Die Haut des Anderen (Splitter)

November 22, 2022
Die Haut des Anderen (Splitter Verlag)

Dezember 1941: Harvey Meulen und Ross Manson sind zwei aufstrebende Komponisten, die ein heißes Eisen im Feuer haben – ihre Musikkomödie „Heads or Tales“, an der v.a. Harvey Tag und Nacht arbeitet, könnte ein großer Erfolg werden. Doch dann kommen Pearl Harbor und der Krieg. Harvey meldet sich freiwillig und wird Co-Pilot eines Bombers. Drei Jahre später rettet Harvey bei einer verhängnisvollen Bruchlandung bei Monte Cassino seinem Captain das Leben, trägt dabei aber massive Verbrennung davon, die sein Gesicht einseitig und dauerhaft entstellen. Als traumatisierter Kriegsversehrter trägt er fortan eine halbseitige Maske. Seine einzige Bezugsperson wird Jason, sein Captain und ehemaliger Chirurg, der sich für Harvey verantwortlich fühlt. 1947: Während Ross Manson mit „Heads or Tales“ Erfolge feiert und dabei die Urheberschaft für sich alleine reklamiert, baut Jason seinen Freund Harvey in Hollywood zum gefeierten Horrorfilm-Star auf. Mittels eines ganz speziellen Kniffs…

Autor Serge Le Tendre (u.a. „Auf der Suche nach dem Vogel der Zeit“, „Chinaman“ u.v.a.) lässt hier in seinem Zweiteiler, der die wechselhafte Geschichte seines Protagonisten erzählt, viele bekannte Motive aus Film und/oder Literatur einfließen. Ohne dass wir hier zu viel von der Story preisgeben finden wir: Ein wenig Rachegeschichte aus „Graf von Monte Christo“, ein wenig „Prestige- Duell der Zauberer“, ein wenig Nazi-Wissenschafts-Folklore, ein wenig Dreiecksgeschichte. Dazu reichlich selbstreferenzielle Horror- und Noir-Elemente. Harvey mit seiner grausam entstellten Gesichtshälfte erinnert natürlich samt Namen an den klassischen Batman Widersacher Two-Face, seine Schauspielkarriere und seine Horror-Rollen haben Lon Chaney (den Senior!) zum Vorbild, den man auch aufgrund seiner Wandlungsfähigkeit und verschiedenster Masken den „Man with a Thousand Faces“ nannte. Und Harveys Künstlername borgt sich Le Tendre aus einem Roman von Joseph Conrad.

Parallel zum sprichwörtlich unheimlichen Aufstieg Harveys verfolgen wir immer wieder eine brutale Mordserie im Rotlichtmilieu, wo offenbar ein Serienkiller sein grausames Unwesen treibt und ahnen schon bald Zusammenhänge. Wie wir auch zu Recht vermuten, dass Jason, inzwischen auch Manager bzw. Agent von Harvey, mehr im Schilde führt, als wir wissen. Und als schließlich Ross wieder auftaucht, der ausgerechnet Harvey (den er freilich nicht mehr erkennt) gegen sein Horror-Image als Hauptdarsteller für seine Verfilmung von „Heads or Tales“ engagieren will, beginnt die Situation zu eskalieren. Es ist ein wenig eine wilde Mischung, auch ein Spiel mit Identitäten, mit der Traumwelt Hollywoods und deren schönem Schein, der oftmals nur Fassade ist. Und zwar Gesichts-Fassade – hier wörtlich genommen. Die Story schlägt einige Kapriolen und wartet mit einem beunruhigenden wie gelungenem Schluss auf. Die Zeichnungen von Gaël Séjourné bleiben solide und unspektakulär, erfüllen aber ihren Zweck, wobei fiktive Filmplakate und echte Stars (wie Horror-Ikone Boris Karloff) für das passende Zeitkolorit sorgen. Der Titel fasst als Splitter Double beide im Original erschienenen Bände zusammen. (bw)

Die Haut des Anderen
Text: Serge Le Tendre
Bilder: Gaël Séjourné
112 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
22 Euro

ISBN: 978-3-96792-288-2

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