Irgendwo an einer rauen Küste. Ein kleines, dünnes Männlein macht sich im Morgengrauen auf den Weg, nachdem eine resolute, ungefähr doppelt so große und breite Dame ihm ein Frühstück gemacht und Stullen geschmiert hat. Er holt seinen Kumpel am Hafen ab, und im Kahn ‚Maria‘ geht es gemeinsam hinaus aufs Meer, um dort die Netze auszuwerfen. Das geht allerdings nicht lange gut: die ‚Maria‘ gerät in den Sog eines monströsen Fischtrawlers, verfängt sich in dessen Schleppnetz und wird so unbemerkt mitgeschleift. Das Männlein schickt seinen Kumpanen mit Proviant und einem kleinen Rettungsboot los, um Hilfe zu holen. Während die Frau daheim an der Kaimauer wartet und sich immer mehr Sorgen macht, spitzt sich die Lage für unseren Kapitän zu: als das mächtige Schiff ein riesiges Netz voller Fischreste über Bord kippt, reißt sich die kleine Nussschale endgültig los, und die ‚Maria‘ treibt havariert, mit wenig Treibstoff, kaputtem Funkgerät und kaum Verpflegung, auf dem offenen Meer.
Die resolute Dame zu Hause nimmt einstweilen die Dinge in die eigene Hand: der tatsächlich glücklich im Rettungsboot angekommene Begleiter kann berichten, dass ihr Mann von einem Schiff namens ‚Goldfish‘ gerammt und mitgeschleppt worden ist – und nachdem dieser Kahn auf dem Weg nach Kuba war, schifft sich die treue Seele auf einem Kreuzfahrtschiff in Richtung Havanna ein. Dort erlangt sie dann sogar eine gewisse Berühmtheit, avanciert zum Medienstar und trifft sogar den Staatschef – aber der Verschollene treibt weiter auf dem Meer, nur begleitet von einer Möwe, die er mit seinem kargen Vorrat an Ölsardinen durchfüttert, ständig in Gefahr durch Wind, Wetter, Sturm und schließlich sogar Piraten…
Wilfrid Lupano, der mit seinen ‚Alten Knackern‘ gerade Erfolge feiert und auf der Leipziger Buchmesse zu Gast sein wird, gelingt hier eine wunderbar lyrische Geschichte, die ohne ein einziges Wort auskommt und dennoch oder vielleicht gerade deshalb alles sagt. Das anfangs ungleich scheinende Paar – hier der kleine, schmächtige Herr, dort die massive, in Schürze und Dienstmädchenhaube gekleidete Dame – entpuppt sich als unzertrennlich, den Mann hält während seiner Odyssee nicht zuletzt die Erinnerung an seine Frau aufrecht, während die Dame nach anfänglicher Schicksalsergebenheit die Hoffnung nicht fahren lässt und alles einsetzt, um den Angetrauten wiederzusehen. Dabei wechseln äußerst dramatische Szenen – wie etwa die beeindruckende Episode, in der die ‚Maria‘ in einen Sturm gerät – mit eher amüsanten Momenten ab: so etwa bringt die Frau frischen Wind auf das Kreuzfahrtschiff, indem sie den gelangweilten Luxusgästen die Freuden des Häkelns und der richtig gebackenen Pfannkuchen nahebringt.
Anrührend gerät dann der Abschluss: glücklich wieder vereint (hiermit ist wohl nicht zu viel verraten), nehmen die beiden ganz entspannt ein Abendessen ein und gehen zu Bett: kein spektakuläres Fest, keine Exzesse, denn ihre unerschütterliche Zuneigung, die haben sie durch ihren Mut und ihre Taten längst bewiesen. Grégory Panaccione inszeniert diese wunderbar ruhige, elementare Geschichte einfühlsam, in Bildern, die wie die besten Filme vollkommen für sich alleine stehen, die teilweise kleine Details herauspicken (die Möwe, die Fischdosen), um dann in einem Crescendo in Doppelseiten die Naturgewalten wie Sturm oder gleißende Sonne eindrucksvoll zu inszenieren. Der Klappentext kündet von den Nährwerten des Werks: einiges an Proteinen sei enthalten (Schiffbrüche, Stürme und mehr), auch ein guter Schlag Kohlenhydrate ist dabei (wunderschöne Landschaften, schmalziges Melodrama), aber Lipide, also schwerfälliger Humor oder gar Moralismus, auf die habe man bewusst verzichtet. Und das ist auch genau richtig so. Ein Manifest für die wahre Zuneigung, die jenseits aller plakativen Momente im wahrsten Sinne alle Gezeiten übersteht. (hb)
Ein Ozean der Liebe
Text: Wilfrid Lupano
Bilder: Grégory Panaccione
224 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
29,80 Euro
ISBN: 978-3-95839-231-1