Der Liebhaber (Carlsen)

Dezember 17, 2020

Indochina, wie es damals noch hieß, in den dreißiger Jahren. Die 15 Jahre junge, nicht namentlich benannte Marguerite Duras wächst in Saigon in ärmlichen Verhältnissen auf: ihre Mutter hat sich massiv verspekuliert, als sie in Kambodscha Ackerland kaufte, das sich als weitgehend unbrauchbar erweist und ihr außer Schulden nichts einbringt. Ihr großer Bruder ist ein gewalttätiger Dieb, der die ganze Familie terrorisiert, der kleine Bruder steht dem machtlos gegenüber. Marguerite geht in einem Mädchenpensionat zur Schule, das sie jeweils per Fähre über den Mekong erreicht. Bei einer dieser Überfahrten kommt es zu einer schicksalhaften Begegnung: ein nicht mehr ganz jugendlicher, offenbar reicher chinesischer Mann findet an ihr Gefallen und bietet ihr an, sie im Auto ins Pensionat zu bringen.

Von da an wiederholt sich dieses Spiel mehrfach, bis ihr der Chinese eingesteht, dass er dem jungen Mädchen durchaus verfallen ist. Schnell beginnt man eine Liebschaft, die allerdings niemals eine echte Chance hat: Marguerite gilt in ihrem Umfeld schnell als Flittchen, und der Chinese kann nicht aus seinen familiären Traditionen ausbrechen, die ihm eine standesgemäße Ehe mit einer Tochter aus gutem Hause vorschreibt. Entgegen aller Sitten bittet ihn das Mädchen schließlich um Geld, um die Heimreise der Familie nach Frankreich zu ermöglichen – wo sie vergeblich darauf wartet, dass ihr Liebhaber zu ihr kommt…

Mit ihrem Roman „L’Amant“ lieferte Marguerte Duras 1984 ein zutiefst autobiografisches Stück Literatur, bei dem die Beziehung der beiden Titelfiguren bestenfalls eine Klammer um das szenisch-assoziativ evozierte soziale Umfeld, bestehend aus der Mutter, den beiden Brüdern und der Zimmergenossin im Mädchenpensionat, bildet – wobei Zeitsprünge in Paris der damaligen Gegenwart, mit einer vom Alkohol gezeichneten Duras, gleich mitgeliefert werden. Der Roman, neben „Hiroshima Mon Amour“ wohl das bekannteste Werk der produktiven Autorin, gelangte 1992 in der Filmversion von Jean-Jacques Annaud zu zweifelhafter Berühmtheit, da Annaud die erotischen Elemente in den Mittelpunkt stellte und damit die Autorin durchaus vor den Kopf stieß.

In ihrer gefühlvollen Manga-Adaption umschifft Kan Takahama („Die letzte Reise der Schmetterlinge“) diese Klippe durchaus wirkungsvoll: die Geschichte entfaltet sich im Rückblick vor dem geistigen Auge der gealterten Duras und liefert ein Sittenbild voller Lokalkolorit, aus dem die drückende Hitze des Mekong-Deltas genauso aufsteigt wie die Verzweiflung der verarmten weißen Familie und die Macht der Tradition, der man sich zu beugen hat. Melancholie hängt in der Luft, fernab jeder Kolonialromantik, und die sinnlichen Szenen fügen sich so in den Gesamtkontext ein, wie die Romanvorlage dies gebietet. Eine wunderbare, stil- und gefühlvolle Adaption eines modernen Klassikers. (hb)

Der Liebhaber
Text: Kan Takahama, nach Marguerite Duras
Bilder: Kan Takahama
160 Seiten, Hardcover
Carlsen Verlag
22 Euro

ISBN: 978-3-551-78156-7

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