Comic-Salon Erlangen 2022

Juni 20, 2022
Comic-Salon Erlangen 2022

Eigentlich klingt die reine Statistik wie gewohnt hochkarätig, vielseitig und spannend: 230 Aussteller, über 400 Künstler, 20 Ausstellungen, die feierliche Verleihung des Max und Moritz-Preises – wie immer gab es in Erlangen für alle Genre-Freunde viel zu finden. Die ganze Welt in einem Zelt sozusagen. Aber dennoch war es irgendwie anders in diesem Jahr. Warum? Schließlich haben wir das alle lange nicht mehr gemacht, genauer gesagt drei lange Jahre nicht mehr. Nachdem vor allem das öffentliche Leben aus mittlerweile sattsam bekannten Gründen zum Stillstand kam, mussten sich auch die Comic-Events in die digitale Welt zurückziehen, die bei allen Mühen der Veranstalter natürlich nicht das gleiche Erlebnis bieten. Sicherlich, man kann auch vor dem heimischen PC alleine Schlange stehen, aber das macht doch keinen Spaß. Insofern waren wir leidlich aus der Übung, als es ans Packen ging: wie war das nochmal? Liste der Zeichner ausdrucken, ok. Dabei stellen wir fest: das Programm ist gewohnt bunt und in diesem Jahr betont divers, es gibt Schwerpunkte bei feministischen und queeren Comics, als Gastland darf man die Demokratische Republik Kongo begrüßen, man zeichnet fürs Impfen und gegen den Krieg, alles sehr löblich.

Ralf König signiert seine Lucky Luke Hommage

Wir finden auf der Liste alte Bekannte wie Émile Bravo, Enrico Marini, Ingo Römling, Uli Oesterle und Ralf König – alle gerne gesehen und genommen. Den sonst ebenfalls vertretenen Zugpferden der US-Superhelden-Zunft jedoch scheint die Planung wohl doch zu unwägbar gewesen sein: der sonst übliche Würfel-Rummel um den nächsten Zeichner-Hotshot von Marvel oder DC fällt dieses Jahr damit ersatzlos flach. Sei’s drum, irgendwas war doch noch immer – ach ja, Proviant packen wir ein, und in allerletzter Sekunde denken wir auch noch an das gute alte Skizzenbuch, das wir erst einmal aus einem hinteren Winkel im Regal zupfen müssen. Gut präpariert geht es also frisch ans Werk, die eröffnende Kulturreferentin verpassen wir glatt (die gab als Motto des „größten Festivals für grafische Literatur im deutschsprachigen Raum“ aus, dass die Innenstadt Erlangens in den kommenden vier Tagen nun „Comic atmen“ werde, wie auch immer das von statten gehen mag), denn wir wandern zum Auftakt und nach einem großen „Hallo“ mit der Salleck-Crew gleich mal zu Cross Cult, wo der Mexikaner Tony Sandoval seine neue Graphic Novel „Doomboy“ und gerne auch den Vorgänger „Wasserschlangen“ signiert.

Tony Sandoval und sein „Doomboy“

Obwohl der gute Mann Hitze ja gewöhnt ist, plagt ihn dennoch seine Allergie – vielleicht tun wir uns ja auch deswegen etwas schwer, die Namen der Heavy Metal-Bands zu verstehen, die er uns aufsagt, als wir ihn befragen, ob er denn auch ein Anhänger der IG Metall sei wie seine Figur. Wir verständigen uns darauf, dass es Guns ’n‘ Roses noch bzw. wieder gibt, und eilen durch den wie schon im Jahr 2019 wunderschön mit ins Messegeschehen einbezogenen Schlosspark hin zur Halle B, wo bei Schreiber & Leser der Szeneveteran André Taymans die aufwändige Neu- und Gesamtausgabe seiner „Caroline Baldwin“ verschönert. Es gibt Nummern, was bei dem durchaus beachtlichen Andrang sicherlich eine vernünftige Lösung ist, auch wenn man bei der Reihenfolge etwas originell agiert. Aber Taymans ist Profi und zeichnet in Windeseile, sodass die Schlachtenbummler die Ruhe bewahren, nachdem ja sicherlich „jeder drankommt“.

Wieder beliebt: der Schlossgarten

Trotz aller Neuerungen ist dieser Faktor nämlich selbstverständlich völlig unverändert: neben dem Laufpublikum, das nur mal durchschlendert, und den (unter den Fellohren sicherlich ordentlich unter der Hitze leidenden) Manga-Mädchen und/oder Cosplayern ist es natürlich die Sippe der Jäger und Sammler, die die Zelte bevölkert und weiterhin unbeirrt, mit bisweilen eigenwilligem Fashion Sense und mitunter vagem sozialen Gespür, das eine Ziel verfolgt: möglichst viele Widmungen, Dédicaces, Originale oder wie man sie auch immer nennen will zu erhaschen. Förmlich belagert werden aus diesem Grunde in diesem Jahr nicht nur der gute André sondern auch Ingo Römling am Splitter Stand, seines Zeichens Malcolm Max und auch Star Wars-Zeichner, Eldo Yoshimizu (fesch mit Hut und gerade auf ausgedehnter Europa-Tour!) und Bojan Vukic – wieder bei Splitter -, dessen Elfen/Orcs/Goblins/Magier-Inszenierungen offenkundig beliebte Objekte der Begierde sind.

