Ludwig II. (MünchenVerlag)

Mai 28, 2021

München im März des Jahres 1864: nach dem unerwarteten Tod des Vaters besteigt der erst 18jährige Ludwig mit dem klingenden Titel „von Gottes Gnaden König von Bayern, Pfalzgraf bey Rhein, Herzog von Bayern, Franken und in Schwaben“ den Thron des bajuwarischen Königreichs. So richtig wohl fühlt sich der junge Mann mit der neuen Rolle nicht, ist er doch viel mehr den Künsten und der Baukunst zugetan als der Realpolitik. Aber es nutzt alles nichts, er ist der reguläre Thronfolger, der alsbald von seinen Kabinettsministern wie Ludwig von der Pfordten umringt und zunehmend kritisch beäugt wird. Formell erfüllt Ludwig seine Regierungspflichten durchaus gewissenhaft, aber sein Herz hängt an Einzelpersonen wie seinem Flügeladjutant Paul von Thurn und Taxis, mit dem ihn eine tiefe Freundschaft (aus der nach seinen Wünschen wohl auch mehr werden könnte) verbindet. Besonders aber schwärmt der junge König für den Komponisten Richard Wagner, der verschuldet bis über die Ohren auf der Flucht vor seinen Gläubigern eine wilde Reise durch Europa hinter sich hat.

Ludwig macht den durchaus nicht unstrittigen Künstler ausfindig und holt ihn 1864 nach München, wo er ihn fortan tat- und finanzkräftig unterstützt, auch wenn er mit der offen antisemitischen Haltung Wagners nicht übereinstimmt. Als die Öffentlichkeit zunehmend gegen die finanziellen Zuwendungen Ludwigs aufbegehrt, schickt er Wagner schweren Herzens in die Schweiz, wo er in Tribschen ein Haus bezieht (für das Ludwig selbstverständlich die Miete zahlt). Am politischen Himmel ziehen finstere Wolken auf, als sich 1866 ein deutsch-deutscher Krieg zwischen dem zunehmend erstarkten Preußen und Österreich anbahnt. Österreich fordert die vertraglich zugesicherte Loyalität ein, aber dem Romantiker Ludwig ist dies zuwider, er möchte am liebsten neutral bleiben oder gleich abdanken, wovon ihn Wagner und Thurn und Taxis mit Mühe wieder abbringen. Auch wenn der preußische Sieg für Bayern ohne maßgebliche Blessuren abläuft, gilt Ludwig dennoch als Zauderer, der nicht tatkräftig handeln kann (obwohl der desolate Zustand der bayrischen Armee nicht zuletzt auch auf die Einsparungen unter der Regentschaft seines Vaters zurückgeht).

Ludwig zieht sich zunehmend zurück, konzentriert sich auf das künstlerische Schaffen seines Protégés Wagner und verliert sich zunehmend in einer Scheinwelt, die der Realität der konstitutionellen Monarchie entfliehen will. Als Thurn und Taxis eine Beziehung zu einer Theaterschauspielerin eingeht und von seinem Vater fallen gelassen wird, verlobt sich Ludwig aus einem Impuls heraus mit der Herzogin Sophie Charlotte, sagt die Hochzeit aber letztlich wieder ab, was als gesellschaftlicher Affront gilt. 1870 muss er erneut einen Befehl zur allgemeinen Mobilmachung unterschreiben, als Preußen gegen Frankreich zieht. Der rasche Sieg führt zum berühmten „Kaiserbrief“, in dem Ludwig, von seinem alten Bekannten Bismarck diktiert, Wilhelm I. die deutsche Kaiserkrone antragen muss, was das endgültige Aus für die bayrische Unabhängigkeit bedeutet. Mittlerweile zutiefst desillusioniert, gibt sich der zunehmend isolierte Ludwig vollends seinen Bauprojekten hin, die mit Prachtschlössern wie Linderhof oder Neuschwanstein seine Schulden in schwindelerregende Höhen treiben…

Der Kini! Märchenkönig, Mondkönig, Sagengestalt, liebstes Kind der Bayern. Wer schon einmal den Starnberger See, zu Ludwigs Zeiten noch Würmsee genannt (wie ihn die traditionsbewussten Anrainer auch heute noch bezeichnen), mit dem Radl umrundet hat – und das sei hier wärmstens empfohlen -, der kommt gar nicht an dem großen Kreuz ein paar Meter vor dem Ufer vorbei, das die Stelle markiert, an der Ludwig II gemeinsam mit seinem Arzt Dr. Gudden in der Nacht des 13. Juni 1886 unter bis heute nicht ganz geklärten Umständen ums Leben kam. Da war der Mondkönig, so benannt nach seinen zunehmend des Nachts stattfinden Kutsch- und Schlittenfahrten, schon längst entmündigt und vollends gedemütigt. Die wahrscheinlichste Version der Geschichte ist wohl, dass Ludwig Selbstmord beging und den Arzt, der ihn daran hindert wollte, in einem Handgemenge so schwer verletzte, dass auch dieser ertrank.

