Galveston, Texas, im August 1900. Nachdem sie ihren Verfolgern entkommen ist, sucht Emily, die nun als „Emily, die Viper“ auch steckbrieflich gesucht wird, in Verkleidung einer Nonne unter einem Vorwand ein Waisenhaus auf. Sie stellt sich dessen zwielichtigem Leiter, Reverend Allister Coyle, als „Schwester Maria“ vor. Zu ihrer Überraschung trifft sie erneut auf ihren Beschützer, den indianischen Scout, namens Ba-Cluth (Streunender Coyote). Ein Ausflug an den Strand, bei dem Emily das Waisenkind Claire vor dem Ertrinken rettet, endet jäh, als ein Sturm aufzieht, der ständig an Wucht zunimmt und sich langsam zum Orkan entwickelt. Als in der Nacht unvermittelt Claire zum Reverend gerufen wird, schwant Emily nichts Gutes und sie schreitet zur Tat. Denn der Reverend ist kein Unbekannter…
Mindesten genauso wichtig für die Geschichte, die sich wie erwartet zur Rache-Story entwickelt, sind die Rückblenden, die 1887 einsetzen, die immer wieder eingestreut werden und in denen die tragische wie unglückliche Kindheit Emilys geschildert wird. Nach einem traumatischen Erlebnis landet sie bei einer Tante in der Bronx in New York. Die nimmt sie zwar auf, kommt aber selbst kaum über die Runden und als sie erfährt, dass das Mädchen einen Notgroschen in Form einiger Goldstücke besitzt, muss Emily erneut fliehen. Weit weg zu einer weiteren Tante nach Jackson, Tennessee. Nur um dort schon wieder vom Regen in die Traufe zu geraten.
Apropos Regen. Den dramatischen Höhepunkt des Bandes bildet die tatsächliche Katastrophe von Galveston, als ein gewaltiger Hurrikan am 8. September 1900 die Stadt, die nur knapp über dem Meeresspiegel erbaut wurde, beinahe völlig zerstörte und dabei mindestens 8000 Opfer forderte. Just in dieser Nacht konfrontiert Emily den Reverend mit ihrer gemeinsamen Vergangenheit, was für die sonst entschlossene Rächerin beinahe fatale Folgen hat. Das fulminante Finale findet dann in einer Kirche statt. Während die Fluten die Kirchenmauern bereits umtosen, kämpft Emily um ihre Leben – eine Szenerie, die in ihrer überspitzten Darstellung, samt dämonischem Bösewicht, an alte Hammer-Filme erinnert. Am Ende, das sollte kein Geheimnis sein (immerhin soll die Reihe fünf Bände umfassen), hat Emily eine weitere Station ihres einsamen Feldzugs abgehakt.
Insgesamt bestätigt sich der Eindruck aus Band 1. Die Story ist äußerst kurzweilig und spielt in einer interessanten Spät-Western-Zeit, in der sich Genre-Elemente mit der Moderne vermischen (es gibt bereits elektrisches Licht und man telefoniert schon). Zusätzliche Abwechslung bieten die regelmäßigen Szenen- Zeiten- und Ortswechsel, in denen nicht nur Emilys traurige Kindheit, sondern auch die Motive für ihre Taten in der Gegenwart nach und nach erläutert werden. Und die reale Hurrikan-Katastrophe wie auch die mit zeitgenössischen Fotos bebilderten Tagebuchauszüge Emilys bringen einen angenehmen Touch an Authentizität in die Story ein. Die präsentiert Laurent Astier wie gehabt in einem realistischen Stil, beeindruckend in der Darstellung der Flutkatastrophe und mit kleinen Schwächen in der Mimik seiner Darsteller. Band 3, in Frankreich bereits erschienen, ist in Vorbereitung. (bw)
Die Viper, Band 2: Flutwelle
Text & Bilder: Laurent Astier
64 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
17 Euro
ISBN: 978-3-96219-564-9