„No one would have believed in the last years of the nineteenth century that this world was being watched keenly and closely by intelligences greater than man’s and yet as mortal as his own.“ Mit diesen Worten beginnt nicht nur der vielleicht einflussreichste Roman von H.G. Wells, sondern das gesamte Genre der modernen Science Fiction. Als man mehrfache Eruptionen auf der Oberfläche des Nachbarplaneten Mars beobachtet, wird die wissenschaftliche Gemeinschaft Südenglands und ein nicht namentlich benannter Autor, der im Verlauf zum Ich-Erzähler avanciert, aufmerksam. Spätestens als reihenweise scheinbar Meteore einschlagen, ist das Interesse des Astronomen Professor Ogilvy nicht mehr zu bremsen. Er eilt zur Absturzstelle und entdeckt dort erstaunliches: kein Meteorit, sondern ein Geschoss ist gelandet, das sich alsbald als Transportzylinder für eine schreckenerregende Fracht herausstellt. Bald bilden sich ganze Menschentrauben, darunter auch der Erzähler, der mit Schrecken zusehen muss, wie eine gewaltige Kampfmaschine aus dem Zylinder steigt und alle Schaulustigen in einem mörderischen Hitzestrahl in Asche verwandelt.
Ihm gelingt die Flucht, wobei er aber feststellen muss, dass die herbeieilenden Armee-Einheiten hoffnungslos unterlegen sind. Im Schutze der Nacht eilt er nach Hause und bringt seine Frau nach Leatherhead zu seinem Cousin in Sicherheit. Auf seiner Rückkehr ins heimische Woking macht er erneut Bekanntschaft mit den gewaltigen Kampfmaschinen der Marsianer: riesige Dreifüssler marschieren über das Land und verwandeln eine Brücke nebst Zug mit ihrem Hitzestrahl in ein Flammenmeer. Das gleiche Schicksal ereilt auch die versprengten Artilleristen, die auf der Horsell Weide vollständig ausgelöscht werden. Der Schreiberling schlägt sich weiter bis Weybridge, wo man die fliehenden Zivilisten in ein Lager gepfercht hat. Als die Menge versucht, den Fluss in Richtung Bahnstation Shepperton zu überqueren, greifen die Marsianer erneut an und löschen den Flüchtlingsstrom vollständig aus. Und es kommt noch schlimmer: zwar überlebt der Erzähler auch diese Attacke, aber die Marsianer entfesseln ein neues Grauen – sie überziehen das Land mit schwarzem Rauch, der sämtliches Leben sofort vernichtet…
Nach der wunderbar nostalgischen Adaption der „Zeitmaschine“ widmet sich Vielschreiber und Viktorianismus-Experte Dobbs (der seine ganz eigene Mischung von Fiktion und Historie auch in „Scotland Yard“ und „Mister Hyde vs. Frankenstein“ ausbreitete) nun also dem Urvater aller Science Fiction, aller Invasionsfilme (Byron Haskin, 1953), Neuverfilmungen (Stephen Spielberg, 2005), Hörspiel- und Musikfassungen (Orson Welles Schrecksendung von 1938, Richard Burton als Erzähler 1978) und Parodien (Tim Burton 1996). H.G. Wells‘ Roman, erstmals erschienen 1897, lieferte wie alle seine „Scientific Romances“ (zu denen neben der „Time Machine“ auch „The Invisible Man“ und „The Island of Dr. Moreau“ zählen) eine wissenschaftlich fundierte fiktive Überhöhung sozialer und geistesgeschichtlicher Themen der Zeit. Mit der Attacke der Marsianer hielt er seinen Landsleuten einmal mehr den Spiegel vor, indem er den Imperialismus auf den Kopf stellte und die Briten als Opfer eben der radikalen Eroberungspraktiken zeigte, die sie selbst der halben Welt angedeihen ließen.
Gleichzeitig schwingt ein gerütteltes Maß an Evolutionstheorie und Darwinismus mit: die Marsianer, die eine deutlich ältere Rasse als die Menschheit zu sein scheinen, demonstrieren durch ihre vollständige Überlegenheit die These des „survival of the fittest“ – und gleichzeitig die Gefahr der Überzivilisierung, da sie mit übergroßen Gehirnen und schwächlichen Körpern nur in Kampfmaschinen überleben können. Diese Interpretationsspielarten treten bei Dobbs hinter die furiose Action zurück, die die Story in Hülle und Fülle bietet. Wie schon Thilo Krapp in seiner herausragenden deutschen Adaption zeichnet auch Dobbs die Geschehnisse des Romans weitgehend werkgetreu nach. Wo allerdings in der monochromen, skizzenhaften Gestaltung der Krapp-Fassung historische Detailgenauigkeit und bedrückende Atmosphäre im Mittelpunkt standen, liefert Dobbs großformatige Set Pieces, vor allem in der Szene der scheiternden Massenevakierung bei Weybridge. Inhaltlich erlaubt sich Dobbs dabei einige Freiheiten, nicht zuletzt in der Gestaltung der Tripods: bei Wells noch als gewaltige, kantige Läufer mit Tentakeln beschrieben, geraten die Vernichtungsmaschinen hier zu fast drachenhaften Metallmonstern.
Obwohl nur auf zwei Teile angelegt, endet dieser Band ungefähr in der Mitte des ersten Teils der Romanvorlage („The Coming Of The Martians“). Somit dürfen wir gespannt sein, wie die verbleibenden Handlungselemente und Abschnitt 2 des Romans, „The Earth Under The Martians“, im Band 2 Platz haben werden – mit der Schlacht des Panzerschiffs Thunderchild, dem zerstörten London, der Odyssee des Erzählers, der Schreckensherrschaft der Marsianer und der mittlerweile sattsam bekannten Auflösung bleibt noch einiges an Material zu verarbeiten. Schön in jedem Fall wieder die wörtlichen Zitate aus dem Roman (wobei etwas spärlich gesät der Erzählerkommentar) und die stilechte Gestaltung, die an einen kunstvollen Romaneinband der Jahrhundertwende erinnert. Fehlt nur noch der leicht muffige Bibliotheksgeruch. Band 2 soll schon im Oktober bei uns einschlagen; „Die Insel des Dr Moreau“ und „Der Unsichtbare“ stehen danach in den Startlöchern. Und dann schlagen wir Dobbs vor, sich doch gleich mal an den Herrn Stevenson zu machen, oder Herrn Stoker. Wäre zumindest die gleiche Epoche. (hb)
H.G. Wells: Der Krieg der Welten, Band 1 (von 2)
Text: Dobbs, nach H.G. Wells
Bilder: Vicente Cifuentes
56 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
15,80 Euro
ISBN: 978-3-95839-503-9