Moby Dick (Splitter)

März 2, 2022
Moby Dick (Bill Sienkiewicz) Splitter Verlag

Infernalisch, diabolisch, eine apokalyptische Fahrt in die tiefsten Höllenkreise: zu nichts weniger gerät die Jagd des auf Rache versessenen Ahab auf sein Alter Ego, den weißen Wal, in dieser furiosen Adaption. Neu ist der Band natürlich nicht: schon 1990 lieferte der Ausnahmekünstler Bill Sienkiewicz – frisch vom Triumpf seiner Zusammenarbeit mit Frank Miller bei der Miniserie „Elektra: Assassin“ – seinen Beitrag zum damaligen Neustart der Classics Illustrated-Reihe bei First Comics, die nach den eher klassisch-lehrerhaften Kurzfassungen bekannter Werke der Weltliteratur, die die erste Serie unter diesem Banner bis 1971 herausbrauchte, mutigere und innovativere Interpretationen kredenzte – was lediglich von 1990 bis 1991 gelang, danach war schon wieder Ende.

Auf dichten 48 Seiten, seinerzeit im Softcover erschienen, destillieren Sienkiewicz und sein Szenarist D.G. Chichester ganz bewusst einerseits die sattsam bekannten Schlüsselszenen des monumentalen Romans, aber auch der Verfilmung von John Huston: natürlich beginnt das Geschehen mit „Nennt mich Ismael“, wir treffen Queequeg, den donnernden Pfarrer in der Walkanzel, die Maate um Starbuck, den dräuenden Ahab, der den Wal bis in die Flammen der Verdammnis jagen will und dazu eine Golddublone an den Mast nagelt, man trifft diverse andere Walfangschiffe, Queequeg lässt sich einen Sarg machen, und schließlich fährt die Pequod nach drei Tagen Kampf gegen den weißen Wal ins Verderben.

Aber Chichester wählt auch Episoden, die sich weniger im populären Bewusstsein halten – Ahabs kurzer, melancholischer Moment gegen Ende, als er über seine verstorbene Frau sinniert und die Unentrinnbarkeit, mit der er das Werkzeug der Vorsehung ist; die düsteren Parsen, die ihn wie Todesengel begleiten; der kleine Schiffsjunge Pip, der dem Wahnsinn verfällt; das Treffen mit der „Enderby“ inklusive ihres Kapitäns Boomer (womit die Namen der Kampfpiloten des Kampfsterns Galactica so langsam komplett wären). All diese Elemente fügen sich zu einer finsteren Höllenvision zusammen, in der Ahab als dämonischer Geist erscheint, der gerne philosophiert und sich als Vertreter des Schicksals sieht, dem wie weiland Macbeth drei Prophezeiungen zu Teil werden, die zutiefst unwahrscheinlich klingen: das Meer werde voller Totenbahren sein, die Besatzung der Pequod werde in amerikanischem Holz bestattet, und er selbst könne nur durch Hanf zu Tode kommen. Was alles genauso eintritt.

Diese Höllenfahrt wird allerdings natürlich in erster Linie durch die Gestaltung einzigartig, in der Bill Sienkiewicz alle Register seiner Kunst zieht: Collagen, Skizzen, Farbkleckse, Ölfarben, Acryl, symbolische Überhöhungen, erschreckende Schatten, Silhouetten – jede Seite bordet über vor kunstvoller Ausführung, die einen zutiefst verstörenden Eindruck der düsteren Unentrinnbarkeit erzeugt. Ganzseitige Darstellungen zeigen Ahabs inneren Kampf, und der endgültige Triumpf des Wals über seinen Jäger erscheint in einer Doppelseite, deren dunkle Farbgebung die unauslotbaren Tiefen des Ozeans beklemmend evoziert. Am Ende schwimmt Ishmael auf Queequegs Sarg, der einzige Überlebende, der wie der alte Seemann von Coleridge seine Geschichte erzählen muss. Splitter schließt mit dieser hochwertig eingerichteten deutschen Erstausgabe dieses Monumentalwerks eine massive Lücke, wozu sich auch noch die Veröffentlichung von Sienkiewiczs Miniserie „Stray Toasters“ aus den späten 80ern gesellt. (hb)

Moby Dick
Text: D.G. Chichester, Bill Sienkiewicz, nach Herman Melville
Bilder: Bill Sienkiewicz
48 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
16 Euro

ISBN: 978-3-96792-167-0

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