Frühjahr 1949. Unter einem Vorwand gelingt es, die erst von den Nazis und dann von den Russen in einem Gulag gefangen gehaltene Assunta nach Prag schaffen zu lassen. Dort wird sie mit einem ausgeklügelten aber gefährlichen Plan befreit und nach Belgien, zurück nach La Goffe zu Thomas, gebracht. Doch die Jahre in der Gefangenschaft, die Folterungen und Entbehrungen haben Assunta verändert. Von ihrem Lebensmut ist nichts geblieben. Sie ist eine gebrochene Frau, verfolgt von den Geistern der Vergangenheit in Gestalt ihrer Peiniger. Auch Thomas‘ Bemühungen scheinen daran nichts ändern zu können. Derweil endet in Berlin die Blockade, gefolgt von der Gründung der beiden deutschen Staaten. Lucie, die für die Amerikaner arbeitet, lernt in der Stadt den farbigen Musiker Roy Air Gaines kennen und lieben. Gemeinsam planen sie eine Rückkehr in die USA. Auch Belgien kommt politisch nicht zur Ruhe. Wallonen und Flandern streiten sich um die eventuelle Rückkehr des Königs – sogar eine Spaltung des Landes droht. Dann nimmt ein Drama seinen Lauf…
Im insgesamt vierten Band ihrer bewegten Chronik schildern Warnauts und Raives schlaglichtartig und parallel den Werdegang der starken Frauen rund um Thomas, allen voran der schwer gezeichneten Assunta. Aber auch Lucie, Pater Josephs kleine Schwester, steht davor, einen mutigen Schritt zu wagen in einem Amerika, das noch keine Bürgerrechtsbewegung kennt. Alice, Thomas‘ Ex-Freundin und Ex-Frau von seinem verstorbenen Bruder Charles, heiratet erneut. Nicht aus Liebe, sondern aus Kalkül, um versorgt zu sein. Insgeheim liebt sie Thomas noch immer. Schließlich sind da noch Marie-Louise, auch eine Freundin, die von einem Fotografen entdeckt wird und zum Model avanciert. Inklusive gewagter, „künstlerischer“ Posen. Und Bernadette, Thomas‘ Tochter aus dem Kongo, die langsam zur Frau wird . Dem steten Wechsel zwischen Personen und Schauplätzen und der dadurch entstehenden Komplexität ist nicht immer leicht zu folgen, zumal sich einige der Damen optisch sehr ähneln. Und allgegenwärtig schwingt im Hintergrund die Weltpolitik mit, die noch immer die Wellen des vernichtenden Orkans in Gestalt des Zweiten Weltkriegs zu glätten versucht.
Am Ende flieht man wieder vor sich selbst – bewusst oder tragisch –, man wagt große neue Schritte, man findet seine Bestimmung oder schlägt Wurzeln. Wie das Leben eben so spielt, ganz unabhängig und bisweilen dann doch wieder weit weg und unabhängig von dem großen Weltgeschehen. Mit diesem Band endet vorerst die Geschichte von Thomas, der Chronik seiner Familie und seiner Freunde (von 1938 bis 1949). Immer eng verwoben mit dem historischen Kontext, was auch hier wieder eine Zeittafel am Ende des Albums deutlich macht. Doch Warnauts und Raives widmen sich weiter dem Thema und ihren Figuren. Der in Frankreich bzw. Belgien bereits erschienene Zweiteiler „Les Jours Heureux“ („Glückliche Tage“) setzt zehn Jahre später ein und behandelt Bernadette, Thomas‘ Tochter, als zentrale Figur. Hoffentlich auch bald bei Panini. Wie bereits in den Vorbänden, glänzt auch der aktuelle Teil der Reihe mit fein recherchierten Darstellungen in kräftigen Farben. Stimmungsvolle städtische Nachtszenen stehen dabei im Kontrast zu satten Naturdarstellungen und schaffen so ein realistisches Bild der Nachkriegszeit. (bw)
Zeitenwende – Nach dem Krieg, Band 2
Text & Bilder: Éric Warnauts, Guy Raives
64 Seiten in Farbe, Hardcover
Panini Comics
17 Euro
ISBN: 978-3-7416-1002-8