Achtung – Das Comic ist brandneu (März 2011), bisher NUR auf Englisch erhältlich und NUR über die Homepage der Band zu ordern!
Wenn es noch eines letzten Beweises bedurfte, dass unser hier behandeltes Medium und die einzig wahren, guten und schönen Klänge der Welt, nämlich die des schweren Metalls, unveräußerlich zusammengehören, dann tritt ihn dieser fulminante kick-off der neuen Serie von Steven O’Connell (BloodRayne, Dark 48) so überzeugend an, dass alle Nichtswürdigen (kneel, puny ones, wie Magneto sagen würde) verstummen sollten. Es gab ja wiederholt zaghafte Annäherungen, schon in den 70ern wurden KISS als Marvel-Comic vermarktet (Gene Simmons weiß halt, wie man Geld druckt), in der Folgedekade geriet Judge Dredd durch die Moshmeister von Anthrax und ihren Hit „I Am The Law“ zur Ikone auf ungezählten Shirts, die gleichen Herren ließen sich später von Genius Alex Ross diverse Cover zeichnen und besuchten diesen Herren in seiner Werkstatt, was als Special auf der Live-DVD Music Of Mass Destruction zu bestaunen ist.
Aber The Unforgiving dürfte das erste Comic-Projekt sein, das direkterweise von einer Metal-Formation ins Leben gerufen wurde und als Illustration, Untermalung oder wie man möchte zu einer entsprechenden Langspielplatte erscheint. In Ansätzen fand man das einmal bei Holy Moses, die ihrem Knüppelwerk The New Machine Of Liechtenstein ein Comic von Horus beigaben, aber was die niederländischen Gothic Bombast-Meister von Within Temptation hier eingetütet haben, geht weiter darüber hinaus. Die Band um Frontelfe Sharon den Adel kredenzt Kennern der Materie seit jeher soundtrackhaften, breitwandigen, symphonischen Fantasy-Metal, der – oft untermalt durch schweres, klassisches Orchester – vornehmlich von heftigen Emotion und düsteren Schicksalen berichtet (auch wenn dies durchaus ernstzunehmende Interpreten bisweilen anders zu erkennen vermeinen). Nach eigenem Bekunden wollte man für das aktuelle Werk eine stilistische und auch erzählerische Neuausrichtung, weshalb Bandchef Robert Westerholt auf die Idee eines Konzeptalbums verfiel, dessen Story in einer Comic-Miniserie parallel erzählt werden sollte.
Mit Romano Molenaar, seines Zeichens Oberfederschwinger bei (thematisch ähnlich gelagerten) Reihen wie Witchblade und The Darkness, aber auch trashigerem Material wie Lady Death und Purgatori (R.I.P. Chaos! Comics), war man schon seit einiger Zeit in Kontakt. Denn der Tausendsassa arbeitet nicht nur als Don Lawrence-Nachfolger am SF Klassiker Storm, sondern hauptberuflich als Designer für Online-Games (wann der schläft? Keine Ahnung), wo sich vor fünf Jahren die Wege kreuzten: Within Temptation steuerten diverse Songs zu dem von Molenaar inszenierten Daddel-Spektakel The Chronicles Of Spellborn bei (zu bestaunen auf ihrem wahrlich vorzüglichen Werk The Heart Of Everything). Somit fiel die Wahl der Gothenrocker relativ schnell auf Molenaar als Zeichner des zu schaffenden Werkes – und der wiederum schlug Steven O’Connell als Schreiberling vor.
