Falco (Knesebeck)

Januar 31, 2023
Falco -Leben und Sterben des Hans Hölzel (Knesebeck Verlag)

Dominikanische Republik, 06. Februar 1998: als ein Geländewagen vom Parkplatz einer schummrigen Diskothek auf die Hauptstraße einbiegt, kommt es zum Zusammenstoß mit einem Bus, bei dem der Fahrer des Wagens auf der Stelle getötet wird. Sein Name: Johann Hölzel, der Welt deutlicher besser bekannt als die Kunstfigur Falco, die Anfang der 80er den Pop-Olymp bestieg. Diesen schicksalhaften Tag, der sich heuer zum 25. Mai jährt, nimmt der österreichische Illustrator und Performance-Künstler Arnulf Rödler als Ausgangspunkt seiner höchst eigenwilligen Biographie dieses Phänomens. Wir erleben dabei Falcos Karriere in Schlaglichtern, die sich entwickeln, als sich „der Hölzel“, der auf der Flucht vor Kritikern und der Klatschpresse in der Dominikanischen Republik an einem Comeback-Album feilt, in einer örtlichen Kaschemme mit ordentlich Koks versorgt.

Als er sich eine Prise zieht, steigt plötzlich eine Gestalt aus der Toilette, die er selbst treffsicher als sein eigenes schlechtes Gewissen identifiziert und die deutliche Züge seines ehemaligen Weggefährten Stefan Weber trägt. Diese dämonische Figur überzieht den staunenden Johann mit Vorwürfen: totaler Ausverkauf, er sei vom ehemals brillanten Provokateur zur Witzfigur geworden, die in Kaufhäusern jämmerliche Konzerte absolviert und von einer Getränkemarke gesponsert wird. Das will der Beschimpfte nicht so stehen lassen und erzählt der Barkeeperin, die sich schon Sorgen um den seltsamen Gesellen in der Toilette macht, sein Leben.

Früh war ihm klar, dass er berühmt werden will, daher nutzt er die Chance, aus seiner Rolle als Bassist der Anarcho-Kombo „Drahdiwaberl“ herauszutreten, um in Umbaupausen Solo den Szene-Geheimtipp „Ganz Wien“ vortragen zu können. Dann erkennt er das Potenzial eines eigentlich abgelehnten Songs, „antiautoritäres für die Szene“ würde der Entwurf enthalten – für nicht sonderlich gelungen hält er das Stück, das dennoch zum Hit avanciert. Für den „Kommissar“ entwirft Hölzel erstmals eine Bühnen-Persona, eine Kunstfigur, die er nach dem DDR-Skispringer Falko Weißpflog benennt und selbst als „arroganten Zeitreisenden aus den 30er Jahren“ bezeichnet: provokant, hintersinnig, größer als er selbst.

Falco - Panel 1

Das mit enormen Erwartungen verknüpfte zweite Album „Junge Römer“ gerät zum massiven Flop, „das Album hatte seine Zeit verschlafen“, stellt Hölzel selbst fest, der daraufhin seine gesamte Mannschaft auswechselt. Seine Freunde habe er im Stich gelassen, gibt er selbst zu, aber wer die Mittel und den Einfluss hat, der kann doch wohl auch andere für sich arbeiten lassen? Das sieht der teuflische Weber natürlich wieder ganz anders, mit „Falco 3“ sei er vollends zur Diva geworden, zur Hitmaschine, in der zu viel Falco und zu wenig Hölzel steckte, aber der Erfolg gibt ihm Recht – er steht auf dem Gipfel des Ruhms.

Die Barkeeperin goutiert das alles gar nicht, rückt mit zwei Polizisten an und wirft den verblüfften Hölzel in den Knast – und auf die Frage, wer sie denn sei, antwortet die dubiose Dame nur „Janina“, worauf Hölzel ausruft: „Jeanny!“ In seiner dunklen Zelle trifft er nun eine andere verhüllte Figur, die offenbar aus Salzburg stammt und sich schließlich als ein Skelett entpuppt, das Hölzels großem Vorbild Mozart mehr als ähnlich sieht. Diese gräuliche Erscheinung bietet an, Hölzel nach Methode seines Zeitgenossen Franz Anton Mesmer zurückzuführen zu den Ursprüngen seiner Ängste. Auf dieser Reise sieht sich Hölzel immer weiter in seine Vergangenheit versetzt, zurück zu den Anfängen in Wien, als ihn Stefan Weber für seine anarchistische Kombo anheuert, die den Spießern Paroli bieten will, bis hin zu seiner Kindheit, die schon geprägt ist von der Angst, in der Masse zu versinken und nur einer von vielen zu sein…

Erster deutschsprachiger Rapper. Erster (und immer noch einziger) deutschsprachiger Künstler, der es schaffte, den Spitzenplatz der amerikanischen Billboard Charts zu besetzen. Musik- und Sprachvirtuose. Gleichzeitig tragische Figur, die ein unrühmliches Ende nahm und vielleicht gerade daher wieder mythenhaft verehrt wird. Die Lebensgeschichte des Johann Hölzel bietet wahrlich mehr als genügend Material für eine Graphic Novel, die Arnulf Rödler hier dankenswerterweise bewusst ungewöhnlich angeht. „Mitgefühl hab ich nicht mal für mich selbst“, lässt er seine Figur gegen Ende bitter feststellen: die Kunstfigur hat ihn aufgefressen, so wie er es in einem Interview beschrieb – wenn er gefragt werde, ob er mehr Falco oder mehr Johann sei, dann treibe ihn das in die Schizophrenie.

