Der Fluch der Piratenbraut, Band 1 (Hinstorff)

Februar 5, 2018

Jamaica, das kennt man heutzutage ja fast nur noch bei Anlässen, in denen zerknautsche Politiker betrübt in die Kamera blinzeln und zu Protokoll geben, man sei da irgendwie jetzt doch nicht weitergekommen. Aber im Jahre 1728, da waren rund um Port Elisabeth noch Männer von echtem Schrot und Korn unterwegs: die sieben Meere werden von waschechten Piraten unsicher gemacht, die auch die Häfen in Angst und Schrecken halten. Als ihr Vater, der feiste Gouverneur Maygun, königlichen Besuch erwartet und dafür ein schmackiges Festmahl ausrichten will, lernt seine Tochter Apollonia auf der Straße ein zerlumptes Mädchen kennen, das einigen Frechdachsen gerade tatkräftig Mores lehrt. Als die „verfluchte Piratenbraut“ gibt die forsche Kleine sich zu erkennen und erzählt ihre Geschichte: die Tochter eines berühmten Piraten sei sie, der auf dem legendären Schwarzen Wasser der Omertá kreuzt. Bald will sie einen Weg gefunden haben, sich ihm anzuschließen, da ist sie sich ganz sicher.

Beim Festmahl des Gouverneurs eskaliert die Lage dann: anstelle brav zu repräsentieren, mischt Apollonia, begeistert von der Erzählung der Piratenbraut, die Sache ordentlich auf. Empört sperrt ihr Vater sie in den Weinkeller und schickt einen Mordbuben, um den unliebsamen Einfluss auf seine Tochter aus dem Weg zu räumen. Der finstere Geselle kann die Kleine zwar entführen, fällt aber einem Hai zum Opfer, während ein mysteriöser Papagei namens Pepper Dice der Piratenbraut zu Hilfe eilt, sich in einen Fisch verwandelt und gemeinsam mit der jungen Dame auf dem Grund des Ozeans Hinweise auf den Verbleib des Vater sucht. Neben ein paar streitsüchtigen Schwertfischen in Ritterrüstung finden die beiden tatsächlich eine Spur und tauchen beim Piratenschiff Carrion wieder auf. Dort residiert allerdings nicht der liebe Vater, sondern Kapitän Holly, der die Piratenbraut gefangen nimmt und in die Kombüse steckt. Hier lernt sie den Schiffskoch Jacob kennen, der ihr verrät, dass von den ursprünglich fünf Piratenschiffen auf der Omertá nur noch vier übrig sind. Die wackere junge Dame weigert sich zu glauben, dass ihr Vater nicht mehr unter den Lebenden weilt, inszeniert virtuos eine abenteuerliche Flucht und macht sich auf in Richtung nächstes Schiff, immer auf der Suche nach ihrem ersehnten Ziel…

Der US-Künstler Jeremy A. Bastian legt mit seinem „Cursed Pirate Girl“, so der Originaltitel, eine wilde Fahrt durch Literatur-, Film- und Kunstgeschichte vor, die es in sich hat: wie in einem klassischen Piratenfilm gibt es Schatzkarten, versteckte Schlüssel, das „x“ markiert manchmal eben doch den relevanten Punkt, der Papagei radebrecht durchaus passable Menschensprache, die Buddel voll Rum kreist, und der dekadente, obrigkeitshörige Gouverneur beherrscht die Hafeninsel voller Willkür. Soweit, soviel Errol Flynn in „Captain Blood“ und „Herr der Sieben Meere“. Dazu mischt Bastian aber dann eine gehörige Prise Astrid Lindgren: die Piratenbraut lebt wie eine gewisse Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter Langstrumpf gegen jede Konvention selbstbestimmt alleine und träumt davon, ihren Vater auf seinen sagenumwobenen Fahrten zu begleiten. Auf dem Weg dorthin verlassen wir dann zunehmend die Realität und tauchen in eine märchenhafte Traumwelt ein, in der Papageien in Fische schlüpfen, Piraten aussehen wie große Kartoffeln, Sägefische wie gestandene Ritter gegeneinander antreten, groteske Fabelwesen allgegenwärtig sind und man unter Wasser bestens atmen kann.

Hier geben sich also Jules Verne und George Méliès die gegenseitige kreative Ehre, was sich dann auch in der zeichnerischen Gestaltung niederschlägt: wie die Kupferstiche der viktorianischen illustrierten Romane kommen die Zeichnungen Bastians daher, die mit Stift und Pinsel auf dreilagiges Pergament-Papier aufgebracht werden, was die unwirklich-fantastische Note des Geschehens optisch wunderbar unterstreicht. Dazu kommen dann noch symbolisch-überhöhte Zwischenepisoden, die den Leser zwar manchmal etwas ratlos hinterlassen, aber andererseits zur Faszination dieses wunderbar einfallsreichen Spiels mit Motiven und Handlungsbögen beitragen. Ein Piratenmärchen für Erwachsene also, das hier mit Band 1 einen verheißungsvollen, durch einen Anhang mit Skizzen u.a. von Mike Mignola und Scott Schulman ergänzten Anfang nimmt. (hb)

Der Fluch der Piratenbraut, Band 1
Text & Bilder: Jeremy Alan Bastian
144 Seiten in Schwarz-Weiß, Softcover
Hinstorff Verlag
19,99 Euro

ISBN: 978-3-356-02154-7

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