Zwei Kurzgeschichten und eine albumlange Episode bilden den zweiten und zugleich letzten Band der Ringo Gesamtausgabe: Los geht’s mit „Stadt in Angst“: Twin Buttes ist ein Kaff in Arizona, das von dem schurkischen Ken Thorn terrorisiert wird, gegen den auch der alternde Sheriff offenbar machtlos ist. Nach einem Überfall auf eine Wells Fargo Postkutsche soll Ringo dort ermitteln und gerät natürlich gleich mit Thorn aneinander. Erst gemäßigt, eskaliert der Konflikt zwischen den beiden schnell, wobei Ringo stets die Nase vorn zu haben scheint und schließlich Thorn eine Falle stellt, die ihn endgültig entlarven soll. Eine Kurzgeschichte mit 16 Seiten. Recht konventionell gestrickte Westernkost mit altbekanntem Held gegen Schurke-Motiv, was die Frage aufwirft: wie kann ein Einzelner eine ganze Stadt in Angst und Schrecken versetzen? Dazu kommt ein Handlungsverlauf, der stets vorhersehbar und durchschaubar ist. Als Autor fungierte hier Jacques Acar, der seine Sache dann kurz darauf in dem albumlangen „Der Schwur von Gettysburg“ (in Band 1 der Gesamtausgabe enthalten) wesentlich besser machen sollte. Beides – das Album wie auch die Kurzgeschichte – erschien 1966 zuerst im Tintin-Magazin.
Zeitsprung. Ganze vier Jahre sollte es dauern, bis sich der Belgier William Vance erneut seinem Western zuwandte und dann wieder leider nur mit einer Kurzgeschichte. „El Diablo“ von 1970 umfasst 14 Seiten. Die drei Schurken Brain, Whoopy und Goliath (Nomen est Omen, bei allen dreien) begehen einen Goldraub, werden recht fix von Ringo dingfest gemacht und büxen aber danach gleich wieder aus. So entwickelt sich auf den wenigen Seiten ohne viel Federlesens ein munteres wie unterhaltsames Katz-und-Maus-Spiel, das mit der Friedhofs-Szene (dort soll das Gold begraben sein) fast als Hommage auf Sergio Leones Western-Klassiker „The Good, the Bad and the Ugly“ durchgeht (gut möglich, immerhin erschien der Film schon vier Jahre zuvor). Hier ist Vance‘ Zeichenstil bereits merklich entwickelt und verfeinert, die Frühphase seines Schaffens, die mit der Seefahrer-Reihe „Howard Flynn“ begonnen hatte, ist zu ende. Autor der Episode ist Yves Duval, der auch „Howard Flynn“ schrieb und der Zack-Veteranen vielleicht durch die Serie „Sven Janssen“ bekannt ist (an der auch Acar schrieb – so schließt sich der Kreis wieder).
Den Abschluss macht dann das letzte Ringo-Abenteuer, „Tod im Blizzard“, das es dann wieder etliche Jahre später ab 1976 in fünf Episoden unterteilt noch einmal auf Albumlänge brachte: In dichtem Schneetreiben ist einmal mehr eine Postkutsche verschollen. Mit brisantem Passagier (die Tochter eines Senators) und brisanter Fracht (Wells Fargo Gold). Durch einen unglücklichen Zufall bekommt eine mexikanische Gaunerbande Wind von der Sache. Und trifft dabei auf Ringo, der ebenfalls die Postkutsche sucht… Winter heißt Schnee heißt viel weiß. So muten die Panels der Story, die fast komplett im Titel gebenden Blizzard spielt und dabei ab und zu an Tarantinos „The Hateful Eight“ erinnert, reduziert in der Darstellung an. Es gibt wenige Hintergründe, die von Schnee und Wetter verschluckt werden. Vance‘ Panels konzentrieren sich auf die handelnden Personen und das eigentliche Geschehen. Mit Jacobo präsentieren er und Autor André-Paul Duchâteau („Rick Master“) einen optisch skurril überzeichneten Schurken. Dass das Schnee-Setting Vance zupass kam ist offensichtlich. Denn dass er – wie fast nur noch Hermann – atmosphärisch zeichnen kann, hat Vance in fast allen seinen Serien eindrucksvoll unter Beweis gestellt (man denke nur an die meisterhaften Segelschiffe im Dunklen und im Regen in „Bruce J Hawker“).
Wie eingangs bereits erwähnt, reitet mit dem zweiten Band der Gesamtausgabe Vance‘ Western-Held Ringo bereits endgültig in den Sonnenuntergang. Der Reihe wurde leider nie eine anständige Kontinuität zuteil, was verhindert wurde durch unregelmäßige Veröffentlichungen mit langen zeitlichen Abständen, uneinheitliches Format (Alben, Kurzgeschichten) und verschiedenen Autoren, die auch unterschiedliche Story-Qualitäten ablieferten. So kann man den zweiten Band am besten als kleine Werkschau der Kunst des William Vance betrachten (wie auch auf dem Backcover vermerkt). Von seinen Anfängen in den Sechziger Jahren bis zum ausgereiften, einmaligen Strich, den er nur zehn Jahre später entwickelt hatte. Die Reihe ist sicher nicht das Herzstück seines Schaffens (die Kandidaten hierfür sind eher „Bob Morane“, „Bruno Brazil“ und natürlich „XIII“), aber wer die Gesamtausgaben von „Bruce J. Hawker“ und/oder „Ramiro“ (beide ebenfalls bei Splitter erhältlich) sein eigen nennt, kommt um „Ringo“ nicht herum, auch wenn hier leider das verdiente Zusatzmaterial (zumindest in Textform) fehlt. Als Bonus sind diesmal nämlich nicht nur die Angaben zur Veröffentlichungs-Historie enthalten, sondern auch eine Galerie mit diversen zeitgenössischen Ringo-Titelbildern des Tintin-Magazins und früherer Albumveröffentlichungen. (bw)
Ringo Gesamtausgabe, Band 2
Text: William Vance, Jacques Acar, Yves Duval, André-Paul Duchâteau
Bilder: William Vance
96 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
22,80 Euro
ISBN: 978-3-95839-341-7