Interview mit Dylan Horrocks (Der König des Mars, Hicksville)

Oktober 18, 2015

Foto Dylan Horrocks

Dylan Horrocks, Jahrgang 1966, ist ein außergewöhnlicher Comickünstler. Dass der Neuseeländer Comics liebt und verinnerlicht, stellte er vor einigen Jahren mit ‚Hicksville’ unter beweis, einer Graphic Novel, die auch bei uns veröffentlicht (bei Reprodukt) und die mit einem Eisner Award, dem Comic-Oscar, ausgezeichnet wurde. Daneben schrieb und zeichnete er mit ‚Atlas’ und ‚Pickle’ eigene Serien und sammelte – im Rückblick ernüchternde – Erfahrungen im amerikanischen Mainstream: er schrieb u.a. Batgirl für DC, ehe er dem Markt enttäuscht den Rücken kehrte. Sein aktuelles Buch, die Graphic Novel ‚Der König des Mars’ erscheint bei Egmont Graphic Novel und beeindruckt erneut als liebevolle wie originelle Hommage an Comics an sich. 2012, als Neuseeland Gastland der Frankfurter Buchmesse war, besuchte er mit anderen neuseeländischen Künstlern, wie Colin Wilson und Roger Langridge auch Deutschland. Und anders als die beiden bleibt er seinem Heimatland treu und lebt bei Auckland. Zwischen Terminen in den USA und Kanada (dort ist er zu Gast beim International Festival of Authors in Toronto) nahm er sich Zeit, uns einige Fragen zu beantworten.

Comicleser (CL): Wie kamst Du auf die Idee und die Story zu ‚The Magic Pen‘ (‚Der König des Mars‘) und darauf, verschiedene Aspekte der Comic-Kultur darin zu verwenden?

Dylan Horrocks (DH): Die Idee begann als Traumgebilde, wie die meisten meiner Geschichten. Die Idee von Zeichnungen, die real werden ist natürlich schon alt und sie verfolgt mich schon seit meiner Kindheit, dank Geschichten und Fernsehserien wie ‚Simon in the Land of Chalk Drawings‘ (ein britischer Kinder-Cartoon). Als ich Comics wie ‚Tim und Struppi‘ las, wünschte ich mir immer, ich könnte einen Weg finden, in die Panels hinein zu klettern. Das gleiche gilt auch für Filme und Romane. Daher ist es keine Überraschung, dass ich schließlich ein Buch machte, in dem genau das passiert.

Als sich die Story verdichtete, konnte ich nicht widerstehen, verschiedene Welten, Genres und Kulturen auf dem Gebiet des Comics zu erforschen. Ich hätte ohne weiteres diesen Aspekt des Buches auf hunderte von Seiten ausweiten können, aber dann wäre ich nie fertig geworden…

Der König des Mars CL: ‚The Magic Pen/Der König des Mars’ wird in zahlreichen Ländern und Sprachen veröffentlicht. Du warst auch schon in Frankreich, um das Buch zu promoten. Bist Du mit dem Erfolg zufrieden? Wie sind die Reaktionen Deiner Leser?

DH: Ich glaube, das Buch ist jetzt (oder demnächst) in elf verschiedenen Ländern erhältlich. Das ist großartig! Vor allem die verschiedenen Übersetzungen machen mir Spaß – ich lerne auf polnisch, dänisch und natürlich auf deutsch zu schimpfen. Die Reaktionen sind auch interessant. Weil die Story teilweise Mechanik und Ethik der erotischen Fantasy erkundet, waren die Reaktionen in den verschiedenen Ländern leicht unterschiedlich. Sexualpolitik ist gerade ein heikles Thema im amerikanischen Comic, also konzentrierten sich dort die Rezensionen auf diesen Aspekt. In Frankreich dagegen war die Reaktion weniger hitzig. Meine liebsten Reaktionen sind die, die das Buch zwar spielerisch aber auch ernst nehmen – als eine Einladung zur Diskussion, statt als eine streitbare Aussage. Ganz sicher versuche ich nicht, die Leser von einem bestimmten Standpunkt zu überzeugen; statt dessen möchte ich einen Raum aus moralischer Komplexität und Vieldeutigkeit erkunden und sehen, was dann kommt.

CL: Warum erscheinen ‚Hicksville’ und ‚The Magic Pen’ in Deutschland bei verschiedenen Verlagen? Und warum hat Egmont das Buch anders betitelt (mit ‚Der König des Mars’) und ein anderes Cover verwendet?

