Halo Jones, Band 1 (Panini)

November 3, 2020

Wunderbare Welt der Zukunft? Wohl kaum. Im 50. Jahrhundert geht es eher ungemütlich zu: in New York treibt sich nur noch rum, wer einen der wenigen Jobs ergattern kann, die meisten aber gelten als „Bürger mit extra Freizeit“, die in einer gewaltigen Konstruktion vor der Halbinsel Manhattan zusammengedrängt leben. In diesem „Ring“, einer Art High Tech Slum, sind die „Einkunftslosen“ zusammengepfercht, wobei man mehr schlecht als recht zusammenlebt. Selbst der kleinste Anlass führt zu Aufruhr und „Ring-Randale“, so etwa bei der Rückkehr des Raumers Clara Pandy, der verschrottet werden soll, was klarerweise in Ausschreitungen endet. In diesem ganzen Chaos stellt die schlagkräftige Rodice fest, dass man keinerlei Vorräte mehr daheim hat und einkaufen gehen muss – was einem mittleren Himmelfahrtskommando gleichkommt. Trotzdem packt sie ihre Freundin Halo Jones ein und macht sich auf den Weg in Richtung Mall, treulich bewacht vom Robo-Hund Toby, der eigentlich der alten Brinna gehört.

Natürlich kommt der Zeitplan gehörig durcheinander, man muss sich mit einer Horde herumstreunender Trommler herumschlagen, der Einsatz eines Kotzsticks zur Verteidigung geht glorios fehl, und schließlich kommt man zu allem Überfluss auch noch in den Ringflex hinein – jenes spektakuläre technische Manöver, in dem der Ring mehrmals am Tag geöffnet wird, um die anrauschenden Flutwellen ohne Schaden zu überstehen. Irgendwann schafft es die Expedition dann doch wieder zurück in die Wohnung, wo Rodice und Halo entsetzt feststellen, dass Brinna von Einbrechern umgebracht wurde. Damit hat Halo dann endgültig die Schnauze voll: sie will nur noch weg, irgendwohin, und das erste Ziel ist Manhattan, wohin ihr Rodice trotz wüstem Protest schließlich folgt. Gegen jede Chance findet sich im total abgewrackten Manhattan sogar ein Job: die Clara Pandy wird doch wieder in Dienst gesetzt und sucht Personal für ihre bevorstehende mehrjährige Reise in den Weltenraum…

Unsere erste Berührung mit der hier titelgebenden Dame fand Ende der 80er quasi multimedial statt. Gerade hatten wir auf der Frankfurter Buchmesse (ja, die fand damals noch statt) eine Schatztruhe in Form der Versandkataloge von Mile High Comics entdeckt, in denen wir Monat für Monat mit heißen Ohren wunderbare Kostbarkeiten fanden, die wir dann direkt in Amerika bestellten. Inklusive eines wunderlichen Bonusprogramms, bei dem man wie weiland unsere Großeltern Coupons ausschnipselte und einsandte. Von Alan Moore hatten wir natürlich schon gehört, immerhin verfolgten wir atemlos die großformatigen Carlsen-Alben, in denen die Geschicke der Watchmen erzählt wurden, und so wollten wir natürlich auch wissen, um was es denn bei dieser Ballade aus der Feder des Briten ging.Zeitgleich buddelten wir bei unseren nächtlichen MTV-Marathons (ja, das wurde damals noch gesendet und war durchaus relevant) eine lustige Kombo aus England aus, die ihren post-New-Wave-Punk-Pop-Sound mit einer Frontfrau garnierte, die ebenso stimmlich kompetent wie lasziv war: Wendy James von Transvision Vamp hauchte uns gleich auf dem ersten Album „Pop Art“ entgegen, dass sie definitiv keine Zeit für uns habe heute: „I’m hanging out with Halo Jones“, so ließ sie uns wissen, und wir dürften beim Konzert in der seligen Frankfurter Music Hall in der Voltastraße so ziemlich die einzigen gewesen sein, die wussten, um was es hier ging.

