Buffalo Runner (Splitter)

November 19, 2015

Buffalo Runner (Splitter)

Texas, 1896, an der Grenze zu Mexiko. Ein Planwagen ist auf dem Weg von New Orleans nach Kalifornien: ein Friseur sucht nach dem Tod seiner Ehefrau einen Neuanfang im gelobten Westen. Ein kurzer Stopp an einer einsamen Hütte gerät zum Verhängnis, als anstelle von Hilfe ein brutaler Überfall auf die Reisegruppe wartet: Vater und Sohn werden getötet, der Tochter widerfährt ein übles Schicksal, von dem sie nur ein unerwartet auftauchender alter Trapper rettet. Ed Fisher, so der Name des knorrigen Alten, verschanzt sich mit seinem Schützling in der Hütte, gießt aus Überresten von Patronen kunstfertig neue Munition und hält die geschundene junge Dame mit der Geschichte seines Lebens wach bis zum Morgen, an dem er einen erneuten Angriff der marodierenden Indianerhorden erwartet.

Fishers Erzählung enthüllt eine radikale Gegenseite zum traditionellen Western-Klischee: als Kind durch einen Indianer-Überfall zum Waisen gemacht, wächst der kleine Ed bei den Comancheros von Leutnant Cavendish auf, der die Ureinwohner des Landes mit billigem Fuselschnaps zugrunde richtet (und sich selbst gleich dazu). Nach Cavendishs Tod muss der Junge bei irischen Bauern Frondienste leisten, bis er als Jugendlicher ausbüchst und sich zunächst bei Pferdezüchtern und dann bei der Armee der Konföderierten verdingt. Spätestens dort lernt er das Handwerk des brutalen Tötens, das er nach Kriegsende als Buffalo Runner perfektioniert: ganze Herden von Bisons erledigt er wie viele seiner Veteranen-Kollegen, um ihr Fell gewinnträchtig zu verkaufen, auch wenn dieser Raubbau den Indianern ihre Lebensgrundlage entzieht. Die Rache folgt auf dem Fuß: als sich Fisher mit seiner jungen Ehefrau Karen auf einer Ranch zur Ruhe setzen will, überfallen Kiowas das Haus, ermorden seine Frau und entführen seine Tochter Susanna. Nach jahrelanger Suche gibt Fisher, vollkommen abgestumpft und abgestoßen von der unfassbaren Gewalt auf beiden Seiten, verzweifelt auf und ergibt sich seinem Schicksal als Büffeljäger, als sein Leben eine überraschende Wendung nimmt…

Mythos, Trugbild, Propaganda. Die Vorstellung vom wilden Westen, vom romantisch-malerischen Weg des weißen Mannes in die neue Welt, der Geschmack von Freiheit und Abenteuer, ist nicht mehr als genau das – ein konsequent in Literatur, Theater und Film aufgerichtetes Gerüst, das dazu dient, die grausame Realität zu verdecken. Der aufrechte Westmann, der edle Wilde und die gloriose Eroberung eines neuen Landes war in Wirklichkeit die Suche von gesellschaftlich benachteiligten Schichten (in erster Linie ungebildeten Einwanderern, die im „alten“ Europa keine Chance mehr sahen) nach Lebensraum und Rohstoffen, die mit enormer Rücksichtslosigkeit durchgeführt wurde und naturgemäß zu einer nicht weniger gewaltsam-grausamen Gegenreaktion führte. Was im Kino Filme wie ‚Soldier Blue‘ (dt. Das Wiegenlied vom Totschlag) unternahmen, das versucht auch Tiburce Oger in seinem ebenso faszinierenden wie schockierenden Werk. Nach eigenen Worten wollte er mit dem Image des Westernhelden, das er aus unzähligen Kinofilmen kannte, aufräumen, und das gelingt ihm mit dieser stilisierten Geschichte des realen Büffeljägers Ed Fisher in radikaler Weise.

Die Erzählung Fishers ist durchzogen von Enttäuschung, Schicksalsschlägen und vor allem einer tiefgreifenden Unmenschlichkeit, die die Motivation der Siedler ebenso erfasst wie den Rückschlag der Ureinwohner, ohne platt Partei zu ergreifen. Die Darstellung des dreckigen Daseins auf den Farmen im Grenzland, die Abwesenheit von Frauen, die harsche Behandlung von Kindern (was nicht zuletzt an die viel zu früh eingestellte Western-Serie Deadwood erinnert), die Metzelei der Bisons (über einen Zeitraum von 20 Jahren wurden 40-50 Millionen Büffel geschlachtet) – all das ist historisch verbürgt und gestaltet sich zu dem, was Oger als „eine Konfrontation von Verarmten und Habenichtsen, die in einer lebensfeindlichen Umwelt im Elend versanken“ beschreibt. Aquarellhaft-stilisiert und direkt koloriert setzt Oger seine brutale Geschichte in stimmige Bilder um, die in ganzseitigen Panorama-Ansichten kulminieren und teilweise in der Tradition der Comic-Klassiker wie Blueberry und Comanche stehen, teilweise aber auch an die Großwerke eines John Ford wie etwa ‚The Searchers‘ (dt. Der Schwarze Falke) erinnern. Ein ungewöhnlicher, aufrührender Western, der einen lange nicht loslässt. Splitter bringt den Band schön aufgemacht mit einem Interview und Skizzen. (hb)

Buffalo Runner
Text & Bilder: Tiburce Oger
88 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
18,80 Euro

ISBN: 978-3-95839-224-3

 

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