Berlin 1920: der aufstrebende Regisseur Fritz Lang findet Gefallen an der Drehbuchautorin Thea von Harbou – für den Geschmack seiner Frau Lisa Rosenthal etwas zu viel, die sich aus Verzweiflung erschießt. Während die Polizei auf die Sache aufmerksam wird und Lang und Harbou immer wieder verhört, nimmt Langs Karriere immer mehr Fahrt auf. Der ehemalige Kunst-Maler-Bummel-Student hatte 1913 in Paris in Gestalt von Louis Feuillades Sensations-Serial Fantomas erstmals das Kino kennen gelernt und ist seitdem fasziniert von der Möglichkeit, mit bewegten Bildern zu „malen“. 1914 kehrt er aufgrund des Kriegsausbruchs nach Wien zurück, meldet sich freiwillig zum Dienst und wird 1916 am Auge verletzt, so dass sein Monokel ab sofort sogar einen echten Zweck erfüllt.
Die Begeisterung für den Film führt ihn schließlich zum Produzenten und Regisseur Joe May, für den er erste Drehbücher liefert, darunter 1917 für „Die Hochzeit im Exzentrik Club“ und das Melodram „Hilde Warren und der Tod“. Die Zusammenarbeit gestaltet sich reichlich frustrierend, da May kein Problem damit hat, den Namen seiner Mitarbeiter im Abspann unter den Tisch fallen zu lassen – da kommt Lang das Angebot des Produzenten Erich Pommer, für seine Decla zu arbeiten, gerade recht. 1919 legt Lang mit „Halbblut“ seine erste Regie-Arbeit vor, der im gleichen Jahr das exotische Abenteuerspektakel „Die Spinnen“ folgt, das Lang (der im gleichen Jahr völlig überstürzt die junge Lisa heiratet) den ersten veritablen Hit beschert.
Die Pommer-Produktion „Das Kabinett des Dr. Caligari“ kann er aus Zeitdruck nicht übernehmen, und für das „Indische Grabmal“ kann Joe May Lang 1920 nochmals von einer Zusammenarbeit überzeugen, bei der Langs Faszination für die Autorin Thea von Harbou vollends ihren Lauf nimmt. Nach weiterem Ärger mit May und einigen Flops (u.a. mit der Fortsetzung der „Spinnen“) gelingt Lang mit der Pommer-Produktion „Der müde Tod“ 1921 schließlich ein aufsehenerregender Erfolg: die düstere Geschichte des Todes, der seines Amtes müde ist, liefert in expressive Gestaltung, finsterer Atmosphäre, exotischen Schauplätzen und inszenatorischer Brillanz alle Zutaten, die Langs Ruf als Visionär des Kinos begründen.
Während sich in München mit Hetzreden im Bürgerbräukeller eine „Karriere“ ganz anderer Art ankündigt, macht sich Lang an sein nächstes Werk. Er will die Dekadenz, das Spekulantentum und moralische Verderbtheit des nach seinen Worten „verfaulenden Deutschlands“ spiegeln und findet in Norbert Jacques‘ Roman um „Dr. Mabuse der Spieler“ eine kongeniale Vorlage. Besetzt mit Harbous Ex-Mann Rudolf Klein-Rogge und gespickt mit filmischer Virtuosität (Parallelmontagen zur Spannungssteigerung, symbolische Überblendungen, geniale Einstellungen) übertüncht der Film so manche Trivialität im Drehbuch und macht Lang endgültig zum Star-Regisseur der Ufa.
Harbou stilisiert ihren Mann ihrerseits mit teurem Auto nebst Chauffeur zum exzentrischen Meister und schlägt als nächstes Werk eine Umsetzung der deutschen Sage schlechthin vor: während ein gewisser Adolf Hitler nach dem gescheiterten Putschversuch in Landsberg einsitzt und sein Machwerk „Mein Kampf“ entsteht, lässt Lang in Neubabelsberg in zutiefst expressionistischer Ausprägung die Wunderwelt der „Nibelungen“ aufsteigen (wobei ihm ein unbekannter junger Regieanfänger namens Alfred Hitchcock auf Studiobesuch über die Schulter schaut) und landet in der Verbindung aus Stilisierung, brillanten optischen Tricks und düsterer Rachegeschichte einen weiteren Welterfolg.
