…Vengeance. Fünfhundert Jahre in der Zukunft: fünf künstliche Satelliten umkreisen einen toten Planeten. Die Raumstationen enthalten jeweils eine Stadt, darunter das florierende Calyx. Die Gesellschaft ist klar unterteilt in Ober- und Unterstadt: oben lassen es sich die Machthaber gutgehen, unten sorgen Arbeiter und Ingenieure dafür, dass die heiligen Blutsteine die Städte weiter im Orbit halten. Als es zu einem Beinahe-Unfall kommt, sieht sich der Ingenieur Chaen in der Pflicht und bastelt selbst einen eigenen Blutstein – dank der Erkenntnis, dass es sich nicht um magische Objekte, sondern um lebende Maschinen handelt.
Der zuständige Adjutant zeigt sich beeindruckt und sorgt dafür, dass Chaen seine Idee dem Friedensrichter, der Calyx vorsteht, vorstellen darf. Auch der sieht eine Chance, sich zu profilieren, und reist mit Chaen zum El, dem Regierungssitz der fünf Satelliten, wo in der Stadt Albion der Hof der fünf Auserwählten tagt. Dort darf Chaen seine Erfindung unter dem Blick des elektrischen Auges vortragen, aber schnell wird klar, dass er auf wenig Sympathie stößt – immerhin würde es für die herrschende Kaste eher brenzlig, wenn das gemeine Volk erfährt, dass die Blutsteine künstlich und die Regierende alles andere als unfehlbare Hüter des Friedens sind. Kurzerhand wirft man Chaen buchstäblich hinab auf den toten Planeten – der allerdings alles andere als so leer ist, wie man den Ringbewohnern Glauben macht.
In einer postapokalyptischen Landschaft voller Ruinen fällt Chaen einem Trupp in Schutzanzügen in die Hände, die ihn mitnehmen in ihren Stützpunkt, das „Camp New York“. Der Oberchef Frank eröffnet dem staunenden Chaen dann die „Scheiß-Wahrheit“: vor 500 Jahren hat sich die Oberschicht der sterbenden Erde aus dem Staub gemacht, dabei schnell noch alle Ressourcen geklaut und sich auf fünf Raumstationen verteilt, während die zurückgelassenen Erdbewohner ihrem Schicksal überlassen sind. Frank fordert Chaen auf, als Ingenieur mit praktischen Kenntnissen zum Wiederaufbau der Erde beizutragen – was Chaen zusagt, der allerdings auch auf Rache an den Missetätern im Orbit schwört…
Mit „Screaming For Vengeance“ legten die britischen Metall-Urväter Judas Priest 1982 ihr bis heute erfolgreichstes Album vor, das ihre Ankunft in den 80ern endgültig markierte. Nach den teilweise noch proggigen oder am Bombast-Rock angelehnten Ausflügen der 70er hatten sie 1980 mit „British Steel“ und dem Hit „Breaking the Law“ schon maßgeblich zum Start der New Wave of British Heavy Metal – und jetzt alle laut zusammen: NWOBHM! – beigetragen. Auf dem 82er Werk allerdings erstrahlten mit Knallern wie „Riding on the Wind“, dem Titeltrack oder „Another Thing Coming“ die Priest-Trademarks wie messerscharfe Riffs, melodisches Zusammenspiel der Gitarren, fulminante Härte und natürlich das opernhafte Falsett von Fronter Rob Halford erstmals in ganzer Brillanz.
Auch in Sachen Optik gingen Priest neue Wege: nach den eher traditionellen Covern von „British Steel“ oder „Point of Entry“ ließ man das neue Werk von Doug Johnson designen, der später noch für „Defenders of the Faith“ und „Turbo“ verantwortlich zeichnete. Johnson schuf eine beeindruckende, knallig-gelbe Darstellung eines metallischen Vogels, der auf eine unsichtbare Beute herabzustoßen scheint – was auf der Rückseite der Plattenhülle in einen losen Kontext gestellt wurde: „From an unknown land and through distant skies came a winged warrior. Nothing remained sacred, no one was safe from the Hellion as it uttered its battle cry… Screaming for Vengeance”.
Cover und Motto nehmen Rantz A. Hoseley (u.a. The Heroin Diaries) und Neil Kleid (Savor) als Inspiration für eine eigene Storyline, in der diverse Motive und Titel des Albums zum Einsatz kommen: der mechanische Höllenvogel „Hellion“ steigt auf, das „Electric Eye“ beobachtet die Einwohner der fünf Städte, die die „Bloodstones“ am Schweben halten. Im feurigen Finale legen sie der Hauptfigur Chaen schließlich direkt einige Zeilen aus dem Titeltrack in den Mund: „Table’s turned and now there’s a revenge in sight, if it takes forever, then I’ll tell you I can wait, send them screaming back through their hell’s own gate”.
Die Grundidee des Songs – ein Plädoyer gegen jegliche Unterdrückung und Manipulation durch „die da oben“ – bleiben auch in dem Science Fiction-Szenario erhalten, das Hoseley und Kleid weben, wobei der Mixer der gängigen Motive in voller Rotation läuft: die Ober- und Unterstadt kennen wir zur Genüge aus „Metropolis“, wo die Idee von H.G. Wells „Time Machine“ geklaut war, das verfallene New York tritt uns in so ziemlich jedem postapokalyptischen Kinoabenteuer seit dem Planet der Affen entgegen, der seltsame Alte, der in Form von Büchern die Kultur von früher bewahrt, das hatten wir schon in „Logan’s Run“ – aber dennoch macht die wilde Melange Laune, zumal auch gerne mal kleinere Hinweise für Kenner eingestreut sind, so etwa, als Frank sagt, er sei nicht auf den traurigen Schwingen des Schicksals hereingeschwebt – was man als ordentlicher Priest-Jünger natürlich als Verweis auf die 1976er-Scheibe „Sad Wings of Destiny“ gerne liest.
Christopher Mitten inszeniert das Geschehen eher stilisiert wie in seinem „Hellboy and the B.P.R.D.“, ein wenig an Moebius gemahnend, mit immer atmosphärischer Farbgebung: die Unterstadt erscheint in blau getaucht, das elektrische Auge dräut rot wie die Blutsteine, und das verfallene New York ist in deprimierendem graugrün gehalten. Bei den Eidgenossen von Skinless Crow erscheint dieser One-Shot, der im Original bei Z2 Comics herauskam (wo die „Platinum Edition“ nicht nur die Vinyl-LP, sondern auch eine Hellion-Statue mit blinkenden Augen enthielt – Batterien nicht inkludiert), wahlweise als Softcover in kunstvoll abgegriffen wirkender Optik oder als Hardcover (limitiert auf 222 Exemplare, siehe rechts oben), jeweils ergänzt um eine Cover-Galerie. Auch wenn man sich eine kleine Einleitung mit Hintergründen wünschen könnte, legen wir doch gerne nochmal die Platte auf und lassen den „Hellion“ fliegen. (hb)
Judas Priest – Screaming for Vengeance
Text & Story: Rantz A. Hoseley, Neil Kleid
Bilder: Christopher Mitten, Dee Cunniffe
144 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
24,50 Euro (Softcover)
34,50 Euro (Hardcover)
ISBN: 978-3-03963-029-5 (Softcover)
ISBN: 978-3-03963-030-1 (Hardcover)