Neuanfang, Relaunch, zweite Chance. Das wünscht sich so manch einer, und wer wäre dabei ein besserer Weggefährte als James „Bucky“ Barnes, der nach einer sagen wir mal etwas holprigen Karriere vom all American Sidekick über einen eiskalten Killer bis hin zum reumütigen Kämpfer so ungefähr alle Stufen durchlaufen hat, die man in sich in dieser Richtung so vorstellen kann. Gemeinsam mit Agent Carter (Sharon, nicht Peggy, die wäre dann doch zu betagt) schlägt er sein Zelt in Indiana auf und hilft schweren Jungs, wieder auf die rechte Bahn zu kommen. Einem etwas renitenten Fall, der sich nicht an die Auflagen der undercover-Existenz hält – nie mit der Ex telefonieren! -, kann aber auch er nicht mehr helfen: Hydra treibt den armen Gesellen auf und nietet ihn in Gegenwart des Winter Soldiers um – und zwar durch einen jugendlichen Killer, der auffällig ähnliche Kleidung trägt wie Bucky zu seinen besten Sidekick-Zeiten.
Der verdutzte Wintersoldat schnappt sich das Früchtchen namens RJ, nur um in einen Hinterhalt gelockt zu werden, in dem der Chef des Bübchens, ein treffend benannter Mister Colt, nur darauf wartet, den jungen Herrn, der offenbar ausgedient hat, abzuknallen. Das gibt dem guten RJ dann doch zu denken, er folgt Bucky in dessen Quartier und begibt sich sogar in psychologische Behandlung, die offenbart, dass der junge Herr früh die Mutter verlor, den Vater aufgrund diverser Knastaufenthalte nie sah und irgendwann in die Fänge von Hydra geriet. Alle vertrauensbildende Maßnahmen und kleine Schritte kommen ins Wanken, als urplötzlich ein schräger Vogel auftaucht, der sich als RJs Vater vorstellt, der frisch entlassen nun ein besserer Mensch werden und den Sohn kennenlernen möchte. Bucky legt die anfängliche Skepsis ab und besorgt dem Kollegen Job, Wohnung und neues Leben – aber bald stellt sich heraus, dass alles nur ein abgekartetes Spiel ist, um RJ doch wieder zurück zu Hydra zu holen…
Was hatten wir heiße Ohren, als im Fantastische Vier-Taschenbuch Nummer 1 aus dem seligen Condor-Verlag die Fackel einem verlotterten Penner den Bart absengte und eine Gestalt namens Namor entdeckte – und kurz darauf die Rächer im ewigen Eis eine andere Figur des Golden Age buchstäblich zum Leben erweckten: in Avengers 4 nämlich holte Stan Lee auch die ehemalige Lichtgestalt und Kriegsheld Captain America zurück. Der Sidekick Bucky, der den großen Kämpen seit 1941 begleitete, durfte hier allerdings nicht mitmachen: in der Backstory starb Bucky bei dem Versuch, eine Rakete über dem Ärmelkanal abzulenken, und Cap landete im Eis. Lange Jahre blieb Bucky wirklich tot, bevor er dann dank Ed Brubakers Ideenreichtum nach Gehirnwäsche durch die Russen als Winter Soldier wiederkehrte (und dann sogar selbst zeitweise die blaue Kappe des Captain America trug).
Dieser groben Storyline folgt auch das Marvel Cinematic Universe, in dem Bucky in den 40ern an der Seite von Cap kämpft, dann als Auftragskiller mit kybernetischem Arm auftritt und sich schließlich in die Reihen der Helden einfügt. Auch im Hause Disney erkannte man das Potenzial der Figur und schickte die Serien-Produktion „The Falcon and the Winter Soldier“ ins Rennen, die eigentlich schon im August 2020 auf die heimischen Bildschirme hätten strömen sollen, wenn da nicht etwas in Form einer globalen Pandemie dazwischengekommen wäre. So musste die Chose leider auf 2021 verschoben werden, aber findigerweise legt man sowohl bei Marvel als auch bei Panini in Form der Miniserie „Winter Soldier“, der demnächst auch ein Team-Up mit dem Falken folgen wird, gleich mal entsprechendes Futter auch für die Lesegemeinde nach. Ideal zum Einstieg, für Freunde der Serie, so kennen wir das.
Stimmt aber auch, durch den Neustart in Indiana, begleitet von Tony Stark und Agent Carter, kann man die Erlebnisse auch ohne große Vorkenntnisse verfolgen. Hauptmotiv ist dabei die Frage von Schuld und Sühne sowie die Frage, ob es trotz aller Vergehen das Recht auf einen Neubeginn geben soll. Bucky ist dabei durchaus zerrissener, als ihm lieb ist: als RJ das Tagebuch des Wintersoldaten liest, stellt sich heraus, dass der deutlich stärker von den Schatten seiner Vergangenheit heimgesucht wird als vermutet. Dennoch hält Bucky an seinem Versuch fest, anderen beim Reboot zu helfen, auch wenn da manchmal in durchaus tragische Sackgassen führt. Zeichnerisch flott inszeniert und handlungstechnisch ordentlich gezimmert, lassen wir uns das gefallen und warten geduldig, ob das noch was wird auf dem Fernsehschirm. (hb)
Winter Soldier: Zweite Chancen
Text: Kyle Higgins
Bilder: Rod Reis
116 Seiten in Farbe, Softcover
Panini Comics
14 Euro
ISBN: 978-3-7416-1869-7