Nach einigen Ideen, mit denen die gar nicht lustigen Musikanten weniger anfangen konnten, landete O’Connell dann einen Treffer: nämlich mit dem Konzept eines düster-zweifelhaften Mediums namens Mother Maiden (nach O’Connells Aussage intuitiv benannt nach seiner favorisierten Metal-Formation – guter Mann!). Diese sibyllenhafte Figur (die offenkundig keine Augen besitzt, aber das bleibt im uns vorliegenden Band noch im Verborgenen) verfolgt eine ethisch-moralisch höchst zweifelhafte Agenda: sie holt gefallene Seelen, die Schuld auf sich geladen haben, diese allerdings zutiefst bereuen, ins Leben zurück und bietet ihnen die Möglichkeit zur Sühne. Und zwar, in dem sie weitere Morde begehen, unter dem Versprechen, über diesen Umweg einer sehr realen Hölle doch noch zur Erlösung zu gelangen. „Guilt can be a powerful motivator“, so weiß es die Einleitung, “…and redemption, even greater.“ Diese Gruppe verdammter Seelen sind die titelgebenden Unforgiving, „a taskforce of tainted souls to track down and eliminate violent killers in a quest for redemption“. Dass diese Idee natürlich einen riesigen moralischen Glühwein aufwärmt, dürfte klar sein – wie kann Sünde durch mehr Sünde, Schuld durch noch mehr Schuld gesühnt werden? Nur dann, so wollen wir dem Gedanken halt eben mal folgen, wenn der Schuldige nicht durch und durch verderbt ist, sondern durch unglückliche Umstände in die Situation geschliddert ist. Und nur dann – seid Ihr noch alle da? – wenn die zu exterminierenden Schurken vollständig jenseits aller Erlösung und Moral liegen. Bereute, offenkundig entschuldbare Schuld also versus psychopathische, lasterhafte Schuld – meine Herren, da behaupte mir noch mal einer, hier würden keine komplexen Fragestellungen behandelt. Und meint noch jemand, bei Comics gäbe es was zum Lachen? Danke, dachte ich auch nicht.
Zeitgleich mit der Veröffentlichung des Albums – das ich auf www.heavyhardes.de ausführlich würdige, so wie die weiteren Within Temptation-Werke im Übrigen auch – liegt nun der erste Band der Serie vor, in dem das Prequel „Perdition“ und der erste Teil „Penance“ zusammengefasst sind. „Perdition“, das als Appetithäppchen schon seit einiger Zeit auf der Within Temptation-Website zu bestaunen war, behandelt in einer Vermischung verschiedener Zeitebenen – also aufgemerkt, Freunde – das Schicksal von Sinéad Harkin (die allerdings Queen genannt werden möchte), die von Mother Maiden rekrutiert wird. In einer Parallelmontage aus Geschehnissen aus dem Irland des Jahres 1967 und den USA der Jetztzeit erleben wir, was O’Connell sich offenbar unter einer bereuten und daher sühnbaren Schuld vorstellt: die Sinéad des Jahres 1967 (stets bewaffnet, da „the daughter of an I.R.A. volunteer“ – hm, soviel zum Thema reinschliddern) konfrontiert den prügelnden Lebensgefährten einer ehemaligen Studienfreundin, die aufgrund der letzten Attacke ihr ungeborenes Kind verloren hat. Parallel dazu lauert die Sinéad der Gegenwart einem Kinderschänder auf, wobei wir ihren Gedanken entnehmen können, dass sie selbst als vierjährige einem solchen zum Opfer gefallen war. Spätestens diese Auftaktseiten machen deutlich, dass wir hier kaum mit einer fröhlichen Action-Story rechnen dürfen, sondern mit einer pechschwarzen Verhandlung ethisch-moralischer Konflikte und Psychosen. Halt das, was in jedem Asterix auch passiert. 1967: der Schläger zieht eine Waffe, Sinéad ebenso, sie feuern gegenseitig auf sich. Dabei zitiert O’Connell den irischen Nationalpoeten William Butler Yeats – meine Freunde, das ist wirklich nichts für den schnellen Leseabend. Der Kinderschänder findet ein durchaus drastisches Ende („It’s a small wonder what an improvised bomb can do to a human skull“), und 1967 stirbt Sinéad neben dem ebenfalls getöteten Schläger und hängt in den letzten Sekunden gedanklich noch dem moralischen Dilemma nach: „Several religions invoke the sixth commandment as you shall not murder or kill. I really wish they had added an asterisk for certain situations. But it’s written somewhere: ‘From each man I will demand an accounting for the life of his fellow men.’ So in short, it looks like my eternal happiness is called into question.” Womit zum ethisch-moralischen Themenkomplex nun auch noch der religiöse Faktor gesellt wäre. Zum Abschluss des Prequels begrüßt Mother Maiden die wiedererstandene Sinéad, die zurück in der Gegenwart ihre Lage auf den Punkt bringt: „I guess I’ll do what it takes to redeem my soul. If that means walking through hell to get to heaven, so be it”.
