Erinnern wir uns an das dramatische Finale von Band 3: Das Duell zwischen den beiden Lazari, die quasi-Kriegserklärung von Jakob Hock an die Carlyles und die Vergiftung von Familienoberhaupt Malcolm Carlyle durch eben jenen Hock. Nun, im aktuellen Band 4, hat sich die Situation für die Carlyles weiter zugespitzt. Der Konflikt zwischen den beiden Familien ist offen ausgebrochen, die strategisch wichtige Stadt Duluth in Minnesota schwer umkämpft. Und Malcolm Carlyle liegt im Koma, das Gift ist so raffiniert, dass es auf jedes Gegenmittel reagiert und sich entsprechend anpasst, wie ein Fisch, den man fängt und der einem immer von neuem durch die Hand flutscht. Soweit die Situation und die Prämisse der Handlung. Anders als in den Vorbänden, die thematisch bzw. inhaltlich homogen waren und sich dennoch voneinander absetzten: Band 1 widmete sich ganz dem Lazarus der Familie Carlyle, Forever. Band 2 warf einen Blick auf das einfache, unmündige und wertlose Volk, das verächtlich und höchst despektierlich als Abfall tituliert wird. In Band 3 dann blickten wir in den inneren Kreis der mächtigen und masslos reichen Familien, die sich die Welt aufteilen und von der jede einen Lazarus, einen genetisch veränderten, beinahe unsterblichen Meisterkrieger, hat.
Nun eröffnen Greg Rucka und Michael Lark gleich mehrere, parallele Handlungsfäden: Forever muss in den Krieg ziehen, nach Duluth. Dort drohen die Truppen Hocks die Carlyle’schen Anvils zu überrennen. Forever trifft dort erneut auf Casey Solomon, die früher zum „Abfall“ gehörte, die inzwischen Corporal ist und die wir bereits in Band 2 kennengelernt haben. Ihre Mission: mit einem kleinen Trupp die mächtigen Boden-Luft Raketenbatterien Hocks ausschalten. Eine Mission, die Forever beinahe zum Verhängnis wird. Beinahe? Dann ist da Vater Carlyle, der vergiftet im Koma liegt. Seine Tochter Bethany rekrutiert frisch von der Uni den angehenden Arzt Barrett, dessen Fachgebiet derartige Vergiftungen sind. Dort, in der Carlyle-Zentrale lernt er Sonja kennen, den Lazarus der Familie Bittner, die sich von ihren Verletzungen erholt. Derweil muss Stephen Carlyle als interims-Oberhaupt der Familie die Geschäfte leiten. Das tut er zögerlich, unsicher – er ist völlig überfordert, was den Verbündeten, die seine Bündnistreue einfordern, nicht verborgen bleibt. Schließlich muss er von seiner weiteren Schwester Johanna unterstützt werden, die wiederum ihr eigenes intrigantes Süppchen kocht.
Ja, es passiert in der Tat viel in diesem Band, dessen Kernstück der (mehr oder weniger) Ein-Frau-Feldzug Forevers in Duluth ist. Winterliche, blutige Straßenkämpfe. Actionreich, bedrohlich und atmosphärisch dicht. Das vermeintlich unterlegene Carlyle-Trüppchen, das auf Forever angewiesen ist. Ihre schwere Verletzung, die zu keinem ungünstigeren Moment kommen könnte. Parallel montierte Handlungen, die Spannung erzeugen. All dies ist von Zeichner Michael Lark einmal mehr gekonnt mit viel Schwarzflächen in Szene gesetzt. In der Vorgeschichte, die sich um eine Nonne dreht, die im Hock-Territorium (in Florida und auf Kuba) als Spionin fungiert, erfahren wir indirekt mehr über den Carlyle-Gegenspieler Jakob Hock: vor Jahren setzte er ein modifiziertes Grippevirus frei, das hunderte Millionen Menschen dahinraffte. Er wird von seinem „Volk“ als gottgleicher Heilsbringer und Wundertäter verehrt, versorgt sie mit mysteriösen Pillen (Soylent Green?) und veranstaltet einen Personenkult, der jedes Diktators mehr als würdig ist. Und am Ende trifft den Leser wahrlich ein Paukenschlag, der die Wartezeit auf Band 5 zur Qual werden lässt. Fazit: hier drehen Rucka und Lark endgültig voll auf und hieven die Reihe vollends in den Serien-Olymp. Großartig. (bw)
Lazarus, Band 4: Gift
Text: Greg Rucka
Bilder: Michael Lark, Tyler Boss, Santi Arcas
168 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
22,80 Euro
ISBN: 978-3-95839-221-2