DH: Da ich jetzt einen Agenten habe, laufen die meisten dieser Dinge zwischen ihm und den Verlagen. Was großartig ist, denn das heißt auch, dass ich mich voll auf das Zeichnen neuer Bücher konzentrieren kann.

Eine Zeit lang war ‚The Magic Pen’ als Trilogie geplant. Der erste Band sollte ‚Der König des Mars’ heißen. Später habe ich die drei Teile der Story in einem Band kombiniert, aber dieser ursprüngliche Titel hat in der deutschen Ausgabe überlebt. Und das Cover gehört zu den Entwürfen, mit denen ich experimentiert habe. Ich finde es sehr gelungen…

CL: Im Gegensatz zu anderen Comiczeichnern aus Neuseeland, wie Roger Langridge oder Colin Wilson, lebst Du noch immer dort. Wie ist das Leben als Comiczeichner in Neuseeland?

DH: Dank des Internets, das den Umgang mit internationalen Verlagen erleichtert, wird es immer einfacher, Comics in Neuseeland zu machen. Auch werden Graphic Novels von den einheimischen Verlagen, Buchläden und Lesern immer besser akzeptiert. Eine lange Zeit waren meine Comics hier in Neuseeland schwerer zu bekommen als in Frankreich oder Amerika. Bis ich vor fünf Jahren einen Verleger gefunden habe (Victoria University Press, einer unserer führenden Verlage für Belletristik und Lyrik). So wird alles einfacher.

Ich liebe das Leben hier. Hier ist meine Heimat, meine Familie ist hier und es ist ein wunderschönes, recht friedvolles Land. Wir haben nur wenige Einwohner (4,5 Millionen), was es erschwert, einen heimischen Markt für etwas wie Graphic Novels für Erwachsene aufzubauen. Aber so langsam nimmt er Formen an. Und der Großteil meiner Leser ist noch immer in Übersee in Europa und Nordamerika.

Natürlich sind unsere ausgewanderten Zeichner noch immer stark mit der neuseeländischen Szene verwachsen: Roger und Colin sind beide große Nummern unter den heimischen Zeichnern und oft Teil von Ausstellungen und Anthologien neuseeländischer Comics.

CL: Gibt es viele ‚einheimische’ neuseeländische Comics oder werden die meisten Comics aus Übersee importiert? Orientiert sich die örtliche Comicszene eher an den USA oder gibt es auch franko-belgische Einflüsse (‚Tim und Struppi’ wird sowohl in ‚Hicksville’ als auch in ‚Der König des Mars’ erwähnt)?

DH: Die neuseeländische Comicszene ist aktiv und tritt immer mehr in den Vordergrund. Sie hat viele verschiedene Einflüsse: aus den USA Mainstream, alternative und Underground Comics; Webcomics; Manga; europäische Comics (vor allem ‚Tim und Struppi’ und ‚Asterix’); und britische Comics wie 2000AD. Und immer mehr blicken die heimischen Zeichner auf unsere eigene Comic-Geschichte, was ganz neue Aspekte bringt. In den letzten fünf Jahren wurden alleine drei neuseeländische Verlage gegründet, die sich auf Comics spezialisieren, ein halbes Dutzend heimische Graphic Novels wurden veröffentlicht (einige davon wurden Bestseller und gewannen renommierte Preise), und ein großer Bildband über neuseeländische Comics erschien. Zeichner wie Ant Sang (dessen Graphic Novel ‚The Dharma Punks’ gerade in Neuseeland, Nordamerika und Frankreich erscheint) bauen eine ausgeprägte Reputation auf, die einerseits erkennbar neuseeländisch ist und andererseits international nachhallt.

Hicksville CL: Zwischen der Veröffentlichung von ‚Hicksville’ und ‚Der König des Mars’ verging recht viel Zeit. Was waren die größten Unterschiede beim Schreiben und Zeichnen der beiden Bücher?

DH: ‚Hicksville’ wurde von einem jüngeren Zeichner geschrieben und entstand aus einer tiefen, lebenslangen Liebe für Comics. Als ich ‚Der König des Mars’ zeichnete war ich älter und meine Geschichte mit Comics war etwas komplizierter und ambivalenter. Ich hatte einige Jahre in der Mainstream Industrie der USA verbracht und war davon ziemlich ermüdet. Im Prinzip habe ich das Jack Kirby-Zitat erlebt, das am Anfang von ‚Hicksville’ steht: „Comics werden Dir das Herz brechen.“ Mit ‚Der König des Mars’ habe ich auch meinen Weg zurück zu den Comics gefunden, zu Geschichten, Kunst und Fantasie. Als ich begann, das Buch zu planen, war ich mir nicht mehr sicher, für was Kunst stand. Ich hatte etwas von meinem Glauben an Geschichten und Kunst verloren. Aber am Ende habe ich meinen Weg zurück nach Hause gefunden.

