Fake Story (Schreiber & Leser)

Oktober 6, 2021

Angriff aus dem Weltenraum! Seltsame Zylinder landen in den USA, denen furchterregende Wesen entsteigen und gnadenlos gegen die hoffnungslos unterlegenen Menschen vorrücken. Das ist Tatsache, Realität, immerhin wird es ja im Radio bei CBS in Form von kurzen, immer nervöser werdenden Nachrichten gesendet. Erst am Ende löst der verzweifelte Nachrichtensprecher die Sache dann auf: niemand anders als Orson Welles verbirgt sich hinter der Sendung, die eine freie Adaption von H.G. Wells‘ Klassiker „The War of the Worlds“ als Grusel-Special zum Halloween-Abend im Oktober 1938 in die Wohnzimmer bringt. Das nehmen nicht wenige Hörer ein wenig allzu ernst, es bricht so etwas wie eine kleine Panik aus, und im Ort Heathcote bei Grovers Mill, an dem Welles seine Marsianer landen lässt, kommt es sogar zu einem tragischen Zwischenfall.

Der junge Ted Oates wird verwirrt aufgegriffen, eine Smith & Wesson in der Hand und eine Kugel so nahe am Herzen, dass er ins Koma fällt. Seine Eltern findet man tot auf, beide erschossen, offenbar haben sie sich aus Angst vor der Invasion umgebracht. Um einen Skandal zu vermeiden, schickt der CBS-Vizepräsident seinen ehemaligen Chefreporter Douglas Burroughs, der sich mittlerweile als Romanautor versucht, nach Grovers Mill – 48 Stunden kann er dank Kontakten zum örtlichen Sheriff Marc Williams die Sache unter dem Deckel halten, bevor sich das FBI einschaltet. Vor Ort entdeckt Burroughs ein Gewebe aus Ressentiments, Lügen und Doppelmoral: die Oates führten ein durchaus zwielichtiges Leben, der Vater hat vor kurzem den Hund des Nachbarn Aaron Yates vergiftet, der „nur“ ein Schwarzer ist und daher ohnehin als zweifelhaft gilt. Bei seinen Recherchen entdeckt Burroughs dann diverse Ungereimtheiten: die verwendete Pistole besitzen nur Armee-Veteranen, und Vater Oates kann sich nicht selbst erschossen haben, dafür sitzt die Einschuss-Stelle auf der falschen Seite des Kopfes.

Damit konfrontiert, ändert Ted seine Story: er habe seine Eltern erschossen, aus Panik vor der kommenden Invasion. Bei seinen weiteren Nachforschungen findet Burroughs heraus, dass in der schicksalhaften Nacht wohl etwas gänzlich anderes vorgefallen sein muss: der Pickup-Truck der Oates weist Spuren eines Unfalls auf, und ein Augenzeuge hat Ornella, die Tochter des Nachbarn Yates, spät abends noch im Wagen der Oates gesehen. Als ihr Vater Aaron dann ein blutverschmiertes Kleidungsstück bei der Tochter findet, eröffnet sie ihm die grauenvolle Wahrheit: die Familie Oates hat sie, als sie Ted an diesem Abend besuchte, in eine Falle gelockt und sexuell missbraucht. Das glaubt ihr als Farbiger natürlich niemand, und auch Sheriff Williams redet ihr eine Anzeige aus – aber offenbar hat Ted die Gerechtigkeit selbst in die Hand genommen, was man nun wunderbar dem Schreckenshörspiel von CBS in die Schuhe schieben kann…

Fake Story, Fake News – das Vexierspiel, das sich Welles Ende der 30er im Radio erlaubte, transponiert Douglas Burroughs in seinem Roman zu einem faszinierenden Gleichnis für Manipulation und Medienmacht. Von wegen. Denn auch dieses Element ist nichts als ein Trick von Zeichner Jean-Denis Pendanx (u.a. „Jeronimus“) und Autor Laurent Galandon (u.a. „Die Traumfabrik“) – der Autor, der auch auf dem Cover als angebliche Quelle erscheint, ist ebenso fiktiv wie die Geschichte, die beiden hier spinnen und so selbst auf der Meta-Ebene noch falsche Wahrheiten streuen. Clever und perfide zugleich! Der (ersonnene) Burroughs enthüllt die (reale) Doppelmoral, Brutalität, den Rassismus und die Unmenschlichkeit der amerikanischen Mittelklasse der 30er (oder sogar der 2020er?), der ein Medienspektakel als willkommene Gelegenheit dient, die eigene Abgründigkeit zu vertuschen – eben dieses Zwielicht, das H.G. Wells (neben einer ausgeklügelten Kritik des Kolonialismus) in seinem Roman (der zur Abwechslung wirklich existiert) anprangerte.

Als glatte Lüge enthüllt wird dabei auch die urbane Legende der Massenpanik, die das Hörspiel angeblich ausgelöst haben soll: wie der Vize von CBS hier richtigerweise feststellt, erreichte Welles‘ Opus gerade einmal eine Einschaltquote von 2%, von denen wiederum nur ein kleiner Teil auf die Sache hereinfiel – die „Fake Story“ der kollektiven Angst und Selbstmorde war nichts weiter als eine Retourkutsche der damaligen Presse gegen das neu aufkeimende Konkurrenzmedium Radio, die Welles allerdings als Karriereschub durchaus gerne aufgriff. Zeichnerisch changiert Pendanx zwischen leicht comichaften Panels und (natürlich fingierten) Skizzen aus dem Romangeschehen, in denen wir die angreifenden Tripods mit dem charakteristischen Hitzestrahl eindrücklich angsteinflößend erleben. Somit ein durchweg intelligentes Stück Medien- und Kulturkritik, das sich wunderbar ergänzend in die Reihe der direkten Adaptionen (u.a. von Dobbs/Cifuentes oder auch Thilo Krapp) einfügt, die ihrerseits gelungene Umsetzungen der Vorlage bieten. (hb)

Fake Story
Text: Laurent Galandon
Bilder: Jean-Denis Pendanx
96 Seiten in Farbe, Hardcover
Verlag Schreiber & Leser
19,80 Euro

ISBN: 978-3-96582-069-2

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