Der Goldkäfer (Knesebeck)

April 25, 2024
Der Goldkäfer (Knesebeck Verlag)

Schatzsuchen haben doch immer etwas Munteres. Das stellt auch der nicht benannte Erzähler fest, als er seinen alten Freund William Legrand besucht, der sein ganzes Vermögen verloren hat und seitdem auf dem sumpfigen Sullivan’s Island als Einsiedler lebt. Als Legrand mit seinem Diener Jupiter in die Hütte stürmt und seinem alten Gefährten stolz einen goldenen Käfer zeigt, den er am Strand gefunden hat, nehmen die Dinge ihren Lauf. Legrand fertigt eine Skizze des Skarabäus an, die verdächtig aussieht wie ein Totenkopf, aber ein seltsames Eigenleben zu führen scheint und seine Gestalt verändert.

Einen Monat später: Legrand ist besessen von Zahlenrätseln und teilt seinem erstaunten Freund mit, der goldene Käfer sei zweifelsohne der Schlüssel zu unermesslichem Reichtum. Frohgemut geht man auf eine Expedition ins wilde Hinterland der Insel, wo Legrand an einem Baum Halt macht und seinen Diener den Stamm hoch hetzt, wo der doch tatsächlich einen Totenkopf findet. Legrand instruiert Jupiter, den Käfer als Senkblei zu verwenden und legt so eine Stelle am Boden fest, wo man wild anfängt zu buddeln. Die Suche verläuft zunächst ergebnislos, aber Legrand ertappt seinen Diener dabei, das rechte und linke Auge des Schädels verwechselt zu haben. Ein paar Meter weiter buddelt man dann tatsächlich eine gewaltige Schatzkiste aus, deren Inhalt die drei Glücklichen mühselig in Legrands Hütte schaffen.

Dort eröffnet der Glücksritter dem staunenden Freund, wie er auf den Sensationsfund kam: das Pergament, auf dem er die Skizze des Käfers anfertigte, war ein Fund aus einem angeschwemmten Schiffwrack. Die Wärme des Feuers ließ die Totenkopfskizze zu Tage treten, gepaart mit einem Ziegenkopf – was Legrand auf die Fährte setzte, das Papier müsse ein Schatzkarte des alten Piratenchefs Kapitän Kidd verbergen (funktioniert nur auf Englisch, wo „kid“ auch Zicklein bedeutet). Weiteres Abwaschen brachte dann einen Zahlencode zu Tage, den Legrand nach allen Regeln der Logik angeht und schließlich tatsächlich entschlüsselt…

Edgar Allan Poe gilt gemeinhin als Schöpfer gleich zweier literarischer Genres. Zum einen verbindet man Poe mit oft symbolischen, stimmungsvollen Kurzgeschichten, in denen sich blanker Horror verbreitet, so etwa bei „Masque of the Red Death“, „Fall of the House of Usher“ oder „The Pit and the Pendulum“, die dann allesamt in den 1960ern durch Roger Cormans plüschig-knallige Verfilmungen mit dem unnachahmlichen Vincent Price in der Hauptrolle auch dem Autokino-Publikum bekannt wurden.

Daneben darf Poe sich auf die Fahnen schreiben, neben Arthur Conan Doyle (der allerdings erst einige Jahre nach Poe aktiv wurde) die ersten waschechten Detektivgeschichten abgeliefert zu haben: in „The Purloined Letter“, „The Mystery of Marie Roget“ und vor allem den „Murders in the Rue Morgue“ geht Poes Detektiv C. Auguste Dupin (ein klar erkennbares Vorbild für Agatha Christies Feinschmecker-Spürnase Hercule Poirot) scharfsinnig auf Spurensuche und leitet, wie sei bekannterer englischer Kollege Sherlock Holmes, aus diversen Hinweisen die einzig verbleibende Lösung ab.

Mit der Erzählung „The Gold Bug“, die erstmals im Juni 1843 im Dollar Newspaper erschien, konzentrierte sich Poe auf den Spezialaspekt der Dechiffrierung einer Geheimschrift, die Legrand anhand der Häufigkeit von Buchstaben und Zeichenfolgen Schritt für Schritt logisch vornimmt und seinem Zuhörer ausführlich darlegt. Poe selbst interessierte sich derartig für Geheimschriften, dass er in seiner Tätigkeit als Journalist die Leser aufforderte, ihm chiffrierte Texte und Kryptogramme zuzusenden, die er dann in der Tat erfolgreich entschlüsselte. Im „Gold Bug“ führte er diese Kunst dann wirkungsvoll vor und lieferte nebenbei noch einen kritischen Beitrag zur seinerzeit anhängigen Debatte um die Einführung des Papiergeldes.

Sullivan’s Island kannte Poe bestens aus seiner Zeit als Soldat, wodurch er die Lokalität glaubhaft beschreiben konnte und mit diversen Legenden um den Piraten William Kidd verband, den auch schon Washington Irving als Basis für eine Erzählung verwendet hatte (und dem auch das Hamburger Piratenkommando von Running Wild in der „Ballad of William Kidd“ ein mächtiges Denkmal setzte). In ihrer Adaption folgen der emsige Éric Corbeyran und Paul Marcel (der Vorlage eng, komplett mit dem erzählerischen Bruch, als Legrand ab der Mitte im Rückblick seine Entschlüsselungsarbeit schildert.

Corbeyran kann dabei gehörig in der Piratenmythologie schwelgen, wie schon in „Unter Schwarzer Flagge“, während Marcel, der auch bereits in „Tutanchamuns Vermächtnis“ sein Können eindrucksvoll unter Beweis stellte, das Geschehen pastellartig, malerisch, fast schon überhöht darstellt und vor allem Legrand des Öfteren erscheint wie eine teuflische Figur. Diese erste graphische Umsetzung der Erzählung Poes gelingt damit meisterhaft und erscheint bei Knesebeck standesgemäß als hochwertiges Hardcover. (hb)

Der Goldkäfer
Text & Story: Éric Corbeyran, nach Edgar Allan Poe
Bilder: Paul Marcel
48 Seiten in Farbe, Hardcover
Knesebeck Verlag
22 Euro

ISBN: 978-3-95728-788-5

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