Alfred Hitchcock, Band 2 (Splitter)

September 5, 2022
Alfred Hitchcock, Band 2: Der Meister des Suspense (Splitter Verlag)

Filmfestival von Cannes, 1963: Alfred Hitchcock präsentiert sein neuestes Werk „Die Vögel“ – außer Konkurrenz, denn, so lehrt ihn die Erfahrung, gewinnen wird er hier sowieso nichts. Umso populärer ist er bei den jungen Wilden der französischen Nouvelle Vague, denen er in diversen Interviews Rede und Antwort steht und auf sein Werk zurückblickt. In Amerika kämpft Hitchcock lange Zeit mit den Zwängen des Studio-Systems: Selznick, der ihn unter Vertrag nimmt, redet ihm in Inszenierung und Besetzung von „Rebecca“ hinein. Als Selznick für „Rebecca“ den Oscar als bester Film einheimst, der dem Produzenten zusteht, sieht sich Hitchcock umso mehr enttäuscht. Seiner Karriere allerdings ist der Erfolg des Films zuträglich: „Foreign Correspondent“ dreht Hitchcock ausgeliehen an Walter Wanger, der ihm gestattet, den Film so kunstvoll wie seine englischen Werke zu gestalten. Erst neutral gehalten, bekommt der Film als Antwort auf den Kriegsausbruch in Europa am Ende ein flammendes Plädoyer in Richtung USA.

Während Hitchcock vergeblich versucht, seine Mutter zu bewegen, aus London zu fliehen und in die USA zu kommen, unterstützt er seine Heimat durch diverse Propaganda-Filme, die er insgeheim inszeniert. „Suspicion“ mit Cary Grant zementiert seinen Ruhm weiter, auch wenn der Film auf Wunsch der Produzenten so umgeschnitten wird, dass der Star Grant nicht als Mörder erscheint. Spätestens nach „Lifeboat“ und „Spellbound“ fühlt sich Hitchcock zu eingeengt (so etwa geizt Selznick beim Etat für die Umsetzung der von Salvador Dali entworfenen, bizarren Traumsequenzen) und träumt von seiner eigenen Produktionsfirma. Dann allerdings bleibt der Erfolg aus: „The Paradine Case“ und „Stagefright“ floppen, aber mit „Strangers On A Train“ findet Hitchcock auf die Erfolgsspur zurück.

Begleitet von Familienglück (Alma und er werden mehrfach Großeltern) und finanzieller Unabhängigkeit (ab 1955 produziert er die einträgliche Fernsehserie „Alfred Hitchcock presents“), schafft Hitchcock nun seine bekanntesten Werke: „Fenster zum Hof“, „Über den Dächern von Nizza“ und „Bein Anruf Mord“ zeugen von seiner künstlerischen Finesse, aber auch von seiner Faszination für Grace Kelly. Als diese sich nach ihrer Heirat mit dem Fürst von Monaco aus dem Geschäft zurückzieht, experimentiert Hitchcock mit immer neuen Fassungen seiner katholischen „kühlen Blonden“: Tippi Hedren, Kim Novak, Eva-Marie Saint, Doris Day – alle diese Darstellerinnen bekommen die etwas zu innige Faszination des Meisters zu spüren, der dann 1960 mit der „makabren Komödie“ „Psycho“ unter eigener Flagge einen low budget Film dreht, der ein ganz neues Genre schafft: den Slasher Film…

Niemals eine Goldene Palme, niemals ein Oscar: Hitchcock fand sich mit diesem Schicksal zurecht. Er mache Filme wie Shakespeare seine Stücke geschrieben habe, so legt er sich das zurecht: nicht für die Kritiker, sondern fürs Publikum. Eine Fixierung auf einen bestimmten Frauentyp, durchgängig negative Mutter-Figuren, die sich erst in den späteren Filmen etwas positiver gestalten, manische Perfektion, aber natürlich auch Brillanz: im zweiten Teil dieser Biographie präsentiert der Filmhistoriker Noel Simsolo die amerikanische Phase Hitchcocks, die schon Teil 1 gestaltet in Flashbacks, die sich aus den Interviews und Gesprächen mit französischen Fans wie Claude Chabrol, Francois Truffaut und anderen Nouvelle Vague-Vertretern ergeben. Dabei werden alle Momente des „Mythos Hitchcock“ gestreift: die US-Produzenten sind es gewohnt, den Film im Schneideraum quasi selbst zu erschaffen, während Hitchcock als „Autorenfilmer“ die volle Kontrolle will und genau weiß, was er zu drehen hat.

Auch die durchaus ruppige Art, mit Schauspielern umzugehen, kommt deutlich zum Tragen: Hitchcock ohrfeigt, drangsaliert oder ignoriert seine Darstellerinnen, um den gewünschten Effekt zu erzielen, bis am Set schließlich sogar einige Kühe anstelle der Schauspieler auftauchen – eine scherzhafte Replik auf Hitchcocks berühmte Aussage, man müsse Darsteller behandeln wie Vieh. Hitchcock erzählt süffisant, wie er erotischen Anspielungen so verpackte, dass die Zensur zufrieden war (etwa in der Schluss-Szene von „Der unsichtbare Dritte“, als der Zug mit Cary Grant und Eva-Marie Saint suggestiv in einen Tunnel fährt), und wie er die Homosexualität oder Bisexualität seiner Darsteller wie z.B. Farley Granger oder Cary Grant geschickt einsetzte, ohne dass dies offenkundig wurde. Fast alle namhaften Produktionen ziehen in kurzen Episoden vorüber, die Hitchcocks Kniffe am Set zeigen: die riesige Kulisse für „Fenster zum Hof“, das Rettungsboot in „Lifeboat“, die Kameratricks und on location-Elemente in „Vertigo“, die Kamerafahrten in „Notorious“ und die von Hitchcock später als „dämlich“ bezeichnete Umsetzung des Theaterstücks „Cocktail für eine Leiche“ ohne Schnitt.

Anrührend wird dabei auch seine dauerhafte Liebe zu seiner Frau und Drehbuchschreiberin Alma beschrieben, die durch Hitchs Faszination für seine Darstellerinnen bisweilen arg strapaziert wurde. Wenn man der schwungvollen Umsetzung etwas ankreiden möchte, dann bestenfalls die Geschwindigkeit, mit der einige Episoden vorüberjagen: fast schon atemlos werden nahezu alle Produktionen abgehandelt. Aber das sind Petitessen im Vergleich zum Gesamtwurf, den Dominique Hé (u.a. „Ein Abenteuer des Marc Marell“) erneut atmosphärisch in Schwarz-Weiß inszeniert und vor allem in den Szenen von den Dreharbeiten faszinierende Einblicke erzeugt. Somit ein rundum gelungenes Biopic, das dazu anregt, den Hitchcock-Katalog wieder einmal zu studieren. (hb)

Alfred Hitchcock, Band 2: Der Meister des Suspense
Text: Noël Simsolo
Bilder: Dominique Hé
160 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
24 Euro

ISBN: 978-3-96219-586-1

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