Während Hitler, wieder auf freiem Fuß, seine „Bewegung“ immer mehr organisiert, besucht Lang zusammen mit Pommer die USA und ist fasziniert von der Skyline von Manhattan, die ihn – zumindest dem von ihm selbst später gerne gepflegten Mythos zufolge – zu seinem nächsten Film inspiriert. „Metropolis“ gerät in allen Belangen zur Mega-Produktion: mit ausufernder Drehzeit, explodierendem Budget und grenzenlosem Perfektionismus bringt Lang Pommer und die Ufa an den Rand des Ruins (auch das allerdings nur als Teil eines bewussten Narrativs), seine Darsteller zur Verzweiflung und ans Ende ihrer Kräfte – und die Kritiker zum hämischen Schäumen, die sich über die Plattheit des Harbouschen Drehbuchs genüsslich auslassen.
Erheblich gekürzt und umarrangiert, gerät Langs ambitionierte, dystopische Zukunftsvision zum Fehlschlag. Er gründet seine eigene Produktionsgesellschaft, um überhaupt noch mit der Ufa arbeiten zu können, die mit den Parufamet-Verträgen den Ausverkauf an die Amerikaner besiegelt. Nach dem Erfolg „Spione“ und dem erneut von den Kritikern verrissenen „Frau im Mond“ macht sich Lang für die unabhängige kleine Nero-Film an ein realistisches Abbild eines Triebmörders: mit revolutionärem Einsatz der neuen Tontechnik und menschlichen Abgründen (jeder kann ein Mörder sein) sorgt „M“ für Furore und gefällt sogar den Nazis, die immer kräftiger nach der Macht in Deutschland greifen.
Das führt auch im Hause Lang für Zwietracht: während Lang keine Sympathie für den „brüllenden Gefreiten“ hegt, träumt Thea von Harbou von einem wieder erstarkten, würdevollen Deutschland. Nachdem Lang sich auf einer Propaganda-Veranstaltung selbst ein Bild der Hetzreden macht, will er ein Zeichen setzen: im „Testament des Dr. Mabuse“ legt er 1933 dem titelgebenden größenwahnsinnigen Verbrecher Formulierungen in den Mund, die nicht nur die wild protestierende Thea von Harbou als eindeutige Referenz auf die Nazis versteht. Prompt wird der Film verboten, aber sowohl Hitler als auch Goebbels erkennen Langs Genie: der Reichspropagandaminister bietet Lang nicht weniger als die Leitung des deutschen Films an. Lang muss eine folgenschwere Entscheidung treffen…
Visionär. Besessener Filmbegeisterter. Genialer Regisseur. Egomane. Selbstdarsteller. Die Charakterisierungen von Fritz Lang sind ebenso vielfältig wie zutreffend. Wie kein anderer prägte der gebürtige Österreicher Lang das junge Kino mit erzählerischer Brillanz, technischer Innovation und Weitsicht. Eingebettet in oft bombastische Kulissen, zeichnete Lang künstlerisch überformt Geschichten voller Dramatik und Tragik. Monumentale Bauten, exzessive Drehzeiten, diktatorisches Gehabe am Set und die zweifelhafte Allianz mit Thea von Harbou kennzeichnen sein Werk ebenso wie zeitgenössische Bezüge und teilweise fast reportagehafter Stil. Untrennbar mit seinem Namen verbunden sind die Erfolge der „Nibelungen“ und des „Dr. Mabuse“, aber auch der phänomenale Flop des bis dahin teuersten deutschen Films „Metropolis“, dem man gerne die Ufa-Pleite anlastet (was nur teilweise stimmt, Erich Pommers verschwenderische Produktionen mit teutonischer Melancholie hatten den Konzern schon vorher arg belastet).
Die fulminante und eindrucksvolle Biographie, die Arnaud Delalande und Éric Liberge („Unter Knochen“ bei Splitter) hier vorlegen, setzt bei der gewaltigen Aufgabe, sich diesem Mythos zu nähern, gleich mehrere kluge Akzente. Langs „zweite“ Karriere in Amerika, bei der er im Gegensatz zu seinen Kollegen Ernst Lubitsch oder Billy Wilder nie an seine deutschen Erfolge anknüpfen konnte, bleibt ausgespart: das Geschehen schließt 1933 mit Langs Passage in die USA. Langs Eigenart, in späteren Interviews und Berichten die Realität durchaus etwas zurechtzubiegen und nach seinem Gusto zu stilisieren, folgen Delalande und Liberge dabei nicht: Langs gerne und oft vorgetragene Legende, der zufolge ihn der Anblick von Manhattan bei Nacht ihn zu „Metropolis“ inspiriert habe, findet sich nicht wieder (schon vor der USA-Reise lag ein ausgearbeitetes Treatment zum neuen Filmprojekt vor).
