Gullivera (Splitter)

Januar 12, 2024
Gullivera (Splitter Verlag) von Milo Manara

Irgendwo an einem einsamen Strand: eine schmucke Studentin aalt sich in der Sonne und beobachtet dabei ein Segelschiff, das wohl schon seit Tagen ankert. Bei einem Luftmatratzenausflug fällt die holde Maid ins Wasser, verliert dabei den Badeanzug und klettert wie Gott sie schuf an Bord des Seglers. Dort findet sie zwar keine Besatzung, aber einen alten Union Jack, den sie provisorisch als Kleid umbindet, einen Dreispitz und vor allem eine alte Ausgabe von Jonathan Swifts Klassiker Gullivers Reisen. Als ein Sturm aufzieht, reisst sich das Boot los und führt unsere Heldin an einen fremden Strand, wo sie erst einmal einschläft. Beim Erwachen stellt sie erstaunt fest, dass sie festgebunden und von einer Horde Winzlinge umrundet ist, die sie mit Mini-Pfeilen piesacken.

Alsbald findet sich ein Honoratior ein, der sich als König von Liliput vorstellt und die Gute für sich vereinnahmen will. Man betäubt die Riesin mit Alkohol und schafft sie in die Stadt, wo sie zunächst für die Truppen des Königs einen Triumphbogen bildet – dank spärlichster Bekleidung weitgehend einsehbar -, dann Piraten zurückschlägt, deren Flotte als königliche Marine konfisziert und schließlich in Ungnade fällt, als sie ein Palastfeuer aus der Not heraus per persönlicher Bewässerung löscht. Nach dem nächsten Segeltörn sind die Vorzeichen verkehrt: zuerst greift eine monströse Ratte an, die die Schönheit noch zurückschlagen kann, bevor dann zwei riesenhafte Personen in futuristischer Bekleidung ein perfides erotisches Spiel mit ihr beginnen. Später verschlägt es unsere Heldin nach einem kurzen Abstecher zu einer Welt mit sprechenden Pferden schließlich auf eine fliegende Insel, wo selbst ernannte Bacchantinnen vor der Nase ihrer schlafenden Männer dem gleichgeschlechtlichen Verhauen frönen…

1996 erstmals erschienen, zählt „Gullivera“, auch bekannt als „Gulliveriana“, zu den sicherlich ikonischsten Werken des Altmeisters der Erotik Milo Manara. Die leichtfüßig-parodistische Hommage an Jonathan Swifts Gesellschaftssatire konzentriert sich dabei vor allem auf die erste Reise in das Land Liliput und präsentiert zahlreiche klassische literarische Szenen (Gullivers Fesselung am Strand, sein Angriff gegen die feindliche Armada, das Ausurinieren des Palastfeuers), selbstverständlich gewandet – oder eben kaum gewandet – in die Manara-typischen Posen mit prallen Hintern, gespreizten Schenkeln (standes- und zeitgemäß noch mit ordentlichem Gestrüpp, ja so war das mal, liebe jungen Herren!), geleckten Lippen und verdrehten Augen.

Mit der zweiten Reise, die Gulliver zu den Riesen nach Brobdingnag führt, geht Milo Manara dann schon deutlich kürzer zu Werke und versetzt die Konfrontation in einen parodistischen SF-Rahmen: die beiden Gestalten, die Gullivera malträtieren (und auf die gleichen Namen hören auf zwei Figuren aus der Romanvorlage), tragen pseudo-futuristische Anzüge und sprechen von 3D-Waffen sowie Kraftnahrung. Die in Swifts Vorlage heftigste Episode bei den intelligenten Pferden, die die verrohten Menschen Yahoos nennen und als Vieh halten (was bei dem nicht umsonst in geistiger Umnachtung endenden Swift ultimativer Ausdruck seiner tiefen Misanthropie steht), gerät bei Manara zum kurzen Ausflug zu lüsternen Hengsten, die es der hübschen Menschenfrau mal besorgen wollen.

Die Wissenschafts-Satire über die fliegende Insel schließlich funktioniert Manara um zur lesbischen S&M-Episode, in der mehr gespankt wird als in jeder zünftigen frühen Wonder Woman-Ausgabe. Somit gleichzeitig Verneigung und Parodie der satirischen Vorlage, liefert Gullivera nach wie vor bestes gediegenes Material für die Manara-eigene gepflegte Hinterteil-Beschau, die bei einem von ihm gezeichneten Variant-Cover für „Spider-Woman“ 2014 zu einem handfesten Eklat führte, hier aber Teil des Gesamtkonzeptes ist. Und der Dreispitz wird auch durchaus gekonnt eingesetzt. Die Geschichte erscheint auch in dieser Neuauflage bei Splitter ergänzt um diverse Pin-Ups sowie einen Kunstdruck. (hb)

Gullivera
Text & Bilder: Milo Manara
72 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
22 Euro

ISBN: 978-3-98721-261-1

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