Quentin Tarantino (Splitter)

April 4, 2024
Quentin Tarantino – Die Graphic Novel Biografie (Splitter Verlag)

Seinen eigenen Namen zu einem Adjektiv machen, das schaffen nicht viele, da muss man schon Kafka oder ähnlich heißen. Oder eben Quentin Tarantino, dem in den 90ern das Kunststück gelingt, mit wenigen Filmen eine ganze Stilrichtung zu prägen, die viele Nachahmer, aber keinen zweiten Meister findet. Wie sich das zutrug, das breitet Graphic Novel-Spezialist Amazing Ameziane (auch verantwortlich für eine Adaption von George Orwells 1984, klingt selbst wie ein Zirkuscharakter – „erleben Sie hier den erstaunlichen Ameziane!“) in diesem wahrlich voluminösen Kompendium aus. Dabei changiert der Erstaunliche zwischen Interview-Szenen, Unterhaltungen, Szenen aus Tarantinos Filmen und erklärenden Passagen, die oft wahrlich Überraschendes künden.

Halbwegs, aber nicht ganz chronologisch erzählt Ameziane so die Geschichte des jungen Quentin, der früh ohne Vater auskommen muss und daher mit dem Lebensgefährten seiner Mutter schon ins Kino geht, als seine Spielkameraden noch im Sandkasten sitzen: mit vier sieht er ein Double Feature aus „Deliverance“ und „The Wild Bunch“, der Startschuss für eine lebenslange Leidenschaft für das Kino. Natürlich liest der kleine Quentin gerne auch Comics, bevorzugt Blaxpoitation – Luke Cage und sein Kumpel Iron Fist sind seine Helden, die man bekanntlich mieten kann. Trotz oder gerade wegen seines IQs von 160 kann er mit der Schule nichts anfangen, außer Englisch und Geschichte langweilt ihn alles, weshalb er sich lieber mit Jobs über Wasser hält – zuerst im Foyer eines Pornokinos, dann in der Videothek Video Archives, wo er mit Kumpel Roger Avary auch wohnt.

Bald entsteht das erste Drehbuch, Arbeitstitel „My Best Friend’s Birthday“, das sich auf Basis einer Idee Avarys in den Händen des jungen Quentin im Laufe der Jahre zu „True Romance“ entwickeln soll. Tony Scott ist begeistert von der Sprachgewalt, den witzigen Dialogen und der Mischung aus Trivialroman-Motiven mit Kunstfertigkeit, er kauft das Skript, das allerdings irgendwann bei Miramax landet. Scotts Adressbuch ist groß, alsbald interessieren sich Stars wie Christopher Walken, Gary Oldman und Dennis Hopper für das Projekt. Aber bevor die Geschichte von Alabama das Licht der Leinwand erblickt, hat Quentin schon ein neues Eisen im Feuer: eine Gangsterballade namens „Reservoir Dogs“ erregt die Aufmerksamkeit von Harvey Keitel. Keitel bietet an, den Film zu produzieren und eine Hauptrolle zu übernehmen.

Mit Geld und einem zugkräftigen Namen gelingt Tarantino ein brillantes Casting, bei dem er selbst neben Tim Roth, Steve Buscemi und Michael Madsen ebenfalls auftritt. Der Film wird zum Überraschungshit: nie gab es einen Gangsterfilm, in dem man ausführlich über Madonna und Top Gun schwadroniert, bevor sich die Bande brutalst selbst zerlegt, alles zu den flockigen Klängen von „Stuck in the Middle with You“. Atemlos prescht Tarantino zum nächsten Projekt: der treffend betitelte „Pulp Fiction“ greift die Grundidee von Mario Bavas „Black Sabbath“ auf, verbindet drei Geschichten eng miteinander, macht Samuel L. Jackson zum Superstar und reaktiviert die Karriere eines gewissen John Travolta, den Tarantino gegen massive Widerstände des Produzenten Harvey Weinstein durchsetzt.

Wieder brilliert Tarantino als Dialogschreiber, der skurrile Situationen und unsterbliche Szenen schafft – und Travolta endlich wieder tanzen lässt, während der Film über weite Strecken von Kumpel Robert Rodriguez gedreht wird, der dafür keine Credits will. Tarantino ist ganz oben angekommen: er gewinnt nicht nur einen Oscar für das beste Drehbuch, sondern auch die Goldene Palme in Cannes. Auch „True Romance“ kommt nun endlich in die Kinos, wenn auch nicht wie von Tarantino ersonnen: Scott hat den Film in die chronologische Reihenfolge gebracht und das Ende verändert. QT ist sauer, aber der Film tritt ebenfalls einen Siegeszug an. Dann aber landet Tarantino mit dem Gemeinschaftsprojekt „Four Rooms“ seinen ersten veritablen Flop. Noch lässt er sich nicht verunsichern, immerhin fällt dabei ab, dass Robert Rodriguez die wilde Gangster/Vampir-Abfahrt „From Dusk Till Dawn“ umsetzt, durch die George Clooney vom Kinderarzt im Emergency Room zum Actionheld Mr. Cool wird.

