Deep State, Band 2 (Popcom)

September 23, 2016

Deep State, Band 2 (Popcom)

Immer wenn eine umfassende Lösung für schier unlösbare Probleme gefragt ist, sucht man in angelsächsischen Sprachraum gerne nach der sprichwörtlichen magic bullet. Auf genau die scheinen die Agenten Harrow und Branch gestoßen zu sein, als eine Serie von Attentaten offenbar mit einem Gewehr verübt werden, das die Projektile auf eine Reise durch die Zeit schickt. So kann der Täter an eigentlich unmöglichen Orten zuschlagen und niemals dingfest gemacht werden – schließlich war er zum Tatzeitpunkt niemals da. Harrow eröffnet der staunenden Branch, dass die Geheimorganisation Control eben eine solche Wumme entwickelt hatte, diese aber wegen der „komplexen Physik“ nie ordentlich funktionierte und deshalb eingemottet worden war. Eben diese „unmögliche Waffe“ wurde nun aus den Lagern von Control gestohlen, und bald machen Harrow und Branch selbst hautnah Bekanntschaft mit dem zeitversetzten Kugelhagel. Ein ex-Agent nimmt sie ins Visier und schwingt dabei seltsame Reden: er spricht Harrow beharrlich als Heller an, der doch eigentlich tot sein sollte, bevor ihn dann eine seiner eigenen Kugeln erwischt.

Auf der Suche nach Erklärungen statten Harrow und Branch einer alten Dame einen Besuch ab: Ms Hall fristet ihr Dasein mittlerweile im Pflegeheim, war aber in jungen Jahren in Diensten von Control. Eingesetzt für Informationsbeschaffung und Spionageabwehr, bekommt sie in den frühen 60ern den Auftrag, einen Ex-Marine, der sich zu den Sowjets abgesetzt hat, anzuwerben. Der Auftrag: den US-Präsidenten zu töten. Das Jahr: 1963. Der Name des Rekruten: Mr. Oswald. Aber nachdem der ein durchaus unsicherer Fahrensmann in Sachen Treffsicherheit ist, nimmt an dem schicksalhaften Tag auch eine zeitversetzte Kugel ihren Weg… Aber damit beginnt das ganze Mysterium erst. Denn reihenweise wenden sich in der Folge Menschen gegeneinander – so etwa kann sich Branch nur mühsam eines alten verschmähten Verehrers erwehren, der ihr urplötzlich auflauert.

Kurz danach werden Branch und Harrow in einem Café von einem Fahrzeug fast überrollt, worauf Harrow nur noch ein Erklärung hat: Odin wurde gehackt. Das ist mitnichten der Vater des nordischen Donnergottes, sondern die Bezeichnung für das allumfassende Kontrollsystem, das Control zusammen mit der NSA geschaffen hat. Ziel: die vollkommende Überwachung, die Schaffung eines zweiten Schatten-Staates, eines „Deep State“ eben. Und nachdem mittlerweile nahezu alle Zeitgenossen bereitwillig ihre Daten per Computer oder Handy in den Äther senden, hat offenbar irgendjemand das System an sich gerissen und beeinflusst die Bevölkerung ganz aktiv – so erklärt es zumindest der Agent, der auf den Plan tritt und beharrliche behauptet, er selbst sei der echte Harrow…

Das Verschwörungstheorie-Epos von Justin Jordan geht in die zweite und letzte Runde, und das mit inhaltlicher Durchschlagskraft. Standen in Teil 1 noch außerirdische Attacken im Mittelpunkt, erleben wir hier die wohl populärste aller Conspiracy-Stories in neuem Licht: wie uns das ja schon Kevin Costner auf der Kinoleinwand so trefflich erklärte, ist die Geschichte vom „Lone Gunman“ Lee Harvey Oswald mehr als wacklig, die Kugel hätte ja (so Herr Costner) gleich mehrfach die Richtung wechseln müssen – magic eben, und genau das ist die Erklärung, die Jordan hier auftischt. Im weiteren Verlauf rücken dann die aktuelle Beklemmung über den allumfassenden Datenwahn von NSA und sozialen Netzwerken in den Mittelpunkt: die Vermutung, dass ein schlaues Hirn all unsere Daten sammelt und diese zu perfiden Zwecken nutzt, wird in Odin kristallisiert. Dabei braucht es noch nicht einmal große Mühe: für den in der Tat großartigen Anreiz, Katzenbilder zu versenden, öffnen die Nutzer bereitwillig die Tore zu ihrer Privatsphäre, stellt der Handy- und Computer-Ablehner Harrow süffisant fest.

Somit präsentiert „Deep State“ erneut eine modernisierte, intelligente Version der X-Files, die am Ende mit einem gewaltigen Story-Twist aufwartet, in dem der scheinbar so kontrollierte Harrow feststellen muss, dass die Angelegenheiten mitnichten so sind, wie er glaubte, und dass seine Partnerin Branch eine komplett andere Rolle spielt als vermutet. Auch wenn der Bogen am Ende etwas weit gespannt wirkt, liefert vor allem die nur konsequente Erklärung der Ermordung Kennedys – es war eben eine „unmögliche“ Kugel – und der satirische Blick auf die willfährige Aufgabe der Privatsphäre frisches und nachdenkliches Futter für alle Verschwörungstheoretiker. Zeichnerisch wirkt das Ganze von Ariela Kristantina teilweise skizzenhaft, bisweilen arg stilisiert, aber dem Lesevergnügen tut das keinen Abbruch. Der vorliegende schöne Hardcover-Band enthält die US-Ausgaben 5-8, ergänzt um eine Cover-Galerie und Tuschezeichnungen. (hb)

Deep State, Band 2: Kontrollsysteme
Text: Justin Jordan
Bilder: Ariela Kristantina
112 Seiten in Farbe, Hardcover
Popcom
14 Euro

ISBN: 978-3-8420-1979-9

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