Aufgespießt auf einer Kirchturmspitze. So beginnt für Detective Aisha Bukhari ein Fall, der alles andere als gewöhnlich ist. Denn das korpulente Opfer ist nicht nur völlig nackt, ihm wurde auch ein engelsgleiches Flügelpaar auf dem Rücken genäht, das im Leichenschauhaus – ehe es vollständig untersucht werden kann – von einem Unbekannten gestohlen wird. Bald geschieht ein weiterer Mord. Wieder ist das Opfer nackt, wieder waren ihm Flügel angenäht, wieder sind diese verschwunden. Dass die Sache mehr als mysteriös ist, beweist spätestens das Auftauchen des Magiers John Constantine, wie immer unrasiert, leicht derangiert, mit Zigarette und im charakteristischen Trenchcoat, der offenbar aus dem gleichen Laden stammt wie der von Columbo. Aisha war eine Jugendfreundin Constantines. Und eine tragische Episode aus der gemeinsamen Vergangenheit scheint die beiden jetzt in Form der Morde einzuholen. Auf unheimliche wie gefährliche Art und Weise…
Nachdem John Constantine im DC Label „Vertigo“ mit genau 300 Heften eine überaus erfolgreiche Serie absolvierte, die zumindest in der Anfangszeit von britischen Autoren und Zeichnern geprägt wurde, integrierte man die Figur in das „reguläre“ DC-Universum. Dort wurde er sogar Teil der „Justice League Dark“ – als passionierter Einzelgänger, als der er charakteristisch eben angelegt ist, wahrlich keine gute Idee der DC-Macher. Es folgten einige recht kurzlebige Reihen unter dem Titel „Constantine“ (Das neue DC Universum), mit wechselnder Qualität. Dass der aktuelle Dreiteiler, der unter dem erfolgreichen Black Label von DC erscheint, nun wieder als „Hellblazer“ firmiert, zeigt, dass man damit versucht, zurück zu den Wurzeln zu gehen. Ohne eine Justice League Dark oder ähnliche Mätzchen. Ohne sich nach irgendeiner Kontinuität richten zu müssen. John ist superhelden-technisch wieder auf Solo-Pfaden unterwegs – und das ist auch gut so.
Die Story stammt von Tom Taylor, der u.a. die Injustice Reihe und die DC-Horror Bände geschrieben hat, der also bestens mit fantastisch-gruseligen Geschichten vertraut ist. Als Zeichner nimmt er sich Darick Robertson zur Seite, was sich als hervorragende Wahl erweist. Robertsons Stil ist von einem hohen Wiedererkennungswert, immer ein wenig „dreckig“ und düster und damit, wie zuvor bei seinen bekanntesten Reihen „Transmetropolitan“ (mit Warren Ellis) und „The Boys“ (mit Garth Ennis und als Serienhit bei Amazon) bestens geeignet, um zwiespältige, nicht unbedingt durchweg sympathische Hauptcharaktere und Einzelgänger (wie Spider Jerusalem oder Boys-Chef Billy Butcher) zu inszenieren. Auch hier glänzt sein launischer John Constantine mit Sarkasmus und Ironie, wie auch die Story einige makabre Szenen bietet, die einen Sinn für einen gewissen Humor voraussetzen.
Schauplatz der Handlung ist offenbar Liverpool. Überhaupt ist das Ambiente wieder schön Britisch – siehe der Single Malt, der standesgemäß im Pub geleert wird. Die Kneipe heißt übrigens „The Dillon“ und ist nicht der einzige Verweis auf ehemalige Hellblazer-Macher, der in dem Band zu finden ist. Ansonsten geizt der Auftakt des Dreiteilers nicht mit Schock-Momenten, die in den großen Panels, die durch das übergroße Albenformat bestens zur Geltung kommen, noch gruseliger und eindringlicher erscheinen. Die Verbindung zu einer Tragödie aus John Constantines Kindheit (wobei der Band noch früher einsetzt) ist ein gelungener Kniff. Der Cliffhanger am Ende offenbart dann den vermeintlichen Über-Gegner – oder einen unerwarteten Verbündeten? Band 2, der im Juni erscheint, wird es zeigen. Fazit: ein düsterer, makabrer Hellblazer-Band der alten Schule. So muss das. Auch hier kann der geneigte Leser zwischen der regulären Ausgabe und einer limitierten Variante wählen. (bw)
Hellblazer: Gefallene Engel, Band 1
Text: Tom Taylor
Bilder: Darick Robertson, Diego Rodriguez (Farben)
52 Seiten in Farbe, Hardcover
Panini Comics
13 Euro
ISBN: 978-3-7416-2254-0