Schon zu Lebzeiten umwehte den König wider Willen, der sich gegen Ende seines Lebens vollkommen isolierte, ein magischer Hauch, der durch diesen Tod noch befeuert wurde. Seine verschwenderischen Bauprojekte ruinierten ihn zwar, brachten der bayrischen Schlösser- und Seenverwaltung aber die bis heute reichhaltigsten Einnahmequellen. Auch Walt Disney ließ sich vor allem von Ludwigs Bauten, allen voran Neuschwanstein, zu seinen Phantasiewelten in „Snow White and the Seven Dwarfs“, „Cinderella“ und „Sleeping Beauty“ inspirieren – bis hin zum Logo seiner Produktionsfirma, in der die Silhouette des Schlosses verewigt wurde (hierauf weist auch die durchaus fachkundige und scharfsinnige Einleitung zu diesem Band hin, die von einem gewissen Peter Gauweiler stammt). Ludwigs Wagner-Begeisterung verdankt die Musikwelt nicht nur Werke wie den Ring des Nibelungen, sondern auch die legendäre Spielstätte in Bayreuth – auch wenn Ludwigs Begeisterung ihn zweifelsohne blind machte für die Absonderlichkeiten des Komponisten, der sich durch reaktionäre Politik und außereheliche Aktivitäten mit seiner späteren Frau Cosima zutiefst unbeliebt machte.

Diesen bunten Reigen, den schon Filmschaffende wie Luchino Visconti 1972 oder Helmut Käutner 1954 in optischen Biografien umsetzten, gestaltet der Graphiker und Graphic Novel Autor Wolfgang Keller in dieser ersten umfänglichen Bildgeschichten-Fassung genauso, wie es die Kunst tun muss: die dunklen Stellen werden mit kreativer Freiheit aufgefüllt, fiktive Figuren eingeführt (wie etwa der Abkömmling eines Vertrauten von Paul von Thurn und Taxis, der im Jahr 2021 einer jungen Studentin seine Version der Geschichte erzählt), Dialoge so gestaltet, wie sie sich hätten zutragen können. Keller gestaltet Ludwig dabei vielschichtig: überrannt von einem Schicksal, das er sich nicht ausgesucht hat, Halt suchend bei Freunden und schließlich der Eigensucht eines Wagner erliegend, der seine Freundschaft zu Paul zerstört. Nur sehr dezent spielt Keller dabei auf die Homosexualität seines Protagonisten an, die hinter der Kunstsinnigkeit des Königs deutlich zurücktritt.

Den Bauwahn der späten Jahre, den die moderne Psychologie als suchthaften Zustand diagnostiziert hat, zeichnet auch Keller als zwanghafte Realitätsflucht, ohne die kulturelle Leistung zu verschweigen. So entsteht ein facettenreiches, mehrdimensionales Bild einer schillernden Figur, was sich auch in der optischen Gestaltung niederschlägt: stilisiert, simplifiziert, fast schon zum expressionistischen Duktus neigend folgt Keller dem vorangestellten Motto von Paul Klee, demzufolge die Kunst nicht das Sichtbare wiedergibt, sondern sichtbar macht. Nicht platter Realismus also, sondern suggestive, emotionale Gestaltung – ganz im Sinne einer Figur, für die die Kunst der Realität deutlich überlegen war. Ein mehr als gelungener Wurf, der – schön eingerichtet beim MünchenVerlag aus dem Hause Langen Müller – weit über reines Lokalkolorit hinaus eine Interpretation eines bayrischen Mythos und seiner Wirkung zeichnet, die bis heute anhält. (hb)

Ludwig II. – Ein Mythos in Bildern
Text & Bilder: Wolfgang Keller
96 Seiten in Farbe, Hardcover
MünchenVerlag
20 Euro

ISBN: 978-3-7630-4062-9

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