Seltsame Vorgänge ereignen sich im Zoo: des Nachts klettert ein Eindringling per Strickleiter direkt ins Krokodils-Becken, wo er – Überraschung! – mit Haut und Haaren gefressen wird. Ratlosigkeit bei Polizei und Zoo-Direktion, die sich alsbald darüber streiten, ob denn nun alle Krokodile umgebracht und obduziert werden müssen, um zu klären, was es mit dieser rätselhaften Tat auf sich hat. Gerade als die junge Philosophie-Professorin Kalon die ganze mysteriöse Sache im Radio hört, streikt ihr Auto, ein wunderbares Liebhaber-Modell. Glück im Unglück, dass gerade der flotte Tonio Braun mit seinem ebenso eleganten Alfa-Oldtimer vorbeihuscht und flugs das Verteiler-Problem behebt. Kalon ist bezirzt und besucht Tonio in seiner Werkstatt, während im Zoo die Direktorin Dr. Drasius mit einigen Tierschützern gerade noch verhindert, dass alle sechs Krokodile einkassiert werden. Die Dame hat das Problem eigentlich nur geerbt, denn sie hat die Zooleitung erst vor fünf Tagen von Professor Banting übernommen, den Kalon bestens kennt, da ein Freund von ihr seine Promotion bei Banting geschrieben hatte.
Spätestens jetzt ist Kalons Neugierde geweckt: sie behandelt den Fall wie ein Beispiel für ihr philosophisches Fachgebiet Hermeneutik: wenn etwas verwirrend und unlogisch wirkt, dann kennt man eben nur die richtige Frage nicht, auf die die Ereignisse die Antwort oder die Folge sind. Gemeinsam mit Tonio macht sich Kalon daran, die richtigen Fragen zu stellen, also zu ergründen, welche Ereignisse zu den wunderlichen Vorgängen im Zoo geführt haben, wozu sie auch den ehemaligen Doktorschüler Bantings, den Biologen Gunnar, hinzuziehen, der von Banting zu seinem wissenschaftlichen Nachlassverwalter bestimmt worden ist. Gunnar kann Spannendes berichten – unter anderem, dass Banting einen Bruder in Amsterdam hat, mit dem er sich im Streit über eine Frau unversöhnlich entzweit hatte, die kurz nach der Hochzeit starb. In Bantings Wohnung entdeckt Kalon dann ebenso allerlei Merkwürdigkeiten, wie etwa zehn eigens gedruckte Exemplare von Faltplänen des Zoos und Hinweise auf einen Fetisch eines afrikanischen Stammes, bei dem Krokodile offenbar im Zuge von Gerichtsritualen eine zentrale Rolle einnehmen. Aus diesem Puzzleteil setzt sich langsam aber sicher das Bild einer finsteren Verschwörung zusammen, in dem die Ereignisse im Zoo noch längst nicht die abseitigsten Bestandteile sind…
In fast schon klassischer Sherlock Holmes-Manier entfalten Sillá (hinter diesem Kombi-Künstlernamen verbergen sich Silke Reberg und Lambert Wiesing) hier einen Kriminalfall, der mit eigentlich vollkommen unerklärlichen Vorgängen beginnt und immer mehr auf seine wenn auch abenteuerliche, am Ende dennoch einzig logische Aufklärung zujagt. Geschickt verbinden die beiden dabei Motive der Erkenntnistheorie (Hermeneutik at work, gewissermaßen) mit Detektiv- und Horror-Elementen, so dass der anfangs sperrig-ironisch wirkende Titel – Philosophie-Grundkurs trifft auf Blutgericht in Texas/wahlweise reitende Leichen, denkt man zunächst – doch so passt wie ein Lesebändchen in eine Schopenhauer-Ausgabe. Garniert mit der Oldtimer-Begeisterung der Protagonisten und der langsamen Enthüllung der Hintergründe entsteht so ein spannendes Lesevergnügen, das auch gestalterische Umsetzung Ausrufezeichen setzt: jenseits des albentypischen franko-belgischen Stils arbeitet Team Sillá mit kräftigem, akzentuiertem Strich und wundervoll stimmiger Wasserfarben-Kolorierung, die dem Geschehen einen leicht überhöhten, aber immer charakteristischen Touch geben. So in etwa würde es wohl aussehen, wenn Matthias Schultheiss sich an eine Tim und Struppi-Geschichte machen würde, und das sind sicherlich nicht die schlechtesten Referenzen, fürwahr. Der schöne Band, der auf dem Comic-Salon in Erlangen von den beiden Machern vorgestellt wurde, kommt auch in einer limitierten Auflage sowie in noch selteneren Künstler-Exemplaren. (hb)
Kalon und Tonio
Text & Bilder: Sillá
88 Seiten in Farbe, Softcover
Kult Comics
22,95 Euro
ISBN: 978-3-9817960-8-7