CL: In Deinen Comics benutzt Du oft die gleichen Figuren. Sam Zabel erscheint auch in ‚Hicksville’, genau wie Lady Night. Machst Du Deine Comics nach der Comic-Theorie, die James Kochalka beschreibt (siehe auch Dein Essay ‚Perfect Planet’), und daher: lebt Sam Zabel noch immer in Hicksville?

DH: Obwohl ich gerne die gleichen Figuren benutze, sind die Geschichten eigentlich recht unterschiedlich. Hicksville (die Stadt) wird in ‚Der König des Mars’ nicht erwähnt. Ich benutze Figuren und andere Elemente erneut, wenn sie etwas beisteuern können, was ich für die jeweilige Story benötige, aber ich behandele sie nicht unbedingt, als würden sie in einem bestimmten ‚Universum’ oder einer ‚Kontinuität’ stecken. Wenn es ein gemeinsames Universum gibt, in dem meine Figuren leben, dann ist es das Universum, in dem Dylan Horrocks Comics über sie zeichnet. Selbst die Figuren können sich von einem zum nächsten Buch verändern – wie ein Ensemble von Schauspielern, die gemeinsam in verschiedenen Filmen oder Stücken agieren, aber jedes Mal neue Rollen spielen.

Das ist nichts, was ich so geplant habe, es hat sich einfach so ergeben. Ich liebe es, ein Universum zu schaffen, das alle meine Geschichten verbindet, aber gleichzeitig kann ich nie vergessen, dass meine Comics und Figuren erdichtet sind. Ich denke, aus diesem Grund sträube ich mich auch, mich an eine einheitlichen Kontinuität zu binden; es fühlt sich fast unehrlich an, wenn ich weiß – und die Leser auch – dass Sam, Miki, Grace und Hicksville nur als Zeichnungen existieren. Dieses komplizierte reale-irreale Verhältnis, das wir mit imaginären Figuren und Welten haben, welche uns beschäftigen, ist Teil dessen, um was es in ‚Der König des Mars’ geht.

CL: Sam Zabel scheint Dein Alter Ego zu sein. Wie auch Sam hast Du im US-Comicmarkt gearbeitet, um Deine Brötchen zu verdienen. Was Du nicht gemocht hast. Wie viel von ihm steckt in Dir?

DH: Ich bin nicht Sam, aber manchmal dient er als eine Art experimentelle Laborratte. Wenn ich versuche etwas in meinem eigenen Leben zu verstehen, schaffe ich eine entsprechende fiktionale Situation, in deren Mitte ich dann Sam platziere. Manchmal reagiert er so wie ich, aber dann und wann schlägt er eine ganz andere Richtung ein. Indem ich beobachte, wie er sondiert und reagiert, erlange ich ein besseres Verständnis meiner eigenen Situation. Aber wenn er genau wie ich wäre, wäre es sicher weniger interessant oder nützlich.

Außerdem trägt Sam keine Brille. Er ist ganz anders. Wirklich.

CL: Betrachtest Du das Science Fiction Comic von Evan Rice in ‚Der König des Mars’ als Hommage an John Carter oder Flash Gordon oder existiert ein solches altes neuseeländisches Comic wirklich?

DH: Ja, das tut es! Das Evan Rice Comic in ‚Der König des Mars’ ist vor allem eine Hommage an die Comics, die ein junger Neuseeländer namens Eric Resetar in der 1940er und 1950er Jahren gezeichnet hat. Er veröffentlichte seinen ersten Comic, als er noch zur Schule ging und verkaufte ihn an amerikanische Soldaten, die während des Krieges in Auckland stationiert waren. Er war ein großer Fan von Buck Rogers, weshalb sich in seinen Geschichten Abenteurer mit Strahlenpistolen, Raumschiffe und Aliens tummelten. Sein bekanntestes Comic heißt ‚Crash Carson: Ein All Black auf dem Mars‘ [Anm. CL: ein All Black ist ein Spieler der neuseeländischen Rugby Nationalmannschaft]. Leider gerieten Erics Comics lange Zeit fast völlig in Vergessenheit, aber in den letzten Jahren wurde er wieder entdeckt, dank hiesigen Sammlern und dem Historiker Tim Bollinger. Es gibt sogar einen neuseeländischen Comicpreis, der zu seinen Ehren The Erics getauft wurde. Eric starb 2012, aber ich konnte ihm einige der frühen Seiten von ‚Der König des Mars’ zeigen, ehe er uns verließ. Seine Arbeiten sind lebendig und roh, stecken voller unbändiger, freudiger Liebe für Comics, Abenteuer und Fantasie.

