Carmilla (Splitter)

März 18, 2024

Winter im New York des Jahres 1996. Unter den Obdachlosen auf der Straße, den Gefallenen der Gesellschaft, mehren sich Gerüchte. Eine Angst vor etwas Diffusem, Unbekanntem, das offenbar mordet. Die Leichen von diversen obdachlosen Ausreißerinnen scheinen ein Beleg dafür zu sein. Was aber scheinbar niemanden groß interessiert, v.a. nicht die Polizei. Nur die Sozialarbeiterin Athena forscht nach, da Lily, eines der Opfer, von ihr betreut wurde. Eine eventuelle Spur führt sie in den hippen Nachtclub Carmilla’s, in dessen Nähe einige der Opfer aufgefunden wurden. Bei weiteren Nachforschungen stößt sie auf einen alten Schauerroman namens Carmilla. Dann trifft Athena Violet wieder, die Garderobendame des Clubs. Athena gewährt der sprunghaften und undurchsichtigen jungen Frau bei sich Unterschlupf, zum Leidwesen ihrer Lebensgefährtin Morgan.

Soweit der Abriss zu einem Teil des Inhaltes des Bandes, von dem man zu Beginn erwartet, dass man eine moderne Version der klassischen Vorlage präsentiert bekommt (ähnlich wie beispielsweise bei „Jane“, der bei Panini als Graphic Novel erschienenen Variante von „Jane Eyre“). Was – wie sich bald herausstellt – eine irrige Annahme ist. Die vermeintliche Vorlage, das ist „Carmilla“, eine Novelle, die 1872 von dem Iren Joseph Sheridan Le Fanu geschrieben wurde und die als Inspiration für einen gewissen Bram Stoker diente, dessen Dracula bis heute noch immer der berühmteste aller Blutsauger ist. In der Novelle schleicht sich – kurz zusammengefasst – eine Vampirin in das Leben eines Mädchens ein, was beinahe in einer Katastrophe endet. Ähnliches geschieht auch hier – das Grundmotiv wird von Autorin Amy Chu zwar aufgegriffen, dann aber gehörig variiert.

Denn das moderne Geschehen in New York überlagert sich mit Passagen bzw. Zitaten aus Le Fanus Schauermär und wird von diesen unterlegt. Teile des ursprünglichen Werkes ziehen so langsam in die neue Story ein, direkt oder in anderer, variierter Form (der Name des Anwalts ist Karnstein – so heißt in der Novelle das Dorf in der Steiermark). Dazu kommen noch völlig neue Elemente aus einer ganz anderen Richtung, die schließlich auch für diverse Überraschungen sorgen: Athena, deren Eltern bei einem Unfall ums Leben kamen, stammt aus einer Familie chinesischer Einwanderer. Ihr Großvater, der sie großgezogen hat, spielt eine wichtige Rolle in ihrem Leben. Und später auch in der Story, in die damit auch die chinesische Folklore Einzug hält. Ein überaus origineller Schachzug von Amy Chu.

Damit entsteht eine mutige Mischung (Original-Motiv, neue Story plus chinesische Elemente), die aber tatsächlich und das auch noch erstaunlich gut funktioniert und die originell verwoben und präsentiert ist (mit diversen Stilmitteln, wie das bestimmte Lettering, das erst aus der Novelle zitiert und dann einer Person zugeordnet wird). Wobei das action-geladene Finale dann tatsächlich wieder konventionelle Züge trägt. Die Zeichnungen und Farben von Soo Lee kommen dezent daher und wissen v.a. Violet als Femme Fatale (und mehr – man ahnt natürlich, was es mit ihr auf sich hat…) in Szene zu setzen. Wer sich mit einer weiteren Bearbeitung des Carmilla-Stoffes beschäftigen will, dem sei übrigens „Vampyr“ wärmstens empfohlen, jener klassische wie verstörende Horror-Film von Carl Theodor Dreyer aus dem Jahre 1932. (bw)

Carmilla – Die erste Vampirin
Text & Story: Amy Chu, nach Sheridan Le Fanu
Bilder: Soo Lee
112 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
22 Euro

ISBN: 978-3-98721-192-8

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