Auf der Suche nach Moby Dick (Knesebeck)

Oktober 19, 2020
Auf der Suche nach Moby Dick (Knesebeck Verlag)

Monumental. Für kaum ein Werk der Weltliteratur trifft diese Beschreibung so ins Schwarze wie für Herman Melvilles wahrlich epischen Roman von 1851, der im Lauf der Zeit so oft wie kaum ein anderes Buch multimedial adaptiert wurde: gleich mehrere Filme (neben dem sattsam bekannten Beitrag von John Huston gab es übrigens 1930 schon einmal eine Version mit John Barrymore), diverseste Graphic Novels (angeführt von den berühmten Illustrierten Klassikern) und auch Fassungen für die Theaterbühne versuchten sich, der Jagd Kapitän Ahabs nach dem weißen Wal anzunähern. Fast scheint es, als sei kein Medium wirklich ausreichend, die zutiefst symbolische und vielfach deutbare Mär zu greifen, die Melville auf vielen hundert Seiten ausbreitet – und genau dies in der Ansatzpunkt, den Sylvain Venayre für seine ganz eigene Herangehensweise wählte, als er zum 200. Geburtstag Melvilles 2019 den vielen Versionen seine ganz persönliche hinzufügte.

Im Vorwort führt Venayre aus, dass sich die meisten Fassungen auf die Figur des Ahab und seine unheilige Jagd auf den Wal konzentrieren. Das ist passend, ja, es geht um einen modernen fliegenden Holländer, einen Prometheus, der sich gegen Gott auflehnt (selbst die Sonne würde er bekämpfen, wenn sie ihn bedrohte, so ruft er einmal aus), der sich jenseits der von der Vorsehung geprägten Weltordnung stellt und durch seine Hybris in zutiefst biblischem Sinne sein Schicksal findet. Der Wal ist sein Doppelgänger, das fehlende Bein symbolisiert die innere Verletzung, all das haben wir schon gesehen, gehört und auch geschrieben: aber Melville nennt sein Buch eben Moby Dick or The Whale und beginnt es eben nicht mit den berühmten Wörtern „Call me Ishmael“, sondern mit einem seitenlangen Verzeichnis von Bezeichnungen für Wale.

Somit schickt Venayre in seiner Fassung ganz bewusst im Paris der Gegenwart einen jungen Radioreporter zu einem Theaterregisseur, der eine Bühnenfassung von Moby Dick inszenieren möchte – im wahrsten Wortsinne auf der Suche nach Moby Dick. Im Gespräch mit dem Regisseur entfaltet sich in zentralen Szenen die Handlung des Romans, aber immer kommentiert und interpretiert, erhellt durch historische Referenzen auf die geschichtliche Genauigkeit Melvilles, auf die Hintergründe der klingenden Namen (so etwa verweist der Name von Ahabs Schiff auf den ausgerotteten Indianerstamm der Pequods, es geht also nicht nur die biblische Erzählung von Jonah) und vor allem auf die zentrale Rolle des Wals, jenes fast schon mythischen Leviathans, der seit jeher die Menschen inspirierte und das Fürchten lehrte (bevor man ihn dann in der Moderne weitgehend aus den Ozeanen radierte).

So entsteht eine wunderbar behutsame Annäherung an den Stoff, die teilweise persönlicher, teilweise aber auch viel werktreuer daherkommt als freiere Adaptionen. Inszeniert wird die düstere Jagd von Isaac Wens in bewusst abstrahiertem, künstlerischem Strich, mit schwerer Symbolik vor allem in den eingeflochtenen Erklärungen von Wissenschaftlern und Kunstschaffenden, die sich ihrerseits Melvilles Werk zu Eigen machen wollen. Insgesamt acht Jahre dauerte die Arbeit an diesem Band, der zweifelsohne die Gravitas und Würde aufweist, die Melville verdient hat – und sein weißer Wal. Bei Knesebeck erscheint das Album gewohnt hochwertig aufgemacht im großformatigen Hardcover. Und spätestens jetzt ist es wieder einmal an der Zeit, Gregory Peck als Ahab zuzuschauen – und natürlich auch Ricardo Montalban, der William Shatner bekanntlich auch „round perdition‘s flames“ jagen will. (hb)

Auf der Suche nach Moby Dick
Text: Sylvain Venayre
Bilder: Isaac Wens
224 Seiten in Farbe, Hardcover
Knesebeck Verlag
28 Euro

ISBN: 978-3-95728-440-2

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