Farm der Tiere (Knesebeck)

Juli 17, 2023
Farm der Tiere (Knesebeck Verlag) von Rodolphe, nach George Orwell.
Bilder: Patrice Le Sourd

Unruhe regt sich auf der Herrenfarm des Mr. Jones: die Tiere murren zunehmend ob der Vernachlässigung durch den Hausherrn, der lieber im Pub abhängt, als sich um seine Schäflein und andere Kreaturen zu kümmern. Der Schweineälteste, Old Major, versammelt darauf die Tierschar in einer ersten revolutionären Anwandlung um sich, die von den jüngeren Schweinen Schneeball und Napoleon aufgenommen und befeuert wird. Als Jones wieder einmal besoffen nach Hause kommt und die Tiere nicht füttert, kommt es zur Revolte: in einem spontanen Aufstand vertreiben die Tiere ihren ungeliebten Herren erfolgreich. Jubelnd singt man die Revolutionshymne, verbrennt feierlich alle Werkzeuge des alten Herrn wie Sättel, Hundeleinen, Kandaren und Peitschen und formuliert die „7 Gebote des Animalismus“, nach denen kein Tier einem anderen ein Leid antun darf, die Zweibeiner die Feinde sind und vor allem alle Tiere gleich sind.

Die Schweine rufen großspurig die „Republik der Tiere“ auf, tun sich aber insbesondere durch eine selbst gewählte Rolle als Strategen und Anführer hervor, die sich selbst beim Arbeiten tunlichst zurückhalten – immerhin sind sie nach allgemeiner Einschätzung intelligenter und „Kopfarbeiter“. Als Jones sich mit einigen Kumpanen zusammenrottet und die Farm wieder übernehmen will, kommt es zum später als „Schlacht am Kuhstall“ bekannten Scharmützel, in dem einige Tiere ihr Leben lassen, Schneeball verletzt wird, der Sieg aber dennoch den Tieren gehört – wofür sich die Schweine flugs selbst einen Orden verleihen. Als Napoleon den Plan entwickelt, eine Mühle zu bauen, um die Effizienz zu steigern, zerstreitet er sich mit Schneeball, den er mit Hilfe einer Schar scharfer Hunde vom Hof jagt und nach der Zerstörung der Mühle schnell als Schuldigen denunziert, der als Staatsfeind radikal zu verfolgen ist.

Immer mehr schwingt Napoleon sich zum despotischen Herrscher auf, die Futterrationen werden kleiner, die Arbeit immer mehr – und Napoleon beginnt, regen Handel mit den umliegenden Menschenfarmen zu treiben, alles unter dem Deckmantel des Allgemeinwohls. Klammheimlich werden die 7 Gebote umgeschrieben, ergänzt und ad absurdum geführt: kein Tier soll eine anderes töten (ohne guten Grund), die Zweibeiner sind Feinde (wenn sie böse sind), kein Tier soll Alkohol trinken (im Übermaß). Als schließlich der treue Arbeiter, das Pferd Boxer, unter der Last zusammenbricht und statt eines Krankenwagens der Pferdemetzger anrollt, schöpfen einige Tiere endgültig Verdacht, dass hier etwas nicht stimmen kann…

George Orwells nur leicht kaschierte Allegorie in Fabelform hat seit ihrem Erscheinen 1945 nichts von ihrer Aktualität verloren und beschreibt beißend das Phänomen, dass die im Grunde stets vielversprechende Idee des Gemeinwohls, der Solidarität und des Gutmenschen(Tier)tums in der Realität allzu oft an der conditio humana scheitert. Orwell bezieht sich dabei relativ transparent auf die Ereignisse der kommunistischen Revolution, die im Russland seiner Gegenwart zu beobachten war – unschwer sind die Schweine als historische Figuren zu entschlüsseln. Napoleons despotisches Gebaren, die Hunde als Geheimpolizei, das Verstoßen alter Weggefährten, all das durfte Orwell bei Stalin abgeschaut haben. Auch die Technik, unliebsame Personen einfach aus der Geschichte zu tilgen, macht sich Napoleon zu Nutze: die Stute Mollie, die ihren hübschen Schmuckbändern nachtrauert und heimlich Kontakt zu Menschen pflegt, wird vertrieben und aus dem Gedächtnis gestrichen.

Nur kurze Zeit später durfte sich in Orwells finsterster Dystopie „1984“ ein gewisser Winston Smith als professioneller Geschichts-Umschreiber betätigen, eine Tendenz der nachträglichen „Korrektur“ von nicht ins gewünschte Bild passender Geschichte und Kultur, die sich in unserer Realität immer größerer Fürsprecher erfreut. Schneeball, anfangs Vorkämpfer, dann ungeliebter Konkurrent, verweist auf Trotzki und andere Weggefährten, die Stalins Zorn zu spüren bekamen. Wie so viele Bewohner vorgeblicher Utopien müssen die entsetzten Tiere schließlich erkennen, dass die vermeintliche Befreiung nur eine neue Unterjochung bedeutet: Napoleon kleidet sich wie ein Mensch, feiert mit den Nachbarn, lebt in Saus und Braus – und das zentrale Gebot „Alle Tiere sind gleich“ wird korrumpiert durch den Zusatz „Aber manche Tiere sind gleicher“, worin Orwell stellvertretend den unvermeidlichen Untergang jeglicher kommunistischer Illusionen verschlüsselte.

Diese Grunderkenntnis, dass sich gutgemeinte Ideen oft verselbständigen und als Mittel zum Zweck pervertiert werden, gilt nach Orwell allerdings für jede politische Richtung und genießt gerade in Zeiten, in denen eine zunehmende Radikalisierung der Ränder rechts und links zu beklagen ist, traurige Aktualität. Ihre optische Umsetzung von Orwells Fabel bringen der Routinier Rodolphe Daniel Jacquette, alias Rodolphe (u.a. TER, Kenya), und Patrice Le Sourd mit diesem Band eindrucksvoll über die Ziellinie, ohne jede Beschönigung oder gar Harmonisierung (die in der Zeichentrick-Verfilmung der 50er ja versucht wurde), sondern mit dem gleichen schockierenden offenen Ende, in dem Menschen und Schweine nicht mehr zu unterscheiden sind. Damit also neben Xavier Dorisons wunderbarer Variante „Schloss der Tiere“ eine weitere würdige Inszenierung eines zeitlosen Schlüsselwerks. (hb)

Farm der Tiere
Text & Story: Rodolphe, nach George Orwell
Bilder: Patrice Le Sourd
48 Seiten in Farbe, Hardcover
Knesebeck Verlag
20 Euro

ISBN: 978-3-95728-747-2

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