Wild weht der Wind weiter in der dystopischen Zukunft: unermüdlichen marschieren die Angehörigen der 34. Horde in Richtung Windanfang, zur mythischen Quelle des unablässigen Sturms, der über die Welt fegt. Angeführt vom grimmen Tracer Golgoth, hat man den Tod des Prinzen Pietro kaum verwunden, als man auch schon mit dem nächsten Stolperstein im beschwerlichen Weg konfrontiert wird: aus dem Flugschiff Physalis lässt sich das so genannte „grazile Geschwader“ hernieder, Angehörige der Bruderschaft der Freolen, die über die Ebenen schweben und die Extremtraditionalisten der Quellier scheinbar freundlich empfangen. Deren Commodore eröffnet den staunenden Hordlern, man habe am Fusse der Felsformation Norska die 33. Horde angetroffen, die bestehend aus den Eltern der neuen Hordler vor Jahrzehnten in derselben Mission aufgebrochen war.
Während sich die Mehrzahl der Hordler, unter anderem der Schreiber Sov, über die Nachricht freuen, dass die vorangegangene Horde noch am Leben ist, wittert Golgoth Betrug, als der Commodore ausführt, die enge Felsspalte auf Weg nach Norska könne niemand überwinden. Zum Beweis seiner Standfestigkeit nimmt Golgoth einen spektakulären Test auf sich: anfangs gemeinsam mit seinem Trupp namens Eisen und Pulk, am Ende ganz alleine trotzt er dem Schub aus dem laufenden Triebwerk der Physalis, um zu beweisen, dass er den angeblich unpassierbaren Zugang zu Norska bezwingen kann. Das muss gefeiert werden, man veranstaltet das Fackel-Spiel, bei dem sich jeder Glückliche aus der Horde mit einer Freolen-Frau seiner Wahl vergnügen darf.
Die Freude kippt allerdings, als ein gewaltiger Angreifer auftritt, der sich als Silene, der Blitzmeister vorstellt: offenbar ist die Legende der Verfolgung, nach der einer jeden Horde bewusst nachgesetzt wird, um den Trupp unter Spannung zu halten, durchaus wahr. Der Kampfverteidiger Erg und der Fangzahn Barbak schaffen es mit vereinten Kräften, Silene in Schach zu halten, tragen aber erhebliche Verletzungen davon. Kaum hat die Horde diesen Schreck verdaut, entwickelt Golgoth den nächsten brandgefährlichen Plan: um wertvolle Monate einzusparen, will der Tracer allen Ernstes die große Wasserfläche namens Lache zu Fuß durchqueren, woran bislang noch jeder Trupp gescheitert ist…
Waren in Band 1 der Adaption von Alain Damasios Roman La Horde du Contrevent aus dem Jahr 2004 noch einige Holprigkeiten in Charakterisierung und Handlungsführung, nimmt die windige Angelegenheit in der Adaption von Éric Henninot („Ein Sohn der Sonne“, ebenfalls bei Splitter) nun gehörig Fahrt auf. In stringenter, geradliniger Weise zerfällt der ebenso umfangreiche zweite Teil (immerhin kommt das Album auf mehr als 70 Seiten) in drei Parts: das Aufeinandertreffen mit den Freolen inklusive des „Leistungstests“ von Golgoth wird gefolgt vom Kampf zwischen der Horde und ihrem Verfolger Silene, bevor sich das wahnwitzige Vorhaben der Durchquerung der „großen Lache“ abzeichnet, das Golgoth gegen jeden Widerstand durchprügelt.
Insgesamt stehen die Zeichen auf Konfrontation zwischen dem fast schon psychopathologisch besessenen Golgoth, der überall Weichheit und Feigheit vermutet, und den eher besonnenen Vertretern wie dem Schreiber Sol, der Feuermacherin Callirhoe oder der Heilerin Aoi. Gewürzt wird das Geschehen mit tiefen Einblicken in den radikalen Traditionalismus, der die Quellier antreibt und dem die Pragmas einen doch eher realitätsnahen Ansatz entgegenstellen, der durchaus verfügbare Mittel des Transports wie etwa die Flugmaschinen der Freolen akzeptiert. Radikalismus gegen Fortschritt, Egozentrik gegen Gemeinwohl, das sind die Gegensätze, die in dieser düsteren, postapokalyptischen Welt aufeinandertreffen, die Henninot auch optisch eindrucksvoll in großflächigen Paneln inszeniert, aus denen die Unwirtlichkeit und Unmenschlichkeit dieser Welt geradezu hervorpeitscht. Wir sind gespannt, woher der Wind weiter weht. (hb)
Die Horde des Windes, Band 2: Das grazile Geschwader
Text & Bilder: Éric Henninot, nach Alain Damasio
72 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
18 Euro
ISBN: 978-3-96219-489-5