramethylendisulfotetramin. Kurz Tets genannt. Dieses seltene, synthetisch hergestellte – und natürlich verbotene – Gift ist für den Tod zweier Buchhalterinnen des Pharma-Konzerns Washburn verantwortlich. Gleich drei Ermittler-Duos der MCU (Major Crime Unit) Gothams ermitteln in dem Fall. Sie verfolgen verschiedene Ansätze: ein verdächtiger Taxifahrer, der von Überwachungskameras fotografiert wurde, der Leiter des Finanzwesens von Washburn, der offenbar Dreck am Stecken hat. Doch erst das Sergeant-Duo del Arrazio und Bartlett findet die verblüffend einfache und konventionelle Lösung des Falls („Das Leben ist voller Enttäuschungen“). Szenenwechsel: vor acht Jahren wurde auf das Baseball Team der Gotham Highschool Hawks ein tödlicher Bombenanschlag verübt. Nur zwei Spieler überlebten. Ein Täter wurde nie ermittelt, der Fall blieb ungeklärt. Nun nimmt einer der beiden Überlebenden Geiseln und begeht Selbstmord. Grund genug für die Detectives Driver und MacDonald, die Geschichte neu aufzurollen. Dabei stoßen sie tatsächlich auf eine frische Spur, die direkt zum Mad Hatter führt. Und was verschweigt Harvey Bullock, der abgehalfterte Ex-Cop, der in dem Fall damals ermittelte („Ein ungelöster Fall“)?
Auch im (noch) aktuellen Band der Cop-Reihe (die wiederum die Gotham TV-Serie inspirierte) werden zwei verschiedene Verbrechen behandelt und aufgeklärt. Und wieder spielen Superhelden und Superschurken eine nur bestenfalls untergeordnete Rolle. In der ersten Episode sehen wir lediglich einen Kurzauftritt von Huntress, der die Story etwas vorantreibt. Der zweite Teil verzichtet komplett auf Superhelden und lässt zwei bekannte Schurken – beides altehrwürdige Feinde Batmans – zu Wort kommen: Jervis Tetch, der Mad Hatter, der in Arkham einsitzt (er war’s nicht, das sei verraten) und der Pinguin Oswald Cobblepot (er war’s auch nicht). Die Lösungen der Fälle kommen unerwartet, mal simpel, mal überraschend, aber nie banal und liegen nicht in oder bei der Helden- oder Schurkenabteilung.
Auch das Beiwerk macht hier die Musik. Das Story-Beiwerk. Einmal führen die Spuren ins Leere, der Leser wird so aufs Glatteis geführt. Oder sie führen zu anderen Begebenheiten oder krummen Geschäften, die nichts mit den aktuellen Fällen zu tun haben (Stichwort Mafia). Dazu kommen persönliche Schicksale. So hatte es Harvey Bullock mit der Gerechtigkeit zu persönlich genommen, wurde suspendiert und muss nun seinen Frust am Bartresen ertränken. Dann spielen zwischenmenschliche Motive immer wieder eine Rolle. Man wird bei der Beförderung übergangen und schiebt nun Frust, man kann den neuen Vorgesetzten nicht leiden oder hat familiäre Probleme. Es menschelt allerorts. Das Cop-Ensemble ist der Star der Reihe, die sich Ed Brubaker und Greg Rucka Autoren-technisch teilen. Mal steht ein bestimmtes Cop-Duo im Rampenlicht, das dann in der nächsten Story nur eine Nebenrolle spielt, mal ist es ein anderes, oder umgekehrt. Das sorgt für Abwechslung, ganz abgesehen von den verschiedenartigen, originellen Fällen, die stets durchdacht konstruiert sind.
Natürlich prägt auch Michael Larks Zeichenstil die Reihe. Lark ist hier erst ab der zweiten Episode dran, den Anfang macht Greg Scott, der Larks nervösen, undefinierbaren, flächigen Schwarz-Strich imitiert und gleichzeitig eine stilistische Nähe zu David Lloyds („V wie Vendetta“) Zeichenstil erkennen lässt. Danach übernimmt ganz souverän Michael Lark wieder die Feder, der aktuell mit der SF-Reihe „Lazarus“ (Dt. bei Splitter) brilliert. Die Tuschezeichnungen stammen übrigens von Stefano Gaudiano, der gerade gemeinsam mit Charlie Adlard an „The Walking Dead“ werkelt. Zweifellos eine der besten Serien bei Panini. Und die beste Superhelden-Serie ohne Superhelden. Wie gehabt ist auch diese Ausgabe in einer nur auf 222 Stück limitierten Hardcover-Variante erhältlich, die beim Verlag allerdings bereits vergriffen ist. Der nächste Band erscheint dann Mitte März. (bw)
Gotham Central, Band 4: Bullocks letzter Fall
Text: Ed Brubaker, Greg Rucka
Bilder: Greg Scott, Michael Lark, Stefano Gaudiano
172 Seiten in Farbe, Softcover
Panini Comics
16,99 Euro
ISBN: 978-3-95798-975-8