Slayer: Repentless (Cross Cult)

Dezember 22, 2017

Grundwahrheit: „Wir sterben eh alle. Jeden Tag ein Stückchen mehr“. Im gottverlassenen Nest Repentless stimmt diese düstere Überzeugung ganz besonders. Denn hier prallen Hass und Gewalt in kristallisierter Form aufeinander. Wyatt hat sich aus dem neofaschistischen Sumpf weißer Supremacy-Schergen befreit und sich mit der farbigen Angel ein neues Leben aufgebaut. Das ist seinem Bruder Adrian ein ganz gewaltiger Dorn im Auge, der den „Verräter“ der Bewegung zur Strecke bringen will. Zuerst mal landet Wyatt nach einem abgekarteten Spiel im Knast, wo man ihm den Garaus machen will. Blutig setzt er sich zur Wehr und bringt dabei auch die Drahtzieher samt und sonders um die Ecke. Die können allerdings vorher noch seine Geliebte in ihre Gewalt bringen und ihrem Leben ein Ende setzen. Gemeinsam mit dem Insassen Manny macht sich Wyatt auf den Weg, um Angels sterbliche Überreste nach Hause zu ihrer Familie zu bringen. Dabei ist ihm die Fascho-Bande seines Bruders auf den Fersen, der ihm auch den psychopathischen Londo (der gerne mal Leuten mit einer Rasierklinge malträtiert) auf den Hals hetzt. Aber auch Manny hat Kumpel: genauer gesagt vier Motorrad-Typen, die einer nicht ganz unbekannten Thrash-Band durchaus ähnlich sehen. In Repentless kommt es dann zum Showdown, den Adrian in lyrischen Worten ankündigt: „Ich will, dass es hier heute Blut regnet“…

Mit der dreiteiligen, nach dem aktuellen Album benannten Miniserie reihen sich die Thrash-Titanen von Slayer in den Reigen der Metal-Bands ein, die die crossmediale Präsenz in Richtung Comics ausweiten. Pioniere dabei waren – wer sollte es anders sein – die geschäftstüchtigen Glamrocker von Kiss, die schon 1977 einen Gastauftritt in Howard the Duck (!) absolvierten und im gleichen Jahr im Marvel Comics Super Special mit Superkräften ausgestattet wurden (wobei publicity-wirksam ein wenig Blut der Herren in die rote Tinte gemischt wurde, worüber sich Tom Araya wohl köstlich amüsiert hätte). Während unter anderem Anthrax gerne mit Comic-Motiven in Songs und Covern spielen (neben Judge Dredd, der bekanntlich das Gesetz ist, kam dabei z.B. der fiktive Captain Thrash zu Ehren), sind direkte Comic-Begleitungen einzelner Alben dagegen seltener anzutreffen, am prominentesten wohl im Within Temptation-Projekt „The Unforgiving“.

Für „Repentless“ (für die Anglisten unter uns: ja, das Wort existiert nicht, aber intuitiv muss es „ohne Reue“ bedeuten – und es ist Slayeeeer!!) ging man dabei einen ähnlichen Weg und setzte auf drei Musikvideos auf, die BJ McDonnell (Kameramann u.a. bei „Jack Reacher“ und „Avengers: Age Of Ultron“) für das gleichnamige Album geschrieben und inszeniert hatte: die Trilogie „Repentless“, „You Against You“ und „Pride In Prejudice“ erzählt die Geschichte des verfeindeten Bruderpaars in blutiger Schärfe, komplett mit Gefängnisaufstand, Augenklappe und Wyatts Kumpel Manny (gespielt von „Machete“ Danny Trejo, auch bekannt als Kopf auf der Schildkröte in „Breaking Bad“). In mörderischer Präzision schlägt dabei das Stakkato der Gitarren und Arayas heulender Gesang um sich und reißt einen unwillkürlich in die düstere Vision mit. Autor Jon Schnepp reichert die zugehörige Erzählung auf Comic-Dimensionen an, fügt Charakterisierungen und Handlungsbögen dazu und lässt die Herren Tom Araya (der Weihnachtsmann aus der Hölle), Kerry King (der König der Geldbeutelkette), Gary Holt (ersetzte Jeff Hanneman nach dessen Tod) und Felldrescher Paul Bostaph, die in den Videos musizieren, selbst ins fiktive Geschehen eingreifen.

Dabei zitiert Schnepp nicht nur Handlungsmotive, sondern auch zahlreiche Songs aus der reichen Historie des Thrash-Flaggschiffs: da schneidet der irre Londo einem Opfer das Gesicht ab und setzt es sich ganz im Geiste von „Dead Skin Mask“ selbst auf, Wyatt resümiert gegen Ende „God hates us all“, Adrian wünscht sich den Titelsong des Slayer-Klassikers schlechthin herbei („Raining Blood“ von „Reign in Blood“ – alles klar?), in Repentless gilt schlichtweg das Motto, dass hier die Hölle wartet, wie dies auch schon Slayer-Album Nummer 2, „Hell Awaits“, 1985 verkündete, und in der Kneipe, in der man erstmals auf die vier düsteren Gesellen trifft, klingt das lauschige „Angel Of Death“ aus der Musikbox. Auch optisch hält sich Guiu Vilanova an die Video-Trilogie und zitiert zahlreiche Szenen direkt, wie etwa eine messergespickte Leiche oder den Gefängnisaufstand. Natürlich schreckt Vilanova dabei nicht vor den drastischen Darstellungen zurück, die das Slayer-Werk lyrisch und auch optisch in den bestenfalls verstörend zu nennenden Covers (die Glenn Fabry besorgte) durchziehen (und trifft nebenbei die vier Protagonisten durchaus gut).

Alles Gewaltfantasien irgendwelcher verirrten Geister? Pubertäres Provokations-Gebaren nicht erwachsen gewordener Möchtegern-Revoluzzer? Wohl kaum – doch eher ein alptraumhafter Road Trip, ein Spiegel der (bevorzugt amerikanischen) Gesellschaft, in der es immer noch mühelos möglich ist, sich im nächsten Supermarkt eine halbautomatische Wumme zu besorgen und in der Schule oder auf dem Spielplatz reiche „Ernte“ zu halten, ohne dass jemand ernsthaft fragt, ob das vielleicht auch anders gehen würde. „Wir erzählen dieselbe Geschichte, die wir immer erzählen“, stellt Onkel Tom denn auch klar, „Über die Gesellschaft und wie die Menschen sich gegenseitig behandeln“. Und das ist, auch wenn es das Wort nicht gibt, leider nur allzu oft Repentless – wo es treffend heißt: „Arrogance, violence, world in disarray, dealing with insanity every fucking day…“ Der vorliegende Band bringt die Miniserie „Slayer: Repentless“, die im Original in drei Heften bei Dark Horse erschien, mit einem Anhang komplett mit Cover-Galerie, Bilder der Videodrehs und einer Fotostrecke von der San Diego Comic Con, die die vier Wüteriche mit ihrem Besuch beehrten. In diesem Sinne: Let it ride!! (hb)

Slayer: Repentless – Ohne Reue
Text: Jon Schnepp
Bilder: Guiu Vilanova, Glenn Fabry (Cover)
96 Seiten in Farbe, Hardcover
Cross Cult
20 Euro

ISBN: 978-3-95981-537-6

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