Irgendwie doof, wenn man von einer offenkundig zu Späßen aufgelegten Göttin durch Raum und Zeit gehetzt wird. Genau das passiert unserem Lieblingskelten Sláine, den seine Chefin Danu auf eine Schnitzeljagd schickt, immer mit der vorgehaltenen Karotte, seine Geliebte Namh wiederzusehen (wobei der Möchtegern-Chronist Ukko nicht müde wird zu betonen, dass Sláine durchaus auch anderen weiblichen Wesen zugetan war und ist).
Die gute Namh verschwand bei den letzten Abenteuern um den Narrenprinz (nachzulesen in Sláine Band 8) und nahm Sláines Gedächtnis dabei gleich mit. In der ersten Episode trifft unser Hüne bei seiner Hatz erst mal auf einen „Dämonischen Anhalter“, der in der Tat auch in der Galaxie unterwegs ist: ein Drache aus der El-Welt tritt auf und eröffnet Sláine, dass seine Realität nur eine von vielen ist. Sláine, anfänglich von Zweifeln an seiner Heldenvergangenheit geplagt, überwindet dank der Drachenworte seine Unsicherheit- und taucht mit Verve in die weiteren Missionen ein.
Die führen ihn in „König der Herzen“ ins Schottland des Jahres 1298, genauer gesagt zur Schlacht von Falkirk, von sich ein gewisser William Wallace mit den verhassten Engländern prügelt und nach Strathclyde fliehen muss. Intuitiv hat Wallace um Hilfe gerufen, die ihm in Form des keltischen Vorkämpfers aus dem Zeitstrom entgegentritt und ihm jede Menge hilfreiche Tipps für den Guerilla-Krieg gegen die Besatzer gibt. Die Templer des salomonischen Tempels verfolgen einstweilen ganz eigene Ziele und beschwören das Kroppzeug Cythron herauf, um ihren Anführer Brian Le Jay wiederzubeleben…
Gänzlich in die Mythenecke biegt Sláine dann ab, als er Namh kurzfristig erhascht, dann wieder verliert und daher 1218 in den „Gralskrieg“ eingreift. Die fundamentalen Christen der Katharer sind dem etablierten Klerus ein Dorn im Auge, die den rabiaten Kreuzritter Simon de Montfort daher unter dem fadenscheinigen Vorwand des göttlichen Auftrags aussenden, die Katharer zu vernichten. Während Montfort in der Realität mit maximaler Grausamkeit auftritt, leidet seine Seele unter seinen Verfehlungen und ruft intuitiv den Keltenkrieger, der versucht, die Sache zu regeln und gleichzeitig den Gralstein sucht, um mit diesem Wunderteil wieder auf die Suche nach Namh zu gehen.
Sláine-Erfinder und Schreiberling Pat Mills mischt hier wie üblich so ziemlich alle kulturgeschichtlichen und mythologischen Welten, von der sattsam bekannten irischen Sagenwelt, aus der auch Sláine entspringt, über die Gralslegende und verwebt diese mit seiner ganz eigenen Interpretation geschichtlicher Ereignisse. Dabei weicht er von seinem ursprünglichen Konzept ab, in der die Lumpensöhne der El-Wesen aus der Anderwelt stammen, quasi eine Variante der Uralten von Lovecraft, und schwenkt über zur Idee der zahllosen gleichzeitig existierenden Versionen der Realität – eine Vorstellung, die in zahlreichen Philosophien und Religionen angelegt ihre popularisierte Ausprägung in den Multiversen von Marvel und DC fand.
Dieser Kniff erlaubt es Mills, seinen Helden durch die Zeit zu jagen und immer neue Versionen der Geschichte zu präsentieren: der schottische Volkstribun Robert the Bruce erscheint als von den verschwörerischen Templern gesteuert, die Katharer zeichnet Mills eher als verbohrte Sekte denn als aufrechte Gläubige, und die Gralslegende füttert er mit Anregungen aus den zentralen Werken Wolfram von Eschenbachs (der die Gralsgeschichte in seinem Versroman Parzival verarbeitete) und Chrétien de Troyes, aus dessen Perceval der gute Wolfram sich freimütig bediente. Dass der Gral dabei nicht unbedingt der „Becher eines Zimmermanns“ sein muss, den ein gewisser Mann mit dem Hut aus den Händen von Josef von Arimathäa entgegennimmt, nachdem „seine Wahl weise“ war, das stammt nicht alleine von Mills: das ultimative Heiligtum erscheint gerne auch als Stein oder anderer Gegenstand.
Diese Storys, die erstmals in den Jahren 1997 und 1998 in Sláines Heimatmagazin „2000 AD“ erschienen, glänzen daneben wieder mit der opulenten visuellen Inszenierung durch Nick Percival (wie treffend!) und Stephen Tappin: weit weg von der Underground-Optik der Anfangstage, erstrahlt Sláine hier in großformatigen Panels, in ausladender, ölbildhafter Farbgebung, die bisweilen an Vicente Segrelles und seinen „El Mercenario“ erinnert.
Josh besorgt auch diese Ausgabe in seinem Dantes Verlag standesgemäß aufwendig, im großformatigen Hardcover, das auf fast 200 Seiten neben einer Covergalerie der Originalhefte wie stets durch ein Glossar begleitet wird, in dem Jens R. Nielsen wieder sein enzyklopädisches Hintergrundwissen unter Beweis stellt. Neben den Storylines „König der Herzen“ und „Der Gralskrieg“, die 1999 schon bei Ehapa-Feest zu haben waren, bringt der Band mit „Ein dämonischer Anhalter“ und „Das Geheimnis des Grals“ auch deutsche Erstveröffentlichungen, die das ambitionierte Projekt der chronologisch-werkgetreuen Neuausgabe um einen weiteren spektakulären Baustein erweitern. (hb)
Sláine, Band 10: Der Gralskrieg
Text & Story: Pat Mills
Bilder: Nick Percival, Stephen Tappin
192 Seiten in Farbe, Hardcover
Dantes Verlag
39 Euro
ISBN: 978-3-946952-97-8