Elise und die neuen Partisanen (All Verlag)

Mai 28, 2024
Elise und die neuen Partisanen (All Verlag)

Irgendwo im Norden von Paris, 1972. Bei einem „Unfall“, bei dem Molotow Cocktails eine gewisse Rolle spielen, zieht sich die linke Aktivistin Elise Verbrennungen zu. Mit ihren Genossen flieht sie aus der zerstörten Wohnung und muss für unbestimmte Zeit untertauchen, da sie ihre Papiere dort zurück lässt. Während der Rekonvaleszenz lässt sie immer wieder ihr bisheriges (politisches) Leben Revue passieren, was in schlaglichthaften Rückblenden geschildert wird: Aufgewachsen in Lyon wird sie, während der Algerienkrieg tobt (1954-1962), von ihrer Lehrerin geprägt, die Rassismus und Folter anprangert. Bald verteilt Elise erste kommunistische Flugblätter, lernt Arabisch und nimmt an Demos der kommunistischen Partei teil. 1958 geht sie nach Paris. Elise ist künstlerisch begabt, eine Karriere als Sängerin oder Schauspielerin scheint möglich, erste Schritte in diese Richtung sind vielversprechend.

Dann passiert das Massaker von Paris, am 17. Oktober 1961, das diesen Band einleitet. Trotz Ausgangssperre demonstrieren zehntausende algerische Arbeiter in der Stadt, von denen bei einem brutalen Polizeieinsatz über 200 getötet werden – ein Massenmord, dessen Aufarbeitung erst etliche Jahre später beginnen sollte. Noch trällert Elise Chansons, produziert eine Single und bekommt Auftritte im Fernsehen, parallel zu ihrem von den Worten Maos beeinflussten Klassenkampf. 1968 beginnen dann die Studentenunruhen, ausgehend von der Besetzung der Sorbonne. Bald legt ein Generalstreik ganz Frankreich lahm. Elise geht in die Fabriken, singt dort für die Sache der Arbeiter, die mehr Lohn und bessere Bedingungen verlangen, wobei Protestlieder schnell ihre Chansons ersetzen. Aktionen, Demonstrationen, Protestgesang und immer wieder Polizei-Willkür und –Gewalt bestimmen nun ihr Leben. Elise wird zur Berufs-Aktivistin…

Der neue Tardi im All Verlag? Hierzu gibt es eine Vorgeschichte. Ursprünglich sollte der Band bei Carlsen erscheinen und war dort bereits angekündigt. Da die Autorin Dominique Grange, nebenbei Jacques Tardis Frau (siehe „Kriegslieder – Chansons contre la guerre“), im Nachwort ganz offen für den „Widerstand des palästinensischen Volkes gegen die israelische Besatzung“ Partei ergreift (der Band erschien im Original bei Delcourt 2021), was aktuell und zur Zeit ja sehr beliebt ist, sah man dort von einer Veröffentlichung ab. Die besorgt nun eben der All Verlag und bietet neben der Normalausgabe auch eine limitierte Vorzugsausgabe an, der ein signierter Druck beigelegt ist. Elise, die Hauptakteurin dieses Bandes, ist natürlich das alter ego von Dominique Grange (Jahrgang 1940), die hier Teile ihres Lebens schildert – wir lesen also eine Biografie, die bis 1977 geht, als Elise einen gewissen Comiczeichner kennenlernt, den wir natürlich sofort als Jacques Tardi identifizieren.

Die Story und Tardis typische schwarz-weiß-graue Zeichnungen nehmen uns mit in eine französische Geschichtsstunde, ausgehend vom Algerienkrieg, der 1954 beginnt und der mit der Unabhängigkeit des Landes 1962 endet (der Konflikt wird auch in Comics wie „Azrayen“ oder Barus „Der Champion“ direkt oder indirekt behandelt). Die unruhigen Zeiten sind damit jedoch nicht beendet, der Klassenkampf, in dem sich Elise/Dominique wähnt und der 1968 auf einen weiteren Höhepunkt zusteuert, muss fortgeführt werden. Sie wird Mitglied der GP, der Gauche Prolétarienne, einer linksextremen, maoistischen Gruppierung, die sich 1973 auflöst und komponiert ihren bekanntesten Protestsong, nach dem der Band benannt ist. So verfolgen wir einen nimmermüden Kampf – eigentlich gegen „die da oben“, meist aber gegen die Polizei, die hier als anonyme Masse Willkür, Gewalt und Rassismus verkörpert -, um die utopische Gleichheit für alle zu schaffen, gleichzeitig ein Sinnbild für die die Streik- Protest- und Revolutions-Kultur, die in Frankreich bis heute so gerne gepflegt wird. (bw)

Elise und die neuen Partisanen
Text & Story: Dominique Grange
Bilder: Jacques Tardi
180 Seiten in Farbe, Hardcover
All Verlag
29,80 Euro

ISBN: 978-3-96804-241-1

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