Eigentlich erschien die Mission machbar und recht übersichtlich. Rotbart und seine Mannen, allen voran sein Ziehsohn Rick, sollten im Auftrag der Franzosen an der Küste Carolinas einem Piraten das Handwerk legen. Dann ging etliches schief und die Gemengelage verkomplizierte sich zusehends: der Pirat, Phantom genannt, entpuppte sich als ein altbekannter Gegner, der Rick, Dreifuß und Baba gefangen nahm und für deren Freilassung von Rotbart ein stattliches Lösegeld verlangte. Dann tauchten plötzlich die Spanier auf, die ebenfalls mit dem geschwächten Roten Korsaren noch ein Hühnchen zu rupfen hatten und noch immer haben.
Denn jetzt ist Rotbart mit Hilfe des Schiffsjungen Rico den Spaniern vermeintlich entkommen. Deren Kapitän macht sich auf die Suche, befiehlt aber zuvor dem Piratenjäger Hornigold den direkten Angriff auf den Unterschlupf des Phantoms. Während Rotbart wieder an Land auf den Zahnlosen, einen der Handlanger des Phantoms, trifft und diesem einen ungewöhnlichen Vorschlag macht, betritt eine weitere bekannte Figur die Bühne, mit deren Hilfe Rick, Dreifuß und Baba sich befreien können und sich geschlossen in Richtung Küste aufmachen. Denn inzwischen hat Rick von der Gefangennahme Rotbarts erfahren. Dort, am Strand und in den Dünen, kommt es schließlich zu einem allgemeinen Zusammentreffen, dem ein fulminanter Showdown folgt.
Das mag jetzt alles leicht verwirrend klingen. Tatsächlich bietet die Story von Autor Jean-Charles Kraehn (u.a. „Tramp“) etliche Wendungen, Neubetrachtungen von Situationen und entsprechend Neuausrichtungen der Charaktere. Damit werden ungewöhnliche wie auch brüchige Allianzen eingegangen, falsche Fährten gelegt, getäuscht und intrigiert. Denn im Prinzip kocht jeder (und jede) ein eigenes Süppchen, ist auf den eigenen Vorteil bedacht, der entweder aus froher Erwartung besteht, nämlich das vermeintliche Lösegeld des Roten Korsaren einzuheimsen, oder einfach nur zu überleben. All diese fliegenden Wechsel sind für die Handlung sowohl Segen als auch Fluch. Einerseits ist so Abwechslung garantiert, andererseits fehlt so auch ein wenig ein roter Faden – die Handlung wirkt episodisch, ein kleiner Makel. Und wer wird am Ende die Nase vorn haben? Wie Jules in Pulp Fiction schon sagte: „Take a wild guess.“
Wie auch im ersten Band wissen die Zeichnungen von Stefano Carloni („Die neue Welt“ bei Splitter) zu gefallen. In einem eigenen und doch klassischen Stil zeigt er detaillierte Bilder, wobei die Farbgebung grell-bunte Töne vermeidet und lieber auf atmosphärisch stimmige Ansichten setzt, was sich v.a. in den mondbeschienenen Nachtszenen, wie bei der Flucht von Rick und seinen Leuten auszeichnet. So wirken manche Panel wie kleine Gemälde mit bester Piratenromantik. Und der Verzicht auf Hochglanzpapier kommt dieser visuellen Stimmung noch zu Gute. Egmont zieht mit dieser Veröffentlichung nun mit Dargaud in Frankreich gleich. Auch dort ist bisher kein weiterer Band erschienen. Was aber gerne noch kommen mag, schließlich wurden auf den letzten Seiten die Weichen für eine Fortsetzung gestellt. (bw)
Der Rote Korsar: Die neuen Abenteuer, Band 2: Die Hunde des Meeres
Text: Jean-Charles Kraehn
Bilder: Stefano Carloni
56 Seiten in Farbe, Hardcover
Egmont Comic Collection
16 Euro
ISBN: 978-3-7704-0183-3
