Cash – I see a Darkness (Carlsen)

Oktober 25, 2023
Cash – I see a Darkness (Carlsen Verlag) von Reinhard Kleist

Johnny Cash ist Ende der 60er Jahre so ziemlich am Ende. Seine Country-Songs wie „Walk the Line“ oder „Ring of Fire“ will so recht keiner mehr hören, seine Ehe ist schon lange im Eimer, und es hilft auch nicht, dass er seit Jahren süchtig nach Tabletten und Alkohol ist. Da wirkt es fast schon wie eine Schnapsidee, dass er ausgerechnet im Folsom Prison ein Konzert geben will, wo die ganz schweren Jungs einsitzen. Was niemand ahnen kann: das Konzert und die dabei aufgezeichnete Live-Platte werden zum Wendepunkt in Cashs Karriere. Er ist auf dem Punkt fit, keine Spur von den Ausfällen, die seine Konzerte gerne mal kennzeichneten, die über 1000 Insassen fühlen sich angesprochen von seinen Stories der Verlierer und Entrechteten. Die Platte verkauft sich über 6 Millionen mal, Cash ist Ende der 60er (wieder) ein Superstar.

Reinhard Kleist nimmt das Konzert, wie auch die hervorragende Leinwand-Hommage mit Joaquin Phoenix und Reese Witherspoon von 2005, als Start- und Höhepunkt seiner Graphic Novel, mit der er 2006 für Furore in der Comicszene sorgte. Von der ärmlichen Kindheit im USA der großen Depression über den Unfalltod des Bruders Jack zeichnet Kleist die Geschichte Cashs nach, der aus den Arbeiterliedern der Baumwellfelder und den Radiohelden der Zeit seine Begeisterung für Musik mitnimmt. Beim Militärdienst in Deutschland (in Landsberg, genauer gesagt) gründet er seine erste Band und heiratet nach seiner Rückkehr die Vivian Liberto, mit der alsbald auch eine Familie gründet. Seine Band nennt sich schlicht die Tennessee Three, man tritt komplett in Schwarz auf, um auch optisch was herzumachen. Nach einem Elvis-Konzert wird Cash in den legendären Sun-Studios beim Sam Philips vorstellig, man nimmt erste Singles auf und firmiert fortan unter „Johnny Cash and the Tennessee Two“.

Man tourt ausgiebig, zunächst im Vorprogramm von Elvis, dann unter eigener Flagge, und bald macht Johnny Bekanntschaft mit Amphetaminen, um das gewaltige Pensum von bis zu 300 Konzerten im Jahr zu absolvieren. Mit June Carter tritt schließlich auch Cashs große Liebe in sein Leben und seine Band, worauf er sich endgültig von seiner Frau und Familie entfremdet. Die Sucht wird immer stärker, Konzerte fallen aus oder werden abgebrochen, und schließlich wird Johnny am Flughafen mit einem Sack voll Drogen geschnappt, den er sich aus Mexiko beschafft hatte. Völlig am Ende, lässt sich Johnny von seinen Eltern und June zu einem Entzug überreden, den er lädiert übersteht und dann endlich seinen großen Plan realisieren will, an einem der ungewöhnlichsten Orte überhaupt ein Konzert zu geben…

Zum 20. Todestag von Johnny Cash, der am 12. September 2003 diese Welt verließ, legt Carlsen Kleists wegweisende Graphic Novel in runderneuerter Form neu auf. Erstmals als großformatiges Hardcover, versehen mit einer Sonderfarbe, die das atmosphärische Schwarz-Weiß um einen Sepia-Ton ergänzt, kann man so die Lebensgeschichte einer Ikone wieder oder gänzlich neu entdecken, über die U2-Sänger Bono (sicherlich kein anspruchsloser Geselle) feststellte: „Gegen Johnny Cash sind wir alle Weicheier“. Kleist hält sich nahe an die gut dokumentierte Lebensgeschichte und fokussiert dabei teilweise auch auf eher tragische Nebenfiguren – der Folsom-Häftling Greg Sherley etwa, der es schaffte, dass Cash einen Song aus seiner Feder spielte, seine vorzeitige Entlassung bewirkte, mit ihm sogar eine Platte aufnahm, nur um völlig abzustürzen und im Freitod zu enden.

Gekonnt setzt Kleist auch einzelne Songs wie „The Ballad of Ira Hayes“ als kleine szenische Geschichte um, in der das tragische Schicksals eines der GIs erscheint, die die Flagge auf Iwo Jima hissten, was zu einem (gestellten) ikonischen Foto führte. Spaßig auch die Umsetzung des launigen Stücks, in dem ein Vater seinen Jüngling mit einer originellen Namensgebung zu einem harten Hund formen will – vor allem, weil diese mich wohlig an die Kaminabende im Elternhaus erinnert, als unser Familienoberhaupt stets die LP (ja, die gab es damals noch) „Free Country“ auflegte und wir zu „A Boy named Sue“ stets an passender Stelle lauthals mitintonierten: „My name is Sue – how do you do??“ Elegisch gestaltet sich dann die letzte Lebensphase, in der der rauschebärtige Hip Hop-Produzent Rick Rubin (der auch Slayer von der Garagenband zur Macht im Thrash verwandelte) Cash entdeckte, produzierte und mit den „American Recordings“ zu einem auch für die MTV-Generation machte, der einer Coverversion von „Hurt“ aus der Feder von Nine Inch Nails-Chef Trent Reznor nochmals für Furore sorgte.

Kleist, der den Titel für seine Graphic Novel aus einem Gespräch Cashs mit Bob Dylan zum Vietnam-Krieg entlehnt („I see a darkness in the world“), gestaltet das Geschehen zutiefst atmosphärisch, schwarz-weiß und leicht stilisiert, wobei ikonische Momente wie Szenen vom Händeschütteln beim Folsom-Konzert, von Cashs Verhaftung am Flughafen und das berühmte „Stinkefinger-Bild“ originalgetreu nachgebaut werden. Ergänzt mit einer farbigen Skizzengalerie, nehmen wir diese Neuauflage doch sehr gerne als Chance, diesen Meilenstein der deutschen Graphic Novel nochmals unter die Lupe zu nehmen. (hb)

Cash – I see a Darkness
Text & Bilder: Reinhard Kleist
224 Seiten in Farbe, Hardcover
Carlsen Verlag
26 Euro

ISBN: 978-3-551-76000-5

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