Ebenso wenig flieht Lang wie in seinen Erzählungen noch an dem Abend aus Deutschland, als ihm Goebbels die Leitung des deutschen Films anbietet (in der Realität kehrte Lang noch einige Male nach Berlin zurück, um seine Angelegenheiten zu ordnen, was anlässlich des Auftauchens seines Reisepasses mit diversen entsprechenden Einträgen im Jahr 1990 durchaus zum Skandälchen aufgebauscht wurde, was nun auch wieder übertrieben scheint – Fakt ist, dass Lang das Land verließ, auch wenn er die Umstände später etwas verklärte). Mit viel Gewicht und fast schon als roter Faden hingegen durchzieht ein Vorfall das Geschehen, den Lang später nur allzu gerne verschwieg: seine Kurzzeit-Ehe mit der jungen Lisa Rosenthal, die unter bis heute ungeklärten Umständen 1920 durch einen Schuss aus Langs Pistole zu Tode kam, nachdem sie ihn mit Harbou überrascht hatte.
In der Fassung von Delalande und Liberge avanciert dieses Ereignis (man einigte sich offiziell wohl nebulös auf einen „Unfall“) zum Schlüsselerlebnis für Lang, der seitdem geplagt von Schuldgefühlen und Alpträumen versucht, in seinen Filmen das Geschehene zu verarbeiten. Quasi als personifiziertes schlechtes Gewissen taucht über die Jahre hinweg immer wieder ein Kriminalkommissar auf, der Zweifel an der offiziellen Geschichte hegt und Lang sogar am Set von Metropolis mit neuen Anschuldigungen konfrontiert, die dieser brüsk abweist. Auch den zeitgleichen Aufstieg Hitlers, den Lang anfänglich belächelt und schließlich immer ernster nimmt, breitet diese Version en Detail aus und zieht zahlreiche Parallelen, die in Langs Selbstvorwürfen gipfeln: erst muss Lang zugeben, Hitler sei „unsere dunkle Seite, unser Monster, unser Golem! Die Summe alle unserer Ängste!“ und räumt schließlich im Streit mit Harbou die eigene Schuld ein, die er mit dem früheren Unglück gleichsetzt: „Was wir zusammen geschaffen haben, ist genau dieses Monster. Der Moloch. Mabuse. M. Hitler. Nenn es, wie Du willst. Wir sind mitverantwortlich. Wir haben unseren eigenen Fluch geschaffen und den Deutschlands. Die Sünde wird uns verfolgen, wo immer wir hingehen. Wie an diesem Abend, als Lisa…“
Somit inhaltlich schon faszinierend genug, brilliert diese Biographie noch mehr durch die mehr als eindrucksvolle optische Umsetzung. Immer wieder durchziehen Original-Filmszenen und Plakate die Panels, vom gewaltigen „Fantomas“-Poster, in der der Unhold über Paris dräut, bis hin zu „Spione“ und den „Mabuse“-Filmen. Eindrücke von den Dreharbeiten (bei denen Lang z. B. für „Metropolis“ ein Heer von Arbeitslosen und Kindern aus Berlin durchs eiskalte Wasser in den Produktionshallen von Neubabelsberg jagte, für die „Nibelungen“ einen künstlichen Wald bauen ließ, den sich auch der junge Hitchcock betrachtete, oder für die „Frau im Mond“ Tonnen von weißem Sand zur Mondlandschaft aufhäufte) finden sich ebenso wie die Schlüsselszenen aus Langs Produktionen (der Tanz der falschen Maria aus „Metropolis“, die Spielhöllen-Szene aus „Mabuse“) und auch anderen Meilensteinen wie „Caligari“.
Langs zentraler Alptraum ist gar als Reise durch seine eigenen Filme gehalten, als ihn die Roboter-Maria in ein finsteres Verlies führt, in dem ihm der müde Tod den Sarg seiner ersten Frau zeigt. Hitlers Aufmärsche, Harbous deutschtümelnde Phantasien, all das ist gestaltet in aufwändigen, aquarellhaften, gemäldeartigen Szenen, die oft auch (natürlich schon seinerzeit gestellte) Fotos aus dem Privatleben der Langs nachbauen, wie etwa die Arbeiten an Drehbüchern mit Lang auf einem Diwan liegend und Harbou emsig ein Skript prüfend. Somit wieder ein Beispiel für eine akribisch recherchierte und meisterhaft umgesetzte Graphic Novel Biographie, wie sie das gleiche Team schon im „Fall Alan Turing“ vorlegten. Ein Leckerbissen nicht nur für Filmfreunde – und eine deutliche Erinnerung daran, dass Kino und Politik kaum zu trennen sind. (hb)
Fritz Lang – Die Comic-Biografie
Text & Story: Arnaud Delalande
Bilder: Éric Liberge
112 Seiten in Farbe, Hardcover
Knesebeck Verlag
25 Euro
ISBN: 978-3-95728-700-7