Helden braucht das Land. Das sagt sich der junge Jim Starret, als der grimmige „Sentence“ Sykes (der das Urteil spricht und auch gleich vollstreckt, wie Jahrhunderte später ein illustrer Kollege in Mega City) auftaucht und geradewegs aus den Groschenromanen geschnitten scheint, die der Junge verschlingt, der mit seiner Mutter alleine auf einer Farm im Westen lebt, seit der Vater gestorben ist. Sykes warnt die Mutter noch, hier sei es gefährlich für eine Frau, aber Miss Starret will ihr Land nicht aufgeben. Diese Standhaftigkeit wird ihr zum Verhängnis: die Outlaws der Clayton-Bande überfallen die Farm, vergreifen sich an der Mutter und töten sie. Der kleine Jim kann fliehen und verletzt dabei einen der Missetäter schwer. Der traumatisierte Junge kennt seitdem nur noch einen Gedanken: Rache an denjenigen, die ihm alles genommen haben. Und dafür braucht er Sykes, immerhin ist das ein Held von echtem Schrot und Korn, der für die Gerechtigkeit kämpft.
Irgendwie stimmt das auch: Sykes übernimmt gerne Aufträge von überforderten Marshals oder Bürgermeistern und macht sich nach dem inständigen Flehen des kleinen Jim tatsächlich auf den Weg, im Schlepptau sein Kumpan O’Malley, der für seine gerne auch mal unkonventionellen Methoden bekannt ist (sprich: er ist durchaus handgreiflich und brutal, aber natürlich nur gegen diejenigen, die es auch verdient haben). Trotz vehementen Ablehnens lässt sich Jim nicht davon abbringen, auch selbst bei der Verfolgungsjagd dabei zu sein. Gemeinsam mit dem Indianer Grauer Fuchs, einem alten Spurenleser, der sich für die Aussicht auf zwei neue Hühnerställe anschließt, macht sich der Trupp auf den Weg und findet bald die Fährte der Verbrecher, die eine Spur der Gewalt hinter sich herziehen und scheinbar auch religiös motivierte Morde begehen. Sykes alter Kumpel Jess Bordwell bietet an, Jim an kindes statt anzunehmen, aber erst muss Jim seine Dämonen konfrontieren und die Halunken ausräuchern, die seine Mutter auf dem Gewissen haben. Das gelingt tatsächlich, und Sykes lässt Jim in der Obhut von Jess und seiner Frau zurück. Ende gut, alles gut? Beileibe nicht, denn es kommt Jahre später zu einem schicksalhaften Showdown, in dem sich eine grausame Ironie des Schicksals einstellt…
Pierre Dubois ist das, was man wohl mit Fug und Recht als Renaissance-Mensch bezeichnen kann, ein Universalgelehrter und Mystiker, wie man ihn nur noch selten antrifft, Autor von diversen fantastischen Enzyklopädien und zahlreicher Bildgeschichten. In der Figur des Sykes entwickelt er den klassischen Antihelden des Westerns weiter und macht ihn zu einem von seiner Vergangenheit heimgesuchten Intellektuellen, der einen literarischen Klassiker nach dem anderen liest und das Geschehen somit in Perspektive setzt – er ist wie Ahab, der seiner Nemesis Moby Dick folgt, während Jim die Rolle des Ismael spielt, der als einziger vom Malstrom der Gewalt verschont bleibt. So sein frommer Wunsch zumindest. Gleichzeitig liefert Sykes, den Jim sogleich als den Typ Held erkennt, der seine Dime Novels bevölkert, eine Reminiszenz der Figur des Bufallo Bill, jenes Bill Cody, dessen eigentlich gar nicht so großartige Abenteuer durch Groschenromane einem Massenpublikum gezielt bekannt gemacht wurden und schließlich in Zirkusaufführungen mit dem echten Indianerhäuptling Sitting Bull den Mythos des Westmanns, wie er sich bis heute in der populären Vorstellung erhalten hat, erst erschufen.
O’Malley selbst schließlich stellt gegen Ende des Geschehens fest, ihre Zeit sei eigentlich vorbei, immerhin würden mittlerweile Typen durchs Land ziehen, die einen Sarg hinter sich herschleppen oder auf der Mundharmonika spielen. Auch in diesen Querverweisen auf die Kino-Tradition des Westerns in seiner postmodernen Form (gemeint sind natürlich die Italo-Streifen ‚Django‘ und ‚Spiel mir das Lied vom Tod‘) wird Sykes mindestens ebenso zu einer kritischen Reflektion des Western-Mythos wie zu einer zeitlosen Saga, die davon kündet, wie Gewalt und Rache den Charakter vernichten. Die Indianer spielen mit Ausnahme von Grauer Fuchs keine Rolle, die Siedler müssen sich vielmehr vor den Bürokraten und Geschäftemachern schützen, die ihnen ihr Land mit Winkelzügen oder auch roher Gewalt, gerne auch durch Outlaw-Gangs, abspenstig machen. Die Büffel sind von den Prärien verschwunden, die Eisenbahn erschließt bald den letzten Winkel, und die alten Westmänner stehen am Abend ihres Daseins.
So entsteht (wie schon in Tiburce Ogers ‚Buffalo Runner‘) ein düsteres Panorama einer zwielichtigen Legende, die in der Realität alles andere als strahlend war und deren angeblich definierenden Elemente (Revolverhelden, Landnahme, der Weg nach Westen) erst durch eine verklärende Fiktion bewusst ins Leben gerufen wurden. Dimitri Armand zeichnet das Ganze in der besten franko-belgischen Tradition, teilweise erinnernd an den von ihm verehrten Enrico Marini, aber natürlich immer auch im Gefolge eines Jean Giraud, der wohl niemals ganz verleugnet werden kann, wenn es um dieses Genre geht. Ein desillusionierendes, aber auch wehmütiges, elegisches Werk, das wir hier abgeschlossen in einem Band erleben dürfen. (hb)
Sykes
Text: Pierre Dubois
Bilder: Dimitri Armand
80 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
17,80 Euro
ISBN: 978-3-95839-225-0