Mögliche Geschichten (Dantes Verlag)

März 5, 2021

Simon Powers, ein junger Angestellter, Einzelgänger und Sex-Muffel, fängt sich aus unerklärlichen Gründen eine mysteriöse Geschlechtskrankheit ein und wird diese aus den gleichen Gründen auch wieder los („Fremdartige Teile“). Miss Corvier, eine seltsame Nachbarin, eine alte, im Prinzip freundliche aber nicht ganz durchschaubare Dame, isst gerne rohes Fleisch zur Stärkung. Was hat die Katze des Hauses damit zu tun („Esser und Fütterer“)? 1965: ein angehender Fotograf entdeckt im Penthouse Magazin ein junges Model namens Charlotte. Die Schönheit, die ihn sofort betört, ist fortan immer wieder im Heft vertreten, wird den Mann so über etliche Jahre hinweg begleiten und scheint nicht zu altern. Bis sie eines Tages in seinem Atelier steht („Auf das Mädchen hoffen“). Ein Junge (jetzt der Ich-Erzähler) trifft auf dem Nachhauseweg drei Gleichaltrige. Gemeinsam erkunden sie ein verlassenes Herrenhaus samt dem verwunschenen Garten. Dort steht ein kleines Spielhaus, in dem die drei Knaben verschwinden – auf nimmer Wiedersehen („Closing Time“)?

Es sind kleine und feine Schauer-Stories im Gewand von Mark Buckinghams Zeichnungen, die uns Neil Gaiman hier kredenzt. Gespenster Geschichten de luxe. Allesamt äußerst abwechslungsreich, jeweils mit einem mehr oder weniger übernatürlichen und damit unerklärlichen Touch versehen, was bei den Protagonisten gerne einen bleibenden Eindruck hinterlässt: Simon wird völlig unverhofft zu einem ganz neuen Menschen („Fremdartige Teile“ ist die einzige Episode ohne Ich-Erzähler). Die Begegnung mit Miss Corvier wird für den Co-Mieter schicksalhaft sein – und hat zudem ein kurioses Ende. Nacktmodell Charlotte verkörpert eine lebenslange unerfüllte Sehnsucht und auch das Jugend-Abenteuer des Erzählers hat sich in dessen Gedächtnis eingebrannt. Eingerahmt sind die fünf Geschichten von einem Prolog samt Epilog, der in einem Londoner Club namens Diogenes spielt. Dieser dient als Hub, in dem der Erzähler allerlei Typen begegnet – gerne auch zwiespältigen – und damit als Ausgangspunkt der einzelnen Episoden, die angenehm fließend und gerne subtil statt effekthaschend erzählt werden.

Mark Buckingham, mehrfach mit dem Eisner Award dekoriert (für seine Arbeit an „Fables“), arbeitete mit seinem Spezi Neil Gaiman bereits vor dreißig Jahren (die Zeit vergeht!) an „Miracleman“ zusammen. Hier legt er bei seiner Adaption der Kurzgeschichten einen (str)engen Rahmen an – im wahrsten Sinne –, der sich in einer weitestgehend gleichmäßigen Panelstruktur äußert: Eine Seite besteht aus vier Bildreihen zu je vier gleichgroßen Panels, eine Ordnung, die nur manchmal durchbrochen wird (am häufigsten durch Charlotte, so wird die Dame stets ins verdiente, rechte Bild gesetzt und steht zudem für das Verlangen des Fotografen). Dazu gibt es, v.a. in der ersten Episode viel Text und damit viel zu lesen. Übrigens: Bevor der Band bei Dark Horse als „Likely Stories“ erschien, wurden die Kurzgeschichten 2016 in einer gleichnamigen TV-Miniserie adaptiert, pro Episode knapp über 20 Minuten. Die Reihe lief völlig unter dem Radar und ist auch auf Deutsch nirgendwo verfügbar. Und: wie bereits bei „Eine Studie in Smaragdgrün“, dem ersten Band aus der „Neil Gaiman Bibliothek“, hat Übersetzer Jens R. Nielsen ein höchst informatives, begleitendes Glossar dazu gepackt. (bw)

Mögliche Geschichten
Text: Neil Gaiman, Mark Buckingham
Bilder: Mark Buckingham, Chris Blythe (Farben)
84 Seiten in Farbe, Hardcover
Dantes Verlag
20 Euro

ISBN: 978-3-946952-64-0

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