Alternierend bringt Splitter im Rahmen der Rick Master Gesamtausgabe frühe und neuere Alben mit den Fällen des hochgradig detektivisch veranlagten Reporters heraus. Nach Band 12, in dem Geschichten von 1981 und 1982 zum Abdruck kamen, kehrt die Reihe jetzt wieder in ihre Anfangszeit (1964-1966) zurück und präsentiert einen damals bereits etablierten Helden – sowohl was seine fiktive Bekanntheit (inzwischen ist er sogar Buchautor) als auch seine Popularität im Tintin-/Kuifje-Magazin betrifft, wo die Rick Hochet/Rik Ringers Abenteuer – wahlweise auf Französisch oder Flämisch – traditionell debütierten.
„Im Schatten des Chamäleons“: Für eine Reportage lässt sich Rick Master undercover als Insasse in ein Gefängnis einschleusen. Vorher checkt die Polizei, dass dort keiner der schweren Jungs inhaftiert ist, die Rick hinter Gittern brachte. Doch macht man dabei einen Fehler, denn Rick landet direkt neben der Zelle des Chamäleons, dem Ex-Inspektor Manière, den wir bereits aus Band 1 der Gesamtausgabe und aus „Die neuen Fälle von Rick Master“ kennen. Prompt gelingt Chamäleon mit einigen Komplizen eine spektakuläre Flucht. In Freiheit und untergetaucht, kündigt er öffentlich drei Coups an, einer raffinierter und dreister als der andere. Und bei jedem verliert er zwar einen seiner Handlanger, schafft es aber, die Polizei komplett lächerlich zu machen, indem er ihr stets durch die Lappen geht. Dann wird Rick entführt, kann jedoch entkommen und findet dabei sogar noch Hinweise, die scheinbar zum Aufenthaltsort des Chamäleons führen. Oder steckt doch mehr hinter der Sache als Rick ahnt?
„Ein teuflisches Netz“: Ferienzeit. Kommissar Bourdon macht Urlaub auf dem Land bei seiner Schwester und deren Enkelkindern. Rick, der gerade ein neues Buch veröffentlicht, will sie besuchen und wird Zeuge, wie in dem Ort ein Bub angefahren wird. Der Täter begeht Fahrerflucht. Christian, so der Name des Jungen, entpuppt sich als Neffe von Bourdon und ist ernsthaft verletzt. Der Fall wird also persönlich. Auch Nichte Nadine ist besorgt. Natürlich geht Rick der Sache nach und versucht den Unfallwagen ausfindig zu machen. Bei seinen Ermittlungen verhört er alle im Ort, die einen solchen Wagen fahren. Und kommt keinen Schritt weiter. Erst als er von der Straße abgedrängt und von einem Unbekannten kontaktiert wird, kommt der Fall ins Rollen. Schließlich wird der vermeintliche Täter gefasst. Alles gut? Mitnichten. Nadine glaubt nicht an seine Schuld, stellt auf eigene Faust nächtliche Nachforschungen an und sticht dabei in ein hoch gefährliches Wespennest…
„Entführung auf der France“: Ferienzeit, die Zweite: Kaum hat sich der Kommissar finanziell zu einer Reise auf dem Luxus-Kreuzer „France“ durchgerungen, scheinen seine Urlaubsvorbereitungen auch schon wieder zu Ende. Denn er soll einen brillanten Wissenschaftler bewachen, der die Formel für einen neuen Treibstoff entwickelt hat: Professor Hermelin. Der muss zu einem Kongress nach New York und da er an Flugangst leidet, reist er per Schiff. Natürlich – zu Bourdons freudiger Überraschung – auf der „France“. Und natürlich wird Bourdon von Rick begleitet, so muss er sich nicht alleine mit dem griesgrämigen Professor herumschlagen. Bald wird dem Trio klar, dass auch einige lichtscheue Individuen mit an Bord sind. Die unterstehen dem (angeblichen) Industriellen Travers und verüben diverse Anschläge auf Rick, Bourdon und Hermelin, die jedoch sämtlich scheitern. Bis der Professor dann urplötzlich verschwindet…
Noch sind die Fälle von Rick Master vergleichsweise konventionell und kriminalistisch bodenständig. Später in der Serien-Historie wird es reißerischer und im positiven Sinn abstruser, eben wenn Rick vermeintliche Außerirdische jagt oder angeblichen Vampiren auf die Schliche kommt. In diesem zweiten Sammelband der Gesamtausgabe wird zudem das Figuren Ensemble der Serie komplettiert. Mit Nadine, Bourdons Nichte, stößt Ricks spätere Freundin dazu und auch Professor Hermelin, der stets restlos von sich überzeugt ist und sich immer wieder gerne mir Bourdon kabbelt („Junger Mann“), feiert sein Debut. In allen drei Alben spielen Entführungen wichtige Rollen (Rick selbst, Nadine und der Professor). Wir begegnen zwei „alten“ Feinden (Chamäleon und ein „Mister X“) und die einzelnen Stories haben noch einen Umfang von 60 Seiten, was sich im nächsten Band ändern wird (dann erfolgt eine Reduzierung auf 44 Seiten).
Das hat Vor-und Nachteile. Denn durch die 60 Seiten wirken Ricks Fälle immer wieder etwas gedehnt, in die Länge gezogen und ändern gerne ihren Fokus. Was – im Positiven – auch Überraschungen und plötzliche Wendungen birgt. Dann kommt zum einen erst spät das Motiv zum Vorschein (z.B. warum beging man die Fahrerflucht?) und zum anderen treten die Hintermänner und Drahtzieher ins Licht. Bis dahin schränkt die Handlung den Kreis der Verdächtigen immer mehr ein und sehr gerne entwickelt sich ein wahres Katz-und-Maus Spiel, was besonders in Episode auf der „France“ bestens unterhält. Hier kommt auch ein waschechter MacGuffin zum Einsatz: Professor Hermelins Formel ist Auslöser und Motor der Handlung aber ansonsten in deren Fortlauf völlig gegenstandslos. Natürlich gibt Autor Duchâteau auch wieder diverse Last Minute Escapes und Cliffhanger (auch im wahrsten Sinne des Wortes) zum Besten – einmal stand dabei Hitchcocks „Der Unsichtbare Dritte“ Pate. Dazu gesellt sich Tibets realistischer Zeichenstil, der erstaunlich schnell gereift ist und nun im kompletten Serienverlauf in der gleichen Qualität glänzen wird.
Der wie immer umfangreiche Sekundärpart ist wieder zweigeteilt und konzentriert sich zum einen auf die ersten Albumveröffentlichungen der Serie in Frankreich und beschreibt die Recherche-Arbeit für die Episode auf der inzwischen abgewrackten „France“, die seinerzeit der größte Ozeanriese war und später als „Norway“ die Meere befahren sollte. Zum anderen wird das Portrait des Zeichners Tibet fortgesetzt und schildert die Entstehung seines zweiten Klassikers „Chick Bill“, der bereits Anfang der fünfziger Jahre das Licht der Comic-Welt erblickte. Diverse Rick-Titelbilder von Tintin/Kuifje oder den Alben können als Originalzeichnung und in der finalen Farbfassung begutachtet werden. Im Juni geht die Reihe dann mit Band 13 weiter, diesmal wieder mit neueren Geschichten des Krimi-Dauerbrenners. (bw)
Rick Master Gesamtausgabe, Band 2
Text: André-Paul Duchâteau
Bilder: Tibet, Mittéi
208 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
29,80 Euro
ISBN 978-3-95839-578-7