Begeistert liest Tarantino nach wie vor Kriminal- und Trivialromane, vor allem Elmore Leonard hat es ihm mit „Rum Punch“ angetan, den er als Basis für sein nächstes Projekt nimmt. Als alter Blaxpoitation-Fan bringt er in „Jackie Brown“ die Trash-Königin der 70er Pam Grier zurück und nimmt dabei den alten Haudegen Robert Forster gleich mit. Aber auch Samuel L. Jackson und Robert de Niro als weitere Darsteller können nicht verhindern, dass der Film zwar wohlwollend aufgenommen, aber eben kein Hit wird. Ein solcher gelingt Tarantino erst wieder mit „The Bride“, einem Script, das Uma Thurman für sich entdeckt und das letztendlich als „Kill Bill“ in die Kinos kommen wird. Kevin Costner und Warren Beatty winken für die Rolle des Bill ab, aber Beatty empfiehlt David Carradine für das Epos, das als Hommage an Exploitation-Filme wie „I Spit On Your Grave“ genauso funktioniert wie als Kung Fu-Referenz, in der nun endlich auch der Martial Arts-Recke Sonny Chiba auftaucht, der in „True Romance“ schon weidlich zitiert wurde.

Die Drehbarbeiten werden überschattet von einem schweren Autounfall, den Uma Thurman mit Glück überlebt – das Verhältnis der beiden wird danach nie mehr dasselbe sein. „Kill Bill“ räumt an den Kassen ab, Produzent Weinstein ist glücklich, aber das nun folgende „Grindhouse“-Projekt ist wieder ein Misserfolg: Tarantinos sieht seinen eigenen Beitrag „Death Proof“ als seine bisher schlechteste Leistung. An diesem Wendepunkt macht er sich endlich an ein Skript, das er seit Jahren herumträgt: „Once Upon A Time In Occupied France“ wird entscheiden, ob sein Stern verblasst oder wieder aufgeht… was dann ja mit „Inglourious Basterds“ formidabel gelingt, so viel Spoiler kann man mal auflösen.

Es ist schier unmöglich, die Fülle der Informationen, Seitenhiebe, Tiraden und Trivia aufzuzählen, die Herr Ameziane hier über uns ausschüttet. Tarantino selbst führt wortgewaltig aus, auf was es ihm ankommt: das Kino, und zwar das traditionelle, mit Zelluloid, das ist seine Leidenschaft. Seine Stilmittel entwickelt er bewusst in Verneigung vor großen Vorbildern: das Augenmerk auf geschliffene Dialoge, die nicht chronologische Erzählweise, die Verbindung aus oft trivialen Quellen und großer filmischer Geste – all das hat er nicht erfunden, wie er beteuert, man denke nur an „Citizen Kane“, „Rashomon“, die Screwball-Comedies der 30er, an Werke der Nouvelle Vague, von Scorsese und Leone – was man ihm gerne als formelhaft vorwirft, dagegen verwahrt er sich, er hat das perfektioniert und auf die Spitze getrieben.

Genial dabei die Verbindung aus Pop-Kultur, Trivialreferenzen und schier endlosen Filmzitaten – wobei er auch das nicht erfunden, sondern sich zu eigen gemacht hat, was er uns staunenden Zuschauern mit Verweisen auf Stanley Kubrick (der die berühmte Sequenz in „Shining“, in der Jack Nicholson per Axt durch die Tür kommt, ziemlich genau vom schwedischen Stummfilm „Der Fuhrmann des Todes“ übernimmt) oder auch George Lucas/Stephen Spielberg, die die Anfangssequenz und den Titel von „Raiders of the Lost Ark“ ziemlich unverhohlen von „Raiders of Ghost Town“ abkupfern. Hommagen und Zitate sind Spiele für intelligente Menschen, so Tarantino selbstbewusst – und die Eimerladungen Blut, die für ihn genauso charakteristisch sind, auch die müssen zielgerichtet eingesetzt werden und funktionieren nicht als platte Formel. Stimmt.

Die aufgebrochene Chronologie kennt man zur Genüge aus Kriminalromanen, wer hier nicht folgen kann, liest offenbar nicht – an Selbstbewusstsein mangelt es dem Herren beileibe nicht, warum auch, immerhin liefert er mit „Django Unchained“, „The Hateful 8“ und „Once Upon A Time in Hollywood“ einen meisterhaften Kassenschlager nach dem anderen. Angst, so erklärt er, hat er nur vor dem Tod des „echten“ Kinos aus Zelluloid, den er bei seinem einen Ausflug in die digitale Welt in Rodriguez‘ Frank Miller-Adaption „Sin City“ zu erleben glaubt.

Falls Filme nur noch digital gedreht und dann auf dem Smartphone angesehen werden, dann wird er nur noch Romane auf Papier schreiben, so kündigt er uns das an. Auch zeichnerisch ist in diesem Foliant einiges zu sehen, von suggestiven Gesprächsszenen über Filmposter, Scherenschnitt-haftige Elemente und Cartoon-Sequenzen bietet Herr Erstaunlich alles auf – und sogar eine schneidige Hommage an die epochale Wolverine-Miniserie von Frank Miller und Chris Claremont mitsamt ihrem Leitsatz „I’m the best at what I do“. Wer das von sich behaupten kann, der hat‘s wohl irgendwie geschafft. Bei Splitter kann man die massive Biographie auf 240 Seiten im großformativen Hardcover bestaunen. Was man als Kino- und Comicfreund unbedingt tun sollte. (hb)

Quentin Tarantino – Die Graphic Novel Biografie
Text & Bilder: Amazing Ameziane
240 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
35 Euro

ISBN: 978-3-98721-269-7

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