The Night Eaters, Band 1 (Splitter)

Dezember 27, 2023
The Night Eaters, Band 1: Sie verzehrt die Nacht

Irgendwo in New York, unmittelbar nach der Pandemie. Die Zwillinge Milly und Billy führen gemeinsam ein asiatisches Restaurant. Das Geschäft läuft langsam wieder an – während der Pandemie wurden die beiden samt ihrem Restaurant von ihren Eltern unterstützt. Finanziell wie moralisch. Die Eltern Ipo und Keon stammen aus Hongkong und sind über Hawaii nun zu ihren Kindern gezogen. Mutter Ipo hat zwei grüne Daumen, was der üppige Garten ihres Hauses eindrucksvoll beweist. Ansonsten scheint Ipo einen schwierigen Charakter zu haben. Immer mit einer Kippe im Mundwinkel zeigt sie sich meist mürrisch, eigensinnig und wortkarg, was vor allem ihre beiden Kinder zu spüren bekommen. Direkt gegenüber ihrem Heim steht ein leer stehendes Haus, völlig überwuchert, an dessen Verkauf der Makler ein ums andere Mal krachend scheitert. Das Haus übt scheinbar eine seltsame Anziehungskraft auf Ipo aus, die sich dort auch immer öfter aufhält…

Das alte, finstere Haus, das typische verlassene Spukhaus (inklusive unheimlicher Puppen – ein gegenwärtig beliebtes Horror-Accessoire), in dem einst etwas Furchtbares geschah und das wie immer schaurige Geheimnisse birgt, ist hier nur die eine Quelle des Horrors. Die andere, ungewöhnliche und unerwartete kommt von der vermeintlich ganz normalen Familie, in erster Linie in Gestalt der seltsamen Ipo, deren Antrieb und Motive lange Zeit völlig im Dunklen bleiben. Ipo steht im Mittelpunkt des Geschehens, das in acht Kapiteln und einem Epilog aufgeteilt ist. In Rückblenden verfolgen wir zusätzlich ihren Werdegang ab 1956, als Stuntfrau in Hongkong-Filmen, schon bald seltsam mürrisch. Trotz ihres offenbar schwierigen Charakters lernt sie Keon kennen und heiratet ihn 1965 schließlich – was die berechtigte Frage nach ihrem Alter und dem ihrem jugendlichen Aussehen (wie auch das ihres Mannes) aufwirft.

Nach einer gewissen mit Suspense angereicherten Anlaufzeit, in der wir auch die Familie kennenlernen, bricht der Horror schließlich massiv hervor – auf beste Lovecraft’sche Manier (ja, es stinkt auch) –, der jedoch von den Zwillingen völlig unterschiedlich wahrgenommen und erfahren wird als von Mutter Ipo und Vater Keon. Was seine Gründe hat – mehr verraten wir an dieser Stelle nicht. Die Story ist fest in der Gegenwart verwurzelt, mit frischen Pandemie-Bezügen. Auch Witz und Situationskomik kommen dabei nicht zu kurz, wie der Streit im Restaurant vor den Gästen, oder der furztrockene sarkastische Humor der Mutter. Dazu kommen originelle, Ironie-beladene oder schnippische Dialog-Beiträge der Zwillinge, die gerne für Erheiterung sorgen.

„The Night Eaters“ ist die neue Serie (die bei Splitter drei Bände umfassen wird) des erfolgreichen „Monstress“ Teams Marjorie Liu und Sana Takeda. Statt des bei „Monstress“ (aktuell in bereits sieben Bänden bei Cross Cult) dominierenden heroischen, vom japanischen Manga beeinflussten Fantasy-Zeichenstils beherrschen hier entsprechend in Szene gesetzte Normalos das Geschehen. Vermeintliche Normalos wohlgemerkt, denn bald dominiert düsterer, nicht minder gekonnt präsentierter Horror inkl. Schockmomenten. Immer wieder mit visuell spannend inszenierten Panelfolgen, in denen wie in einer Filmszene die Kamera in der gleichen Einstellung und Perspektive das Geschehen beobachtet und so eine fließende Szene „fotografiert“. Der erste Band, der übrigens dieses Jahr mit dem Eisner Award prämiert wurde (wie auch Sana Takeda) bildet eine Art Origin-Erzählung. Band 2 erscheint erst im Oktober nächsten Jahres. Bis dahin müssen wir und leider gedulden. (bw)

The Night Eaters, Band 1: Sie verzehrt die Nacht
Text & Story: Marjorie Liu
Bilder: Sana Takeda
208 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
29,80 Euro

ISBN: 978-3-98721-242-0

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