Eines ist nun klar: Velvet Templetons Mann Richard, den sie 1956 (und am Ende von Band 1) in Notwehr töten musste, war kein Doppelagent. Wie es scheint, wütet der nämlich immer noch – wir schreiben das Jahr 1973 – unerkannt im supergeheimen Geheimdienst ARC-7. Und Velvet, die nach dem Vorfall mit ihrem Mann ihre Agenten-Karriere beendet musste und psychisch angeschlagen war, scheint sein nächstes Opfer, sein nächster Sündenbock zu sein. Als Verräter kommen gleich mehrere Altgediente der Organisation in Frage. Velvet will den Schuldigen selbst ein für allemal dingfest machen und sie weiß: sie ist dabei auf sich allein gestellt. Und wagt sich in die Höhle des Löwen: nach London. Dort inszeniert sie einen Überfall auf das Hauptquartier von ARC-7, nimmt dessen und ihren Chef, Direktor Manning, gefangen. Doch ihr eigentliches Ziel ist die Befreiung von Damien Lake, der schon in frühen Tagen bei ARC-7 war und der daher als Verräter nicht in Frage kommt. Lake, schon lange inhaftiert, gilt als verrückt, hat aber nach all den Jahren noch immer ein Druckmittel gegen ARC-7 in der Hand und wurde daher am Leben gelassen. Auf ihrer Flucht werden Velvet und Lake in den französischen Alpen von der Polizei überrascht und Velvet muss schmerzlich erkennen, dass Lake sein ganz eigenes Süppchen kocht…
Und noch etwas ist nach Lektüre von Band 2 klar: Velvet ist bei der Suche nach dem Doppelagenten nicht wirklich weiter gekommen. Der Nebel wird immer dichter und breiter, statt klarer. Nachdem sie nach 17 Jahren ihre Agenten-Instinkte wieder erweckte, macht sich Velvet auf, einen Ein-Frau-Kreuzzug gegen einen Unbekannten zu führen. Ihre Motive: sich vom Mordverdacht reinzuwaschen und den wahren Täter und Verräter zu enttarnen und zu stellen. Dabei geht es immer zwei Schritte vor und einen zurück. Ganz kleine Schritte. Nachdem Velvet Lake befreien kann, gibt der nur ein kleines Informations-Häppchen preis, in Form einen Namens. Und stellt seinerseits an Velvet Forderungen. Die begibt sich damit in eine Abhängigkeit, die sie beinahe tötet. Das ist ihr Dilemma: sie muss immer wieder anderen vertrauen und glauben und stets auf der Hut sein, dabei nicht selbst in die Pfanne gehauen zu werden. Ein schmaler Grat, auf dem sie ständig balancieren muss, um weiter zu kommen. Dabei wird auch der Blickwinkel ihrer Jäger und Ex-Kollegen von ARC-7 beleuchtet, wo auch Zweifel ob der Täterschaft Velvets aufkommen.
Star-Autor Ed Brubaker (u.a. „Criminal“ und „Fatale“ – ebenfalls bei dani books) schafft es famos, mit diesem nicht enden zu wollendem Quest Velvets, einerseits die Spannung zu halten und andererseits die Handlung gerade so viel weiter zu treiben, dass neue Situationen entstehen. Das können frische Figuren im Spiel sein, wie eben Damien Lake oder Action-Sequenzen, wie der Kampf mit den Polizisten im und auf dem Zug, der furios mit schiefen und unproportionalen Panels in Szene gesetzt ist. Ein wenig erinnert dieser Handlungsverlauf an Jean van Hammes Bestseller-Serie „XIII“. Auch hier wird die Hauptperson, ein vermeintlicher Agent ohne Namen, rastlos immer weiter getrieben auf der Suche nach seiner eigenen Identität. Nur dass Velvet hier mit ihrer Vergangenheit, die bis in die Gegenwart reicht – in Form des Verräters – aufräumen will. Ein Brett sind einmal mehr die äußerst realistischen Zeichnungen von Steve Epting, die mit der Farbgebung von Elizabeth Breitweiser ihre volle Wirkung entfalten. Finstere Nacht- und Regenszenen werden so mit viel Schwarz dargestellt und dabei durchaus farbenfroh und kräftig koloriert, was einen interessanten Kontrast darstellt, der sogleich an die die bunten 70er Jahre erinnert, in denen die Serie spielt. Wir freuen uns auf jeden Fall schon jetzt auf Band 3. Für Sammler bietet dani books in einer Miniauflage ein auf nur 50 Stück limitiertes Hardcover-Variant an, das für vergleichsweise günstige € 29,99 zu haben ist. (bw)
Velvet, Band 2: The Secret Lives of Dead Men
Text: Ed Brubaker
Bilder: Steve Epting, Elizabeth Breitweiser (Farben)
128 Seiten in Farbe, Softcover
dani books
16,99 Euro
ISBN: 978-3-944077-72-7