Jean-Claude Fournier übernahm „Spirou und Fantasio“ vom legendären André Franquin und zeichnete bis 1980 neun Abenteuer mit den klassischen franko-belgischen Comic-Helden. Soweit, so bekannt. Aber was machte Fournier zuvor und was danach? Antwort: Bizu! Nie gehört? Nun, Bizu ist tatsächlich seine erste Comicfigur. Eine recht kuriose, selbst in der Welt der Funnys der berühmten École Marcinelle aus dem Hause Dupuis. Bizu ist ein Männlein, das alleine in einem großen Baumhaus mitten im verwunschenen Wald von Frotteelande lebt. Irgendwo in der Bretagne (oder Aremorica, wie es hier heißt). Wobei alleine nicht ganz richtig ist. Sein „Sidekick“ ist ein hüpfender Pilz (!) namens Mukes. Und einen Kumpel hat Bizu auch: den Schnockbüll, eigenen Angaben nach letzter Nachkomme musizierender Korrigane. Einen zotteligen Waldschrat, einen Bretonen-Chewbacca, der von Musik geradezu besessen ist. Schöne Idee: überall wo er läuft, wachsen gleich Blumen, weil seine Füße so gut riechen!
Bizus Geschichten variieren in ihrer Länge. Anfangs hat er es mit einem miesepetrigen Briefträger zu tun, der sich über den langen Weg zum Haus Bizu beschwert. In einer fast albumlangen Story („Der musikalische Köder“) verschlägt es ihn ans Meer in ein Fischerdorf, wo die örtlichen Bewohner ihr Lachen verloren haben, weil keine Fische mehr gefangen werden (hier gibt es diverse Anspielungen und Seitenhiebe auf die Abenteuer eines kleinen Galliers). Denn die richtige Musik fehlt, damit die „Meeresgöttin“ Morgana wieder den Fischfang begünstigt. Überhaupt ist Musik (meist in Verbindung mit dem Schnockbüll) ein zentrales Motiv in Bizus Abenteuern, die hier übrigens chronologisch abgedruckt werden. Mal ist eine Harfe im Spiel, mal ein Kontrabass, mal ein munterer Dudelsack. Dabei spricht Bizu mit Tieren und mit Pflanzen, er tut keiner Fliege was zuleide, ist stets gut gelaunt, denkt positiv und ist immer hilfsbereit. Sei es einen kleinen Fisch beim Umzug zu unterstützen, oder ein kleines Vögelchen wieder in sein Nest zu setzen. Später befreit er in einem amüsanten Zweiteiler sogar einen verwunschenen Prinzen von seinem im wahrsten Sinne des Wortes hässlichem Dasein. Schön auch die Episode zu Spirous 40. Geburtstag (von Fourniers Teilzeitnachfolger Gégé in Szene gesetzt). Liebenswerter Lesestoff für Jung und Alt.
Sehr interessant und informativ ist das Vorwort, das neben ersten Entwürfen der Figur Fourniers ungewöhnlichen Werdegang schildert, von einem talentierten Nachwuchszeichner aus der Bretagne, der dann recht schnell die belgische Comic-Ikone Spirou übernehmen sollte. Fournier wurde „entdeckt“ (bei einer Signierstunde von Dupuis-Größen!) und gefördert von André Franquin. Bizu erschien ab 1967 im Spirou-Magazin und ist Fourniers erste Serie, in der er den klassischen Funny-Strich seines Lehrmeisters aufnahm und mit Legenden seiner bretonischen Heimat verband. So begegnen wir immer wieder Hinkelsteinen und Hünengräbern. Von der versunkenen Stadt Ys ist die Rede und der Schnockbüll bezeichnet sich als Korrigan. Auch ist Fourniers stilistische Entwicklung an seinen Geschichten abzulesen. Anfangs noch bemüht, was die Gags und den charakteristischen Funny-Strich betrifft, werden die Episoden ausgereifter und sicherer. Spätere Bizu-Geschichten zeugen von größerer Detail-Dichte und ausgefeilteren Storys und Gags, als Mischung aus der Kunst von Franquin und Séron. Wie auch er einst von Franquin beinflusst wurde, sollte Fournier später selbst zum Vorbild einer neuen Zeichner-Generation werden, unter der sich Größen wie Michel Plessix oder Emmanuel Lepage befanden.
Bizu ist freilich kein Vertreter ersten Ranges der Stilrichtung der École Marcinelle, deren bekannteste Schöpfung „Spirou und Fantasio“ ist. Umso schöner, dass Bizu nun in einer zweibändigen Gesamtausgabe gewürdigt wird. Die eigentlich keine ist, erschienen doch in den Achtziger Jahren zwei Alben bei der Konkurrenz, welche hier fehlen. Was natürlich schade ist. Band 1 umfasst Fourniers Bizu-Geschichten von 1967 und 1986, also vor und nach seiner Zeit als Zeichner und Autor von Spirou. Der zweite und letzte Band wird dann die vier albumlangen Storys beinhalten, die später entstanden sind (1986-1994). Die Reproduktion der Seiten ist nicht immer optimal und sorgte in Foren für Kritik. Der Druck ist – aufgrund mangelhafter Vorlagen, die leider nicht restauriert wurden – bisweilen schwammig und breiig (siehe Seite 86 als Negativbeispiel), wobei es lobenswert bleibt, dass der Band überhaupt bei uns veröffentlicht wird. Wer sich hinsichtlich Werk und Person Fourniers weiterbilden will, dem sei der gleichnamige Band von Salleck empfohlen. Eckart Schott ist es auch zu danken, dass er Fournier bereits diverse male zu Signierstunden nach Deutschland gebracht hat. Bleibt die Hoffnung, dass früher (von mir aus auch später) weitere franko-belgische Juwelen aus der zweiten Reihe (Die Gifticks gibt’s ja schon) bei uns veröffentlicht werden, wie beispielsweise „Prudence Petitpas“ von Maurice Maréchal, die als „Oma Pfiffig“ in den Siebziger Jahren diverse Kauka-Titel unsicher machte und seitdem nicht mehr gesehen wurde (und die immerhin u.a. von Goscinny und Greg geschrieben wurde).Der zweite Bizu Integral-Band erscheint demnächst bei Dupuis und danach auch hoffentlich bei uns. (bw)
Bizu Gesamtausgabe, Band 1
Text & Bilder: Jean-Claude Fournier, Gégé
240 Seiten in Farbe, Hardcover
Egmont Comic Collection
34,99 Euro
ISBN: 978-3-7704-3884-6