CL: Deine Comics und Dein Ideenreichtum sind großartig. Gibt es trotzdem Künstler, die Dich beeinflusst haben? Welche Comics liest Du selbst?

DH: Oh, da gibt es etliche! Ich liebe Hergé, Charles Schulz, Robert Crumb, Tove Jansson, George Herriman, Edward Gorey (und viele andere) seit meiner Kindheit. Ich der High School entdeckte ich das (À Suivre) Magazin und erkundete die europäische Comicszene so genau es von der anderen Seite der Welt aus eben ging (in den Tagen vor dem Internet). In den frühen 1980ern begeisterte mich das Raw Magazine, wie auch ‚Love & Rockets’ von den Brüdern Hernandez, oder Dave Sims ‚Cerebus’. In meinen frühen Zwanzigern faszinierte mich die britische Small Press Szene, die sich um Fast Fiction und Eskapismus zentrierte. Mit Zeichnern wie Ed Pinsent, Glenn Dakin, Chris Reynolds und Carol Swain. Später waren Chester Brown, Julie Doucet and Seth große Inspirationen, wie auch David B, Joann Sfar, Edmond Baudoin und Blutch. Heute lese ich nur noch ab und zu Comics, es werden zu viele veröffentlicht, als dass man auf dem Laufenden bleiben kann. Sehr gerne greife ich zu Sammlungen klassischer Zeitungsstrips: Roy Crane, Ernie Bushmiller, Harold Gray usw.

Der neuseeländische Zeichner Barry Linton ist eine weitere lebenslange Inspiration. Sein Zeichenstil ist tief in den Landschaften und Kulturen des Südpazifiks verwurzelt und seine Geschichten sind locker, fesselnd und eigenwillig. Ich verfolge seine Arbeiten seit über 30 Jahren und sie überraschen mich stets aufs Neue.

Incomplete WorksCL: Wird es internationale oder gesammelte Ausgaben von ‚Pickle’ oder ‚Atlas’ geben oder wirst Du eine oder beide Reihen irgendwann fortsetzen? Und wird ‚Incomplete Works’ (eine Kurzgeschichten-Sammlung) in Deutschland erscheinen?

DH: In ‚Hicksville’ ist das meiste aus ‚Pickle‘ enthalten und der größte Rest findet sich in ‚Incomplete Works’. Eine deutsche Ausgabe von ‚Incomplete Works’ würde mich freuen; es ist ein Buch, das mir viel bedeutet. Es beinhaltet einige meiner persönlichsten, innigsten Arbeiten. Bisher ist es in Neuseeland, Nordamerika und Frankreich erschienen, aber es gibt gegenwärtig keine Pläne für eine deutsche Ausgabe. Drücken wir die Daumen…

‚Atlas’ pausiert gerade, aber ich würde die Story gerne eines Tages fertig stellen. Wenn es soweit ist, wird es sicher diverse internationale Ausgaben geben, aber zuerst muss ich es beenden! Ich habe immer mehrere Comics auf einmal in der Mache, in meinen Notebooks, auf meinem Zeichentisch und ich weiß nie genau, welches zuerst in den Druck kommt.

CL: Was sind Deine Pläne für die Zukunft – wirst Du das Hicksville Universum weiter erkunden? Und wirst Du wieder mal Deutschland besuchen?

DH: Ich hoffe, dass ich wieder nach Deutschland komme – ich hatte dort damals eine großartige Zeit und die Comicszene ist faszinierend. Was meine Zukunftspläne betrifft: im Moment konzentriere ich mich auf meine erste non-fiction Graphic Novel, was eine aufregende Herausforderung darstellt. Ich arbeite auch an anderen Dingen, aber das ist im Moment mein Hauptprojekt. Es ist ein ganz anderer Entstehungsprozess!

CL: Vielen Dank, Dylan!
(bw)

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