Halo Jones 1987 in den USA bei Quality Comics

Die gute Wendy besang natürlich eben diese Serie, die Alan Moore ab Juni 1984 im britischen Comic-Magazin 2000 AD auf die staunende Leserschaft losließ. In gewohnter Meisterschaft entwarf der Großmeister der britischen Comic-Kunst dabei eine beißend satirische negative Vision einer Zukunft, in der man definitiv nicht leben möchte: grassierende Arbeitslosigkeit, Straßengangs und Gewalt regieren im Ring, der von den täglichen Propaganda-Schönrede-Sendungen einer nervigen Nachrichten-Trulla namens Swifty Frisko zugetrötet wird. Technische Fortschritte wie etwa autonom fahrende Taxis erweisen sich als fehlerbehafteter Schrott, einen mechanischen Wachhund kann sich nur erlauben, wer das nötige Kleingeld hat, und die freiwilligen Milizen – neckisch „Krawullen“ genannt – haben ihren Grips an der Garderobe abgegeben. So liegt Moores Ring nicht weit von der Megacity Judge Dredds entfernt – die Krawullen stehen auch optisch durchaus in der Nähe der rabiaten Gesetzeshüter, die „Ring-Randale“ kennen wir aus den Blockwars, und die herumschlurfenden Trommler könnten ebenso in Megacity wohnen.

Bewusst neue Wege ging Alan Moore allerdings in der Wahl der zentralen Figuren, die eben keine rabiaten, schießwütigen Herrschaften, sondern Damen einer ganz bestimmten Machart waren: „Was ich wollte, war einfach eine ganz normale Frau, wie sie in der Warteschlange an der Supermarktkasse vor einem stehen könnte, die aber der Art von Zukunftswelt ausgesetzt ist, wie sie nun mal zu einem Science-Fiction-Comic für Jungs zu gehören schien.“ Keine halbnackte Prinzessin wie bei John Carter, keine burschikose Schießtrulla, sondern ein Mädel von nebenan eben, dem es irgendwann zu dumm wird in dieser abgehalfterten Antiwelt und die deshalb ihr Heil in der Flucht nach vorne sucht. Inszeniert wurde die finster-witzige Ballade von Moores Wunschkandidat Ian Gibson, der ebenso brilliert wie in seinen anderen 2000 AD-Titeln „Robohunter“ und „Judge Dredd“: ebenso wuchtige wie detailreiche Stadtansichten wechseln mit wunderbar stilisierten Darstellungen der holden Weiblichkeit.

Wenn auch in diesen ersten Kapiteln der Ballade, die im Original in den Ausgaben 376 bis 385 von 2000 AD erschien, rein handlungstechnisch nicht allzu viel geschieht, lieferten Moore und Gibson dennoch den Auftakt zu einem wahren Meilenstein, der wie eigentlich alles von Meister Moore weitreichenden Einfluss auf die folgende Comicwelt nahm. Panini folgt mit dieser neuen Alben-Reihe, die in drei Bänden die komplette Ballade enthalten soll, dem guten Beispiel von Dantes Verlag (bei dem seit geraumer Zeit der ruppige Slaine in neuem Glanz erstrahlt) und bringt diverse Juwelen aus dem Fundus des legendären Comic-Magazins schön aufgemacht mit Anhang inklusive Covers, Pinups und kurzen Statements von Moore und Gibson heraus: neben der guten Halo sollen noch „Button Man“ und „Der Orden“ an den Start gehen. Das können wir nur gutheißen, wie damals schon in der Music Hall, als Nick Christian Sayer an der weißen Sportguitarre auf uns herabschwitzte und die blonde Wendy eindrucksvoll mitteilte: „Halo Jones is a girl of ice and fire, she‘s got everything that all the boys desire…“ (hb)

Die Ballade von Halo Jones, Band 1
Text: Alan Moore
Bilder: Ian Gibson
72 Seiten in Farbe, Hardcover
Panini Comics
20 Euro

ISBN: 978-3-7416-2069-0

Tags: , , , , , , , ,

Comments are closed.