Es ist durchaus bemerkenswert, was O’Connell in acht Seiten packt (und nicht mehr habe ich hier referiert!) und mit einer Sprache versieht, die der Gravitas des Gedankengutes (mit ein paar kleineren Ausfällen, die wir geflissentlich übergehen wollen) durchaus gewachsen ist. Der Zeichenstil von Molenaar ist nur leicht abstrahiert, angelehnt an das US-Heroen-Genre, aber lobenswerterweise deutlich entfernt von den eher tits’n’ass-lastigen Allüren einer Lady Death oder Purgatori, die hier vollends unangebracht wären. Nein, hier gibt es zwar keine überbordenden Details, aber sehr schöne Portraits und großflächige Panels. Gefällt!
Mit einem Paukenschlag beginnt dann auch der erste vollgültige Teil „Penance“: in einer recht krassen Szene ermordet ein religiöser Fanatiker, der sich Disciple nennt, so weit zu erkennen in einer Kirche eine Frau. Aha, Religion die Zweite. Man ist fast schon erleichtert, wenn die Szene dann schwenkt zu Beecham, einer Polizistin, die – offenkundig nach einer persönlichen Tragödie, in der sie ein Kind verloren hat, worüber auch ihre Ehe gescheitert ist – ihren Dienst bei der Mordkommission wieder antritt, um ihre inneren Dämonen zu besiegen. Hier wird der Ton endlich etwas sanfter, ihr neuer Kollege Bryce Sennett bringt durch abgebrühte Sprüche so etwas wie comic relief, der dringend nötig ist, die durchgängige Düsterkeit allerdings nicht ansatzweise durchbricht („We went through hell and lived to tell about it“, erklärt sie ihm trocken auf seine Frage, was ihr widerfahren sei). Man findet eine weitere Tote (vermutlich ein weiteres Opfer des Fanatikers), bevor sich O’Connell gegen Ende einen üblen Cliffhanger mit uns erlaubt: kopfüber angebunden an ein Windenergierad (so macht alternative Energie Spaß!), findet Bryce einen ganz offenbar ihm Bekannten, allerdings in durchaus verkohltem Zustand. Er versucht noch seine neue Kollegin zurückzuhalten, kann aber nicht mehr verhindern, dass sie den Toten ebenfalls entdeckt. Aus. To be continued. Issue #2: the disciple grabs the headlines again! Und so sehen wir, wie das eine feine Literatursendung mal ausdrückte, betroffen, den Vorhang zu – und alle Fragen offen. Wer ist der Tote auf dem Windrädchen? Wer ist Beecham, die Sinéad durchaus ähnlich sieht? Was hat es mit dem irren Disciple auf sich? Wo sind Sinéad und Mother Maiden? Und walum ist gefähliche Stlaße wie flische Pilze? (man verzeihe mir den Insider-Gag am Ende).
Und hier beginnt jetzt das Problem: wir müssen nun sage und schreibe zwei Monate warten, bis der nächste Band erscheint. Insgesamt ist die Serie auf sechs Bände ausgelegt, so dass wir… kalkulier kalkulier… ein schlappes Jahr brauchen werden, bis wird endlich die Auflösung erfahren dürfen. Die Texte des Albums geben zwar eine grobe Idee des Geschehens, aber gerade der letzte Song „Stairway To The Skies“ lässt einiges an Interpretationsspielraum. Aber wir werden uns wohl gedulden müssen, zumindest bis Mai, wenn dann – hoffentlich – Band 2 erscheint.
Zu haben ist das Ganze übrigens derzeit nur direkt über die Bandwebsite www.within-temptation.com, aber den kleinen Aufwand ist das Epos allemal wert. Und vielleicht verraten uns die Dame und die Herren ja im November auf Tour, wie die Sache ausgeht. (hb)
Text: Steven O’Connell
Bilder: Romano Molenaar
36 Seiten in Farbe, Softcover, Heftformat
Within Temptation Entertainment BV (Eigenverlag)
schlappe 2,95 Euro