Eine Studie in Smaragdgrün (Dantes Verlag)

September 8, 2020

Dass die Welt und die Figuren rund um Arthur Conan Doyles Sherlock Holmes nicht nur populäre Dauerbrenner, sondern auch so vielseitig einsetzbar wie wandelbar sind, hat nicht erst die TV-Serie mit Benedict Cumberbatch mit ihren modernisierten Fassungen bewiesen, sondern auch im Medium Comic der französische Autor Sylvain Cordurié, der seine Version des deduzierenden Detektivs auch gerne mal genreüberreifend Fantasy-Gefilde durchstreifen lässt (die Bände mit Corduriés „Sherlockversum“ sind im Splitter Verlag erschienen). Gleiches macht hier der britische Star-Autor Neil Gaiman (u.a. „Sandman“, „American Gods“), der aber noch gehörig „einen draufsetzt“. Aber dazu gleich mehr. Eine „Studie in Scharlachrot“ („A Study in Scarlet“) erschien erstmals 1887 und markierte das Debut von Sherlock Holmes. Aber schon der „farblich“ abgewandelte Titel der Gaiman-Version (2003 erstmals als Kurzgeschichte erschienen) macht klar, dass wir es hier zwar mit der bekannten Holmes Grund-Story (bei der Cumberbatch BBC-Serie hieß die Folge „A Study in Pink“) zu tun haben mögen, bei der aber dennoch irgendetwas anders sein muss.

Wir begleiten einen versehrten Afghanistan Veteranen, einen Arzt, der auch als Erzähler fungiert, bei seiner ersten Begegnung mit seinem neuen Mitbewohner, einem „beratenden“ Detektiv, der auch bald von Inspektor Lestrade von Scotland Yard um Hilfe gebeten wird (in einer witzigen Episode, die die deduktiven Fähigkeiten des Detektivs zeigt und damit den armen Inspektor gewohnt leicht vertrottelt aussehen lässt): Ein Mord ist geschehen und mit dem Blut des Opfers wurde das Wort „Rache“ (auch im Original auf Deutsch) an die Wand geschrieben. Das Opfer ist Franz von Böhmen, Mitglied des Königshauses und Lieblingsneffe von Königin Victoria. Und sein Blut ist… grün…! Jetzt lässt es Gaiman erstmals krachen und führt die „Großen Alten“ in die Geschichte ein. Das sind Cthulhu und Co., bekanntlich aus dem literarischen Universum von Horror-Ikone H.P. Lovecraft. Die Alten bilden die herrschende Klasse auf der Welt. Den Adel und die gekrönten Häupter. Die tentakelige Königin „Victoria“ – ihr wahrer Name ist für Menschen nicht aussprechbar – herrscht seit 700 Jahren über das Land und drängt persönlich auf eine schnelle Klärung des Falls.

Eine Spur führt unseren Detektiv zu einem Schauspielhaus. Dort führt eine Theatergruppe, die Strand Players, ihre Stücke auf. Sherry Vernet ist Chef der Truppe und wird bald zum Verdächtigen Nr. 1, denn der Detektiv findet eine Verbindung zwischen dem Mordopfer und Vernet… Soweit so klar, und doch alles anders. Mehr geben wir nicht Preis. Der Clou mit Lovecrafts „Alten“ ist das eine, was die Story schon auf halbem Weg so ungemein faszinierend macht, der Twist am Schluss das andere. Klar, wir befinden uns hier in einer alternativen Realität. Die Alten, die über die Länder der Welt herrschen, werden von den Menschen als Segen aufgefasst. Dann hat Gaiman etliche Anspielungen und Querverweise untergebracht, auch in den zeitgenössischen Anzeigen und Plakaten, die jedem Kapitel vorangestellt sind. Viele dieser Hinweise werden ausführlich in dem nur in der Deutschen Ausgabe enthaltenen Glossar von Übersetzer Jens R. Nielsen erklärt (wie auch die Tücken der Übersetzung), in einer unterhaltsamen Art und Weise, die dem Leser gerne sagen will, „Darauf hättest Du selbst kommen können“, wobei die „Hobbs Lane“-Anspielung wirklich nicht jedem klar sein mag („Quatermass and the Pit“ – nicht der Kinofilm, sondern die TV-Serie – sei hier schärfstens empfohlen!).

Am besten, man fasst das Glossar mit seinen Hintergrunddetails als eigenständige Ergänzung der Story auf und studiert es am Schluss. So kann man vorher selbst „miträtseln“ und Neil Gaimans Variation der Story in aller Ruhe und ungestört in einem Fluss genießen. Inszeniert wurde die ungewöhnliche Geschichte von dem Brasilianer Rafael Albuquerque, der mit der Vertigo-Serie „American Vampire“ bekannt wurde und der u.a. diverse Batman Titel, Mark Millars „Huck“ und zuletzt eine Hit-Girl Episode zeichnete. Sein eleganter, realistischer Stil, gepaart mit der dezenten, erdigen Farbgebung von Dave Stewart, fängt das schummrige und düstere viktorianische London gekonnt ein und schafft so die passende, diffuse Atmosphäre zum Geschehen. Diverse Skizzenseiten und ein Kommentar (auch den bitte erst nach der Lektüre des Comics lesen) der Autorin Anne M. Pillsworth beschließen den fesselnden Band, der den Leser elektrisiert zurück lässt. (bw)

Eine Studie in Smaragdgrün
Text: Neil Gaiman, Rafael Scavone
Bilder: Rafael Albuquerque, Dave Stewart (Farben)
92 Seiten in Farbe, Hardcover
Dantes Verlag
22 Euro

ISBN: 978-3-946952-45-9

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