Gung Ho Wachhund bei Cross Cult

Hat man sicherlich alles schon, aber nochmal kann nicht schaden, scheint die Devise. Wir lassen das so stehen und schlendern lieber ein wenig durch die Ausstellungen, die in diesem Jahr unter anderem einen Einblick in das Werk der Schwedin und Max-und-Moritz-Preisträgerin Liv Strömquist und – besonders faszinierend – eine wunderbare Fahrt durch die Welt des „Spirit“ Will Eisner bieten, der mit seinem „Vertrag mit Gott“ ja das Genre der Graphic Novel quasi eigenhändig aus der Taufe hob. Zurück in der Zeltstadt stellen wir fest, dass ein kleiner Getränkestand in der Halle ganz nützlich gewesen wäre – wir hatten uns schon auf diverse Löschzüge gefreut, aber wir müssen leider ohne auskommen. Das bekommen wir hin, auch dank eines fleißigen Wasser-Ausschenkers, und sprechen mit Miki Montlló über die Temperaturen in dessen Heimat Spanien, während er uns frohgemut sein „Warship Jolly Roger“ verschönt. Übrigens seine allererste Comic-Arbeit, die er unter der Regie von Autor Sylvain Runberg anfertigte.

Eldo Yoshimizu signiert bei Carlsen

Ralf König erweist sich einmal mehr als freundlicher und redseliger Zeitgenosse: ganz schön Respekt habe er erst einmal vor der Aufgabe gehabt, eine Lucky Luke Hommage zu kreieren (von der wahlweise auch eine mächtige, überformatige Luxusausgabe zum Luxuspreis zu haben ist), immerhin gehöre Morris zu den ganz großen Helden, „der war ein Genie, sieht alles einfach aus, ist aber unglaublich gekonnt“, so erklärt er uns. Aber mit eigenem Strich gelang die Umsetzung von „Zarter Schmelz“ ja bekanntlich bestens, auch wenn Herr König es durchaus beklagenswert findet, dass Lucky nicht mehr rauchen darf, sondern quasi als Ersatzhandlung einen Strohhalm kaut. Und als nächstes liebäugelt er mit einem Popeye, plaudert er aus dem Nähkästchen: der Seemann mit der flinken Faust ist nämlich Rechte-frei. Wir sind gespannt! So geht der Reigen fröhlich weiter, wir schauen kurz bei Josch und seinem Dantes Verlag vorbei, ich besorge mir einen schicken Schuber für die komplettierte Gung Ho-Reihe der Herren Kummant und Eckartsberg, die auch irgendwo rumspringen (steht immerhin sehr gut im Schrank, so etwas).

André Taymans und seine Frau

Bei Thilo Krapp schielen wir kurz in die neue Jules-Verne-Adaption „20.000 Meilen unter den Meeren“, Flix, der in Kürze auch einen Marsupilami Band („Das Humboldt-Tier“) vorlegt, signiert seinen „Spirou in Berlin“, Philippe Aymond wahlweise seine „Lady S.“ Gesamtausgabe oder die neuen Bruno Brazil-Abenteuer und dass uns bei Peter van Dongen das Würfelglück nicht lacht, nehmen wir gelassen und tragen halt nur eine Unterschrift in unserem „Blake und Mortimer“-Band davon. So vergehen die Messetage wie im Fluge, der Max und Moritz-Preis geht unter anderem an „Fuchskind“ Daniela Schreiter (die wir bereits zweimal interviewen durften); es gibt jede Menge Podiumsdiskussionen und sogar Spezialkinovorführungen – kurzum, wir sind so fasziniert und beschäftigt, dass wir am Freitag sogar den Ehrengast verpassen: da gibt sich nämlich der Maggus die Ehre, unser Ministerpräsident, der nach eigenem Bekunden auch ein Faible für Comics hat, Peter Parkers Onkel Ben zitiert und PR-wirksam mit einer Ausgabe des Bayern-Heftchens „Trachtman“ posiert (nicht bestätigen können wir allerdings, ob er bei dieser Gelegenheit erneut betont, dass die Kitas geöffnet bleiben). Aber vielleicht sieht man sich ja 2023, wenn es doch hoffentlich wieder eine Ansetzung in der Landeshauptstadt zu bestaunen geben wird. Und 2024 dann natürlich den nächsten Comic-Salon. (hb/bw)

Und hier die Liste der diesjährigen Max-und-Moritz Preisträger:

Beste deutschsprachige Comic-Künstlerin: Birgit Weyhe (u.a. „Lebenslinien“, „Madgermanes“ im avant-verlag)

Bester deutschsprachiger Comic: „Work-Life-Balance“ von Aisha Franz, erschienen bei Reprodukt

Bester internationaler Comic: „Dragman“ von Steven Appleby, erschienen im Schaltzeit Verlag

Ingo Römling & Gian Luca Maconi bei Splitter

Bester Sachcomic: „Im Spiegelsaal“ von Liv Strömquist. Erschienen im avant-verlag. Eine neue Kategorie, die hier erstmals prämiert wurde und die die Kategorie „Bester deutschsprachiger Comic-Strip“ ersetzt

Bester Comic für Kinder: „Trip mit Tropf“ von Josephine Mark, erschienen im Kibitz Verlag

Bestes deutschsprachiges Comic-Debüt: „Melek + ich“ von Lina Ehrentraut; „Pfostenloch“ von Daniela Heller, „Who’s the Scatman?” von Jeff Chi. Alle drei Nominierten wurden zu Siegern gekürt

Spezialpreis der Jury: Alexander Braun, Publizist Kurator der beeindruckenden Will Eisner Ausstellung und ganz aktuell „Horror im Comic“, zu sehen in Dortmund

Publikumspreis: „Lisa und Lio“ von Daniela Schreiter, erschienen bei Panini Comics

Sonderpreis für ein herausragendes Lebenswerk: Naoki Urasawa (Jahrgang 1960, Schöpfer von Manga-Epen wie „Monster“, „Billy Bat“ im Carlsen Verlag), der nicht anwesend war und der per Video-Interview zugeschaltet wurde

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