Conan der Cimmerier, Band 10 (Splitter)

Mai 25, 2021

Gerade nochmal Glück gehabt, könnte man sagen: während sein Spießgeselle als Strafe für einen Diebstahl am Galgen baumelt, konnte Conan bislang unerkannt entwischen. Nachdem ihm aber klar ist, dass niemand anders als ihr Auftraggeber, der Anu-Priester, seine unliebsamen Handlanger ans Messer geliefert hat, stattet Conan dem feinen Geistlichen einen Besuch ab, den der Herr natürlich nicht überlebt. Soweit scheint alles geregelt, Conan lässt sich in einer Taverne im Vergnügungsviertel der Stadt genüsslich volllaufen, als es schon wieder Ärger gibt: die Schergen des Herrschers greifen ihn auf, und der Cimmerier hat so tief ins Glas geschaut, dass er tatsächlich den Kürzeren zieht und im Kerker landet. Da sucht ihn alsbald der Edelmann Murilo auf und schlägt ihm einen Handel vor: Murilo sieht sich bedroht vom finsteren roten Priester Nabonidus, den er allzu gerne loswerden würde. Und da Conan sowieso schon einen Geistlichen auf dem Gewissen hat, kommt es dem Cimmerier doch sicherlich auf einen Zauberer mehr nicht an.

Der willigt grimmig ein, aber die Sache fliegt auf, und anstelle eines eleganten Entwischens gerät die Flucht doch wieder zur blutigen Angelegenheit. Als Murilo von dem Fehlschlag erfährt, macht er sich panikartig auf ins Haus des Nabonidus, um dem Fiesling, der zweifelsohne auf Rache sinnt, vielleicht doch noch zuvorzukommen. Anstelle des dürren alten Männleins entdeckt Murilo allerdings eine furchterregende Bestie, die ihn in die Katakomben des Hauses hinabstößt. Dort findet ihn alsbald Conan, der sich ebenso zu Nabonidus begeben hat, um die Angelegenheit ein für alle Mal zu regeln. Gemeinsam entdecken die beiden Eindringlich den ebenso niedergeschlagenen Nabonidus, der ihnen die fürchterliche Wahrheit eröffnet: die Kreatur, die seine Robe trägt, ist ein Wesen namens Thak – eine Zwischenstufe zwischen Affe und Mensch, die Nabonidus in der Wüste fand und als Leibwächter und Helfershelfer nutzte. Offenbar hat sich Thak befreit und wütet im Hause, während das ungleiche Trio Nabonidus, Murilo und Conan sich aufmachen, heil aus dem labyrinthartigen Bau zu entkommen…

Mit der im Original durchaus treffender betitelten Erzählung „Rogues in the House“ lieferte Robert E. Howard 1934 (seinem produktivsten und erfolgreichsten Jahr) eine Conan-Story ab, die sich gleich mehrfach von anderen Beiträgen unterscheidet. Es tritt keine weibliche Hauptfigur auf, ein Kennzeichen, das Howards Erzählungen von „Queen Of The Black Coast“ über „The Frost Giant’s Daughter“ bis hin zu „Red Nails“ üblicherweise immer aufweisen (und das auch dafür sorgte, dass es die enthaltene Conan-Story häufig auf das Cover von Weird Tales schaffte, für das die Zeichnerin Margaret Brundage fast ausnahmslos nackte Schönheiten in Gefahr kreierte). Conan selbst gerät in Gefangenschaft (eine echte Rarität!) und erscheint deutlich einfältiger und geradliniger – in anderen Stories zeichnet sich der Cimmerier durch Gerissenheit, klugen Zynismus und fast schon philosophische Anflüge aus. Auch fasste Howard die Erzählung nahezu ohne Dialog ab, was eine fast schon alptraumhafte Stimmung erzeugt, die über manche inhaltliche Ungereimtheit hinwegsehen lässt.

Inhaltlich entfaltet Howard einmal mehr die zivilisationskritische Antithese zwischen barbarischer Vitalität und städtischer Dekadenz, die er schon in „Beyond The Black River“ und den „Man-Eaters of Zamboula“ ausbreitete. Während sich der anfänglich sympathisch wirkende Murilo schnell als typischer selbstsüchtiger Intrigant entpuppt (eben als einer der titelgebenden „Rogues“), fühlt sich Conan dem Zwischenwesen Thak in seiner primitiven, aber vital-ehrlichen Art deutlich verbundener. Die Macht, die Thak korrumpiert, ist nichts anderes als die Zivilisation selbst, deren Verschlagenheit und Brutalität er imitiert. So stehen sich nicht drei Menschen und ein Ungeheuer, sondern vielmehr zwei Repräsentanten der ränkespielenden Städter und zwei Naturwesen gegenüber – eine Spiegel-Technik, die Howard auch in der Lokalität des Hauses umsetzt, in dem die Handlung parallel auf verschiedenen Etagen abläuft. Am Ende stellt der Cimmerier wieder einmal ernüchtert fest: „Ich habe genug von dieser Stadt, ihren korrupten Priestern und Politikern und von all Euren Intrigen. Selbst der Affe ist verrückt geworden, als er mit der Zivilisation in Berührung kam. Ich bin für ein Leben hinter Mauern nicht geschaffen.“

Diese eher untypische Story, die sicherlich nicht zu Howards Meisterwerken gehört, gerät in der Umsetzung durch Howard-Experte und Comic-Neuling Patrice Louinet zu einer rasanten Achterbahnfahrt, die von einer klaustrophobischen Stadt hin zu einer Kultstätte führt, was die Parallelen zu „The Tower Of The Elephant“ und „The God In The Bowl“ betont. Schwungvoll und dynamisch die Inszenierung durch Paolo Martinello, der die häufig wortlosen Action-Sequenzen virtuos präsentiert, mit oftmals symbolischer Panel-Reihung (wunderbar einmal ein „Schnitt“ durch das gesamte Haus von Nabonidus mit allen Protagonisten in Aktion) und gerne auch schmackiger Gewalt. Erneut also ein krachiger Beitrag zur Reihe mit franko-belgischen Howard-Adaptionen, die mit „Der Gott in der Schale“ demnächst in die nächste Runde geht. (hb)

Conan der Cimmerier, Band 10: Der Rote Priester
Text: Patrice Louinet, nach Robert E. Howard
Bilder: Paolo Martinello
72 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
16 Euro

ISBN: 978-3-96219-212-9

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