Als Basis für diese Getriebenheit lokalisiert Rödler die Angst, nichts Besonderes zu sein, den kreativen Funken zu verlieren und die Anerkennung seiner Mutter, zu der er ein inniges Verhältnis pflegte, zu erringen zu können – diese Erkenntnis reift in den Stationen der Hypnose, an die ihn sein Alter Ego Mozart ihn mit der Mesmer-Methode der Rückführung bringt (weshalb man im englischsprachigen Raum „hypnotisieren“ oder „verzaubern“ übrigens auch als „mesmerize“ bezeichnet). Gesegnet mit einem „absoluten Gehör“, also der seltenen Gabe, jeden Ton ohne Hilfsmittel exakt zu lokalisieren, lernt der junge Johann spielend Instrumente, zeigt sich aber wenig ausdauernd: Schule, Berufsausbildung zum Bürokaufmann und Studium bricht er jeweils ab, um ein „richtiger Musiker“ zu werden.

Im Wiener Underground fasst er schnell Fuss, Rödler betont hier vor allem die Beziehung zu Drahdiwaberl-Gründer Weber, der dem Kleinbürgertum die „Moderne“ voller „Radau“ vor die Haustür kippen will. Mit seinem klugen Wortwitz bediente er sich bei der Wiener Gruppe um Ernst Jandl und Gerhard Rühm mit ihren stakkatohaften neo-expressionistischen Ausbrüchen ebenso wie bei der Zotigkeit eines Charles Bukowski und den psychedelischen Ausflügen eines William S. Burroughs, die sich hier in Hölzels fiebriger Phantasie allesamt ein Stelldichein geben. Thematisch changierte Hölzel zwischen Provokation, Satire, Persiflage und Hommagen, die sich immer wieder um seine Heimatstadt Wien drehen, die Bigotterie, Doppelmoral und den selbstgefälligen Drogenkonsum, den er – für uns als naive Zuschauer von Dieter Thomas Hecks Hitparade 1981 natürlich völlig unerkannt – vor allem im „Kommissar“ thematisierte („Der Schnee, auf dem wir alle talwärts fahr’n, kennt heute jedes Kind“).

Falco - Panel 2

Mit der höchst charakteristischen Sprachmischung aus Englisch, Deutsch und Wiener Schmäh, bekannt geworden als „Manhattan Schönbrunner Deutsch“, spielte er mit Tabus und nutzte die Medien geschickt aus, wie etwa beim kalkulierten Skandal um „Jeanny“: der Bayrische Rundfunk spielte den Song natürlich nicht, in den „Schlagern der Woche“ nannte man verschämt nur den Titel, das Video wurde nicht gezeigt und nur als schummrige Kopie herumgereicht, und Tagesschausprecher Wilhelm Wieben lieferte den „newsflash“ – mit dem gewünschten Ergebnis des „Streisand Effects“, demzufolge ein Verbot die Popularität natürlich nur noch steigert.

Das alles spart Rödler aus und legt den Fokus viel mehr auf die Tatsache, dass die Kunstfigur Falco quasi in diesem Erfolgsmuster gefangen war und von Jeanny in den Knast geworfen wird. Die Anwürfe seines alten Kumpels Weber, er habe seine Freunde verraten, reflektiert den Richtungswechsel, mit dem Falco nach dem Flop seines zweiten Albums seine Mannschaft auswechselte und die niederländische Hitschmiede Bolland & Bolland engagierte, die ihm mit „Rock Me Amadeus“ tatsächlich seinen größten Erfolg bescherten. Viele Anspielungen, wenig direkten Raum verleiht Rödler dann auch den Fehlschlägen der späten 80er, als Platten floppten und Tourneen aufgrund mangelnden Publikumsinteresses abgesagt wurden, oder auch dem Comeback der 90er mit Elektrotiteln wie dem launigen „Mama, der Mann mit dem Koks ist da“.

Gar nicht zum Tragen kommt Hölzels turbulentes Verhältnis zur Boulevard-Presse, die er anfangs nutzte, die ihn dann allerdings nicht zuletzt aufgrund seiner skandalumwitterten Kurzehe mit Isabella Vitkovic, die in eine öffentlich ausgetragene Schlammschlacht um eine letztlich widerlegte Vaterschaft mündete, massiv mit Häme überzog – in Rödlers Auslegung tut dies offenbar nichts zur Sache, bis auf die Tatsache, dass ihn diese Feindseligkeit im eigenen Lande ins freiwillige Exil trieb, in dem er schließlich tragisch ums Leben kam.

Optisch inszeniert Rödler das Geschehen fast schon ebenso alptraumhaft-hypnotisch wie den Inhalt: über mehrere Panels erstrecken sich die Bilder, teilweise collagenartig, oft muss man sich die Zusammenhänge erst erschließen, bevor sich die ganze Bildwelt umso mächtiger entfaltet. Somit ein wilder, ambitionierter Rausch, der sich an Songtiteln wie „Titantic“, „Amadeus“ oder „Vienna“ chronologisch rückwärts entlanghangelt und um ein Vielfaches faszinierender ist als eine „herkömmlich“ Biographie. Wie Rödler feststellt, war „der Hölzel“ für ihn eine eher bedauerliche Figur, für die die Worte des österreichischen Satirikers Helmut Qualtinger gelten: „Wenn Du in Österreich ewig leben willst, dann musst Du zuerst sterben. Dann aber kannst recht lange leben.“ Und das ist Johann Falco Hölzel zweifelsohne gelungen. (hb)

Falco – Leben und Sterben des Hans Hölzel
Text & Bilder: Arnulf Rödler
96 Seiten in Farbe, Hardcover, Querformat
Knesebeck Verlag
22 Euro

ISBN: 978-3-95728-701-4

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