Mafiaboss di Pietro ist ein alter Knacker, will aber beweisen, dass er es noch immer drauf hat. So engagiert er den Ganoven Tyler Cross. Der soll di Pietros Patensohn Tony Scarfo 20 Kilo reines mexikanisches Heroin klauen. Mit CJ, seiner Komplizin und Schwester im Geiste, macht sich Tyler an die vermeintliche Routinearbeit. Doch schon bei der Übergabe läuft alles schief. Tony Scarfo spielt nicht mit, CJ wird getötet und Tyler entkommt nur knapp, mit immerhin noch 17 Kilo Stoff. Zu Fuß und ziemlich platt erreicht er das Städtchen Black Rock mitten im staubigen Nirgendwo. Dort kommt er vom Regen in die Traufe. Denn in Black Rock herrschen die Praggs. Vater Pragg ist das absolutistisch regierende Familienoberhaupt. Skrupel- und gewissenlos. Seine Söhne sind Bürgermeister, Sheriff und Bankdirektor. Und ausgerechnet den Bürgermeister William Pragg will die hübsche Stella Bidwell heiraten. Anfangs. Denn als sie es sich kurzfristig anders überlegt, wird sie von Vater Pragg brutal und erniedrigend zur Hochzeit gezwungen. Inzwischen ist Tylers Tarnung als gestrandeter Vertreter aufgeflogen. Die Praggs haben ihn in der Mangel. Gemeinsam mit Stellas Vater rächt er sich gründlich und umfassend, hat bei seiner anschließenden Flucht aber Stella am Hals. Und Tony Scarfos Mafia-Vater samt dessen Schergen. In einem Zug kommt es zum Grande Finale…
Gerade haben wir Fabien Nurys Schreiber-Qualitäten bei „Silas Corey“ gewürdigt, da steht mit „Tyler Cross“ schon ein weiteres seiner Werke in den Läden. Und wieder – auch wenn das Genre ein anderes ist – liefert er eine sauber konstruierte Handlung ab, die sich ganz in den Dienst der außergewöhnlichen Zeichnungen Brünos stellt. Die Story dürfte in den 50er Jahren spielen und stellt mit dem Ganoven Tyler Cross, der sich selbst als Räuber bezeichnet, einen einsamen Wolf in den Mittelpunkt, der zwar auch Frauen (auch als „Mitarbeiterinnen“) nicht abgeneigt ist, sich aber deren entledigt und dabei stets praktisch auf seinen Vorteil bedacht ist, wenn es denn notwendig wird. Doch auch Tyler kommt in Bedrängnis, nachdem er merkt, dass die Situationen immer mehr seiner Kontrolle entgleiten. Erst der missglückte Drogendeal, dann die zerstörerische Rache von Stellas Vater und schließlich der Rest-Drogenverkauf im Zug, der komplett aus dem Ruder läuft und in einen actionreichen Showdown mündet. Ganz im Stile der Hardboiled Gangster-Filme verliert Tyler nur wenige Worte und versucht stets seine Haut zu retten, ohne dabei das vermeintlich gewinnbringende Heroin zu vergessen. Das Motiv des einsamen Fremden, der in eine korrupte Stadt kommt, ist nicht neu (sogar Black Rock gab es dabei schon – siehe „Stadt in Angst“ mit Spencer Tracy), ist aber nur ein Teil der Handlung – wenn auch ein zentraler – und wird explosiv aufgelöst.
Bei all den ur-amerikanischen Western/Gangster/Noir-Elementen gibt es ergänzende Kommentare und Anmerkungen in Textkästen, die zwar lakonisch sachlich und furztrocken daherkommen, im Gegensatz zu typischen Noir Werken aber nicht in der Ich-Form des Helden gefasst sind, sondern dessen Gedanken, Motive und Taten aus der Sicht eines allwissenden Erzählers beschreiben. Nicht nur: die Szene, in der der brutale Gefängnis-Ausbruch Tylers aus der Sicht einer Schlange erzählt wird, ist sehr originell in Szene gesetzt und damit allererste Sahne. Mit den Zeichnungen werden sich manche schwer tun. Von dem in Deutschland geborenen Franzosen Brüno, der schon seit Ende der Neunziger Jahre als Zeichner aktiv ist, erschien bei uns bisher nur „Atar Gull“ im Avant-Verlag. Seine Bilder bestehen aus einer klaren, einfachen Linienführung, wirken aber nie billig. Die Personen sind überzeichnet, Funny-Elemente und Realismus vermischen sich. Als hätten Philippe Berthet, Charles Burns, Daniel Torres und Jason ihre Talente und Stilrichtungen in einen Schmelztiegel geworfen und dabei etwas ganz Eigenes, Neues produziert. Schwer einzuordnen, dabei aber sehr erfrischend. Der Band hat mit 96 Seiten Überlänge und erscheint im Carlsen-typischen Softcover-Format. Band 2 („Angola“) ist bei Dargaud in Frankreich bereits erhältlich. (bw)
Tyler Cross, Band 1: Black Rock
Text: Fabien Nury
Bilder: Brüno (d.i. Brüno Thielleux)
96 Seiten in Farbe, Softcover
Carlsen Verlag
14,99 Euro
ISBN: 978-3-551-71228-8