Weiß wie der Mond (Splitter)

August 16, 2015

Weiss wie der Mond (Splitter)

Nach dem Erfolg seines Comics über die Reise zu den Französischen Süd- und Antarktisgebieten (‚Reise zum Kerguelen-Archipel’, ebenfalls bei Splitter) bekommt Emmanuel Lepage das Angebot, auch ein Buch über das Adélieland zu machen, jenen Teil der Antarktis, der von Frankreich beansprucht wird. Die Kosten der Reise würden vom französischen Polarinstitut getragen. Und er darf wieder seinen Bruder François mitnehmen, der Fotograf ist und dessen Bilder dieses mal ebenfalls Teil des Buches werden sollen. Höhepunkt der Reise soll die Fahrt als Fahrer im Versorgungskonvoi werden, des Raid, der von der Küsten-Station Dumont d’Urville 1200 km ins Innere des Kontinents zur franko-italienischen Basis Concordia führt.

Doch schon vor der Abreise Weihnachten 2012 erfahren die Brüder, dass man sich als Mensch der antarktischen Natur unterordnen muss. Das Schiff, die Astrolabe, das die beiden zusammen mit der neuen Crew von Tasmanien ins Adélieland bringen soll, steckt im Eis fest. Und mit der Verzögerung gerät auch gleich schon das ganze Unternehmen in Gefahr, noch ehe es begonnen hat. Als es dann mit zwei Wochen Verspätung doch noch klappt, ist die Freude groß. In Hobart, Tasmanien, geht es an Bord und gleich beginnt Emmanuels Kampf gegen die Seekrankheit, die sich erst legt, als nach mehreren vergeblichen Versuchen, das Packeis zu durchqueren, endlich der antarktische Kontinent vor ihnen auftaucht. Dann folgt auf der Station Dumont d’Urville eine neue Enttäuschung: nur einer der Brüder darf am Raid teilnehmen. Die Wahl fällt auf François. Emmanuel ist am Boden zerstört. Doch dann die Erleichterung. Die Brüder setzen sich durch, beide bekommen einen der begehrten Fahrerplätze auf dem Raid. Eine unvergleichliche Fahrt durch das ewige Eis. Bei -30 bis -50 Grad. Immer gerade aus Richtung Süden, immer näher an den Pol. 1200 km in zwölf Tagen. Das letzte große Polarabenteuer…

Die Einsamkeit des Langstreckenfahrers

Dass eine Reise in die Antarktis keine gewöhnliche Urlaubsfahrt wird, ist klar. So schildert Lepage zu Beginn viele technische Details, berichtet ausführlich von den Aufgaben der einzelnen Wissenschaftler, ohne jedoch den kritischen oder belehrenden Zeigefinger zu erheben. Gleichsam werden die Expeditions-Teilnehmer wie auch die Leser behutsam auf das Kommende vorbereitet. Auf eine Reise in eine menschenfeindliche und doch so faszinierende Welt. Die diesmal mit zwei Medien festgehalten und dokumentiert wird: Comic und Fotografie, beides in diesem Band vereint.

Zwischen dem Geschehen bringt Lepage immer wieder Exkurse aus der Geschichte der Entdeckung und Erforschung des Kontinents, wobei er natürlich auch den Wettlauf um das Erreichen des Südpols zwischen Amundsen und Scott, der für Letzteren so tragisch endete, schildert. Später geht er noch auf die dramatische Endurance Expedition Shackletons ein, die dann doch noch einen beeindruckend glücklichen Ausgang für alle nahm. Trotz aller Technik und Vorbereitungen wird schnell klar, dass die Natur in dieser extremen Umgebung noch immer das Ruder fest in der Hand hält. Verzögerungen sind an der Tagesordnung. Warten und Geduld sind gefragt, so bei der Durchquerung des Packeises. Damit bleibt Zeit für sinnige Gedanken und Persönliches. François schreibt seiner Frau, Emmanuel kämpft mit sich selbst und reflektiert die Beziehung zu seinem Bruder. Zusammen mit einem kleinen Team – auf dem Schiff und während des Raids – aber doch in absoluter Einsamkeit und Abgeschiedenheit.

Die Astrolabe

Die Astrolabe

Dann kommt die künstlerische Komponente ins Spiel. Die wissenschaftliche Sicht tritt zurück. Lepage entdeckt und beschreibt die Schönheit des Eises, das Farbspektrum der Eisberge, das durch Sonne und Wasser beeinflusst wird. Aus Weiß wird bunt. Die lange und durchaus monotone Fahrt des Raid ist mit poetischen Texten und Beschreibungen der Selbstreflexion unterlegt. Bei all dem Warten und Verzögerungen, bei all dem eintönigen Leben während der Reise gelingt es Lepage, niemals langweilig zu werden. Das liegt an zahlreichen kleinen Episoden – Stichwort Pantoffeln – an den Begegnungen und Beschreibungen der Mitreisenden oder Mit-Abenteurer und natürlich zum großen Maß an dem optischen Stil des Bandes. Emmanuels Zeichnungen sind wie schon bei ‚Reise zum Kerguelen-Archipel‘ meist in kunstvollem schwarz-grau-weiß gehalten, unterbrochen von vor Ort entstandenen farbige-abstrakten Aquarellen und ergänzt durch die Fotografien François‘. Die sind perfekt eingebunden, manchmal sogar erst beim zweiten Hinsehen als solche erkennbar und faszinierend in den Doppelseiten, wo sie die grandiose Weite und Einsamkeit beeindruckend vermitteln. Ein wunderschöner, atemberaubender Band, der uns eine der ungewöhnlichsten Reisen, die auf unserem Planeten überhaupt möglich ist, hautnah miterleben lässt. (bw)

Weiß wie der Mond
Text & Bilder: Emmanuel Lepage, François Lepage
256 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
39,80 Euro

ISBN: 978-3-95839-146-8

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