Jugendliche Schwärmereien sind immer so eine Sache, kennt man ja und war auch im Amerika des 19. Jahrhunderts keinen Deut anders. Da nämlich hat sich im April 1861 die 17jährige Scarlett O’Hara, Tochter von Gerald O’Hara, seines Zeichens Betreiber der Baumwollplantage Tara, in Ashley Wilkes vernarrt, der allerdings nur Augen für Scarletts Freundin Melanie hat und dieser auch erfolgreich einen Heiratsantrag macht. Da ist es Scarlett reichlich egal, dass der Schatten des Krieges aufzieht, in dem die konföderierten Nordstaaten dem Süden, der aus der Union austreten will, immer mehr zu Leibe rücken. Gegen die allgemeine Begeisterung hält der dubiose Rhett Butler mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg, prophezeit dem Süden eine krachende Niederlage (zu wenig Industrie, zu wenig Waffen) und lebt sein Leben vor allem jenseits aller Konventionen: aus der renommierten Militärakademie West Point ist er wegen Alkoholeskapaden geflogen, bringt junge Damen gerne mal in Schwierigkeiten und hat angeblich auch einen Mord begangen.
Mehr oder weniger aus Trotz über die Zurückweisung durch Ashley nimmt Scarlett den Heiratsantrag eines der Tarlton-Söhne an und findet sich prompt zwei Monate nach Kriegsausbruch nicht nur als junge Mutter, sondern auch als Witwe wieder. Um zumindest der Sphäre von Ashley nahe zu sein, dem sie immer noch nachtrauert, zieht Scarlett mit ihrem kleinen Sohn, mit dem sie nicht sonderlich viel anfangen kann, um nach Atlanta, wo sie gemeinsam mit Melanie Dienst im Lazarett tut, den sie allerdings hasst und sich nach eigenen Worten als Witwe wie tot fühlt.
Bei einem Wohltätigkeitsbasar für Soldaten trifft sie wieder auf Rhett Butler, der mittlerweile Captain in der Armee ist, diese Rolle allerdings ganz nach seiner Art ausfüllt: als Blockadebrecher besorgt er lebenswichtigen Nachschub, macht dabei aber durch die galoppierende Inflation im Süden das Geschäft seines Lebens und bekennt freimütig, dass die Südstaaten gar nicht gewinnen können. Der Krieg zieht sich hin und nimmt nach der Schlacht bei Gettysburg 1863 eine bedeutende Wendung: der Süden kassiert eine massive Niederlage, kaum eine Familie verbleibt, die keine Verluste zu beklagen hat. Als Ashley auf Heimaturlaub kommt, schöpft Scarlett erneut Hoffnung und wird wieder enttäuscht. Ganz im Gegenteil ist Melanie kurz darauf schwanger, während die Nordstaaten unaufhaltsam vorrücken. Als Atlanta fällt, schafft niemand anders als Rhett Butler die beiden jungen Frauen und ihre Kinder in letzter Sekunde aus der Stadt, worauf Scarlett sich auf den Weg zurück nach Tara macht, wo sie eine verlassene Plantage und einen gebrochenen Vater vorfindet, der seine Frau an den Typhus verloren hat…
„Morgen ist ein neuer Tag!“ Diesen trotzigen Ausruf der proto-feministischen Scarlett durchwehte ganze Generationen von Sonntag-Nachmittags-Fernsehevents, die das gewaltige Filmepos von David O. Selznick regelmäßig vorführte. Vivien Leigh als aufrechte Scarlett avancierte zum Vorbild diverser Ehefrauen, während Clark Gable als verrucht-interessanter Rhett Butler sein unsterbliches „Frankly, my dear, I don’t give a damn“ zum Besten gab. Dass das Monumentalwerk auf einen ebenso furios erfolgreichen Roman zurückging, wusste man da auch noch: von Margaret Mitchell verfasst, erschien „Gone With The Wind“ erstmals 1936 und wurde rasch zum modernen Klassiker, der den Pulitzer-Preis einheimste.
In seiner Comic-Adaption geht Pierre Alary ganz offenkundig mehr auf die Vorlage als auf die für das Kinopublikum doch etwas aufpolierte Fassung zurück: eher zwiegespalten erscheint das Bild des Südens hier: einerseits mit offen menschenverachtender Sklaverei, bei der Misshandlung und Mord an der Tagesordnung sind, einem Rollenverständnis, in dem Frauen nichts zu melden haben und man heiratet, um den Fortbestand und die Vergrößerung der Ländereien zu sichern („Liebe kommt nach der Hochzeit“, so das Credo von Gerald O’Hara, der schlappe 20 Jahre älter ist als seine Frau). Dagegen steht die offene Revolution Scarletts, die ihre Rolle als passive Witwe ablehnt und feststellt: „Ich werde alles tun und sagen, was ich tun und sagen will!“. Dass mit Rhett Butler ein zutiefst zwielichtiger und negativer Charakter mehr oder weniger zum Held des Geschehens avanciert, das steht in der guten Tradition von Shakespeare, wo die Halunken stets spannender waren als die aufrechten Recken, und auch von Emily Brontes „Wuthering Heights“, das mit Heathcliff den ersten vollgültigen Antihelden präsentierte.
Rund um die Darstellung der selbstbestimmten Frau und des dunklen Schwerenöters mischen sich aber auch revanchistische Züge, in denen die Legende des „lost cause“, also der verlorenen Sache des Südens durchschimmert: man habe nur für Unabhängigkeit gekämpft und sei dabei ebenso an Unfähigkeit und Verräterei in den eigenen Reihen gescheitert wie an industrieller Unterlegenheit, eigentlich sei man doch sehr ritterlich gewesen, und das mit der Befreiung der Sklaven sei doch gar keine so gute Idee – „the South will rise again“, so ziert das ja bis heute zahllose T-Shirts oft hoffentlich unbedarfter Zeitgenossen.
Diese Züge, die gegen Mitchells Roman durchaus ins Felde geführt wurden, konnten der Faszination durch den Stoff keinerlei Abbruch tun und bleiben bei Alary lobenswerterweise in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit bestehen, wodurch nicht die befürchtete Schmonzette, sondern ein facettenreiches Bild einer Gesellschaft zeichnet, die in den USA bis heute ihren Nachhall findet. Zeichnerisch brilliert Pierre Alary dabei vor allem in den epischen Szenen, vom völlig überlaufenen Bahnhof bis hin zum Brand von Atlanta, den Alary ebenso ikonisch inszeniert wie Selznick, der für diese Sequenz ja unter anderem die auf dem Studiogelände noch hinten links herumstehenden Kulissen von „King Kong“ abfackeln ließ. Wir sind gespannt auf Teil 2, in dem Rhett spätestens seinen unsterblichen Fluch ausstoßen wird und es ihm verdammt nochmal völlig egal ist. (hb)
Vom Winde verweht, Band 1
Text & Story: Pierre Alary, nach Margaret Mitchell
Bilder: Pierre Alary
144 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
29,80 Euro
ISBN